Welche Gefühle dominieren vor Ihrem Wiedereinstieg?
Roger Federer: Persönlich bin ich erst einmal nur happy, endlich wieder auftreten zu dürfen. Ich bin sogar froh, dass ich wieder Medienkonferenzen geben, Selfies mit Fans machen kann – all das zeigt mir, ich bin wieder auf der Tour. Ich habe die Zeit zuhause auf andere Art mit der Familie genossen. Aber ich habe auch eine zweite, die Tennis-Familie, und die habe ich vermisst. Auch wenn es sicher anders als vorher ist – mit Masken, ohne volle Tribünen, in der Turnier-Blase und unter den vielen neuen Regeln zu Pandemie-Zeiten. Was nur schon bei der Ankunft in Doha auf mich zukam, war unglaublich! Auch das ist eine spezielle Erfahrung, die ich mir zuhause immer nur vorstellen musste. Jetzt kann ich eines Tages wenigstens sagen, ich habe die normale Tour erlebt und die heutige Neue. Immerhin dürfen hier rund 2000 Leute an den Court – die machen schon genug Lärm, alles ist besser als nichts.
Gab es in den letzten Monaten Momente, in denen Sie zweifelten, das noch zu erleben?
Natürlich hatten wir im Team und in der Familie immer wieder Gespräche über die Zukunft. Nach dem Match for Africa vor einem Jahr war mein Ziel, bis Wimbledon parat zu sein. Aber nach der ersten Operation hatte ich schon bei einem Spaziergang mit den Kids oder einer kleinen Velo-Tour ein geschwollenes Knie. Dabei kann ich mich nicht erinnern, etwas falsch gemacht zu haben, ich forcierte nichts. Als mir der Doktor nach einem MRI dann sagte, ein zweiter Eingriff sei nötig, war das ein rechter Dämpfer – ich bin ja kein Fan von Operationen. Aber es führte kein Weg dran vorbei und ab da stellte ich mir schon viele Fragen.
Was bewog Sie dann doch zum Angriff?
Ich wusste immer, dass ich so nicht abtreten will. Ich fühle, dass die Geschichte noch nicht vorbei ist. Ich möchte wieder auf der Höhe der Besten mitmischen. Es ist eine Herausforderung, aber ich mag ja generell Herausforderungen.
Was sagen Sie den Leuten, die Ihren Rücktritt heraufbeschworen?
Solche Aussagen habe nicht oft gehört. Es verlängert ja auch deine Karriere, wenn du verletzt bist und eine Pause hast. Wer weiss, wie lange ich das noch machen kann? Es ist ja eher auf der raren Seite, dass einer mit 40 zurückkommt. Wichtig ist jetzt, dass ich verletzungs- und schmerzfrei bin und die Zeit auf der Tour wieder geniessen kann.
Was ist das Schwierigste bei einem Comeback?
Tennis ist für mich wie Velofahren – das beunruhigt mich nicht. Ich konnte immer auch mit wenig Training ganz gut spielen. Der mentale Teil, die Unsicherheiten sind nun schwieriger. Nach einer Verletzung ist das Vertrauen in den Körper weg. Wie reagiert das Knie im Match, auf den Flügen, was merkt dir der Gegner an? Das sind meine grössten Sorgen. Die Schmerzen sind zwar total unter Kontrolle, aber ich habe ja auch nie gleich intensiv gespielt. Ich hoffe, mein Knie hält!
Ist Ihre Comeback-Situation vergleichbar mit der vor vier Jahren?
Vor vier Jahren war ich komplett gesund und stellte mir in Australien keine Fragen, ob es wieder rückwärts gehen könnte. Gegenüber letzten Oktober, November habe ich riesige Fortschritte gemacht, in den letzten Wochen hatte ich keine Rückschläge mehr – das ist sehr positiv, aber noch nicht vergleichbar mit damals. Nach der ersten OP kam ich nach den vielen Fünfsätzern in Australien als Spitzensportler in den Operationssaal, da bist du schnell wieder auf einem ordentlichen Level. Aber nach der zweiten OP war es erschreckend zu sehen, wie schnell ich alle Muskeln verloren hatte. Aber deshalb ist es gut, erst ein Turnier wie dieses zu spielen. Meine Erwartungen sind tief, ich bin schon zufrieden, wenn ich ein paar Matches gewinne. Wichtig sind die Erkenntnisse nach dieser Woche.
Wie und mit welchen Zielen planen Sie Ihre Saison?
Im Moment schaue ich nur von Tag zu Tag, wie die Matches gegen andere Top-Spieler laufen, nicht nur mit Sparringpartnern. Ich war drei Wochen mit Dominik Stricker, dann mit Dan Evans in Dubai und wir haben viele Sätze gespielt. Aber wie gut meine Fitness, die Kraft, der Puls, die Explosivität sind, weiss ich noch nicht. Resultate sind deshalb zunächst sekundär. Noch stehe ich am Anfang meines Aufbaus, nach Doha folgt vielleicht Dubai, dann trainiere ich sicher wieder vier bis sechs Wochen. Das Wichtigste ist, bis Wimbledon wieder bei hundert Prozent zu sein. Für mich fängt alles erst richtig mit der Rasensaison an. Dazu muss ich auch andere Aspekte berücksichtigen: Wieviel kann ich weg sein von zuhause, wieviele Turniere kann ich spielen?
Man sah Sie zuletzt in «ON»-Schuhen trainieren. Spielen Sie auch das Turnier damit?
Ja, ich hoffe, ich kann damit diese Woche den Court betreten. Es ist ja erst ein Prototyp, mit dem ich trainiert habe, aber er fühlte sich perfekt an. Es ist eine spannende Sache, ich habe da viel Leidenschaft reingesteckt. Seit Jahren wollte ich mit On einen Tennisschuh bauen, jetzt konnte ich endlich viel Zeit dafür investieren.
Wie haben Sie die Pandemie generell erlebt?
Zum Glück blieb ich vom Virus verschont – selbst wenn du noch so vorsichtig bist, gibt es ja nie Sicherheit. Wir haben neue Wörter kennengelernt: Quarantäne, Isolation, Pandemie, Corona, Covid 19 – unglaublich! Daran musste ich mich vorallem als Familienvater gewöhnen. Man muss den Kindern erklären, warum sie Freunde nicht sehen können, mit Mami und Papi vorsichtig sein müssen. Dass Händeschütteln wegfällt, man sich nicht zu nahe kommen darf. Ich will mit gutem Beispiel voraus gehen. Als bei uns in der Schweiz Maskenpflicht ausgerufen wurde, dachte ich anfangs, draussen mache ich mit Maske sicher kein Foto mit Fans, das ist mir zu blöd! Heute kommt es ausserhalb des Tennisplatzes nicht mehr in Frage, ohne Maske zu posieren.
Wie erlebten Sie die negativen Geschichten rund um Novak Djokovic?
Es bringt nicht viel, das alles noch einmal aufzurollen. Die Disqualifikation bei den US Open war auch unheimliches Pech. Seien wir ehrlich, jeder weiss, dass er das nicht beabsichtigt hat, es könnte jedem im emotionalen Moment passieren. Mit der Adria Tour meinte er es gut, aber es war wohl etwas zu früh. Ich weiss, dass Novak auch mit der Spielergewerkschaft sein Bestes versucht hat. Aber dass er an zwei Orten aktiv wurde, passte für mich nicht zusammen. Um das Tennis wieder ins Laufen zu bringen, braucht es für mich nicht so viele negative Töne.
Was waren für Sie die ausserordentlichen Geschichten im letzten Jahr?
Das Wiederaufleben der Tour zu beobachten, war toll. Den Motor ausstellen ist einfach, ihn wieder zum Laufen zu bringen, sehr viel schwieriger. Wie hart es für die Organisatoren und für die Spieler war, beschäftigte mich am meisten. Ich loggte mich bei den Spielerrats- oder Tennis-Australia-Kanälen ein und konnte mich überall einbringen – es war interessant. Der US-Open-Final zwischen Thiem und Zverev vor null Fans war sicher ausserordentlich. Dann Rafas Lauf an den French Open, Novaks in Australien – was die beiden leisten ist Wahnsinn, sie sind ja auch keine 25 mehr. Ich habe am TV viel Tennis geschaut und Resultate gecheckt – sogar im Doppel. Ich bin eben Sportler. Ich wäre nicht ich, wenn ich versuchte, woanders hinzuschauen.
Verspürten Sie auch Wehmut, nicht dabei zu sein?
Lustigerweise nicht. Wenn ich weiss, ich kann das Turnier nicht gewinnen, habe ich dort nichts zu suchen und schaue lieber zu wie ein Fan. Und an den letzten Turnieren wäre ich nicht vorne dabei gewesen. Abgesehen davon ist der Lockdown in Australien ohne Fans und zwei Wochen im Hotelzimmer auch nicht so verlockend, dass ich heiss darauf war.
Liessen Ihre Kinder Sie nach der intensiven Papi-Zeit nun gerne wieder gehen?
Ich bin immer froh, wenn sie sagen ‹geh nicht›! Das bedeutet, sie lieben und vermissen mich, auch da musste ich durch. Aber sie wissen ja, ich komme wieder heim. Für sie ist es super, wenn ich in der ersten Runde verliere, aber auch super, wenn ich das Turnier gewinne – es gibt also immer Grund zur Freude.