Der britische Abenteurer und TV-Star Bear Grylls (47) ist besorgt. So besorgt, dass er die Organisation «Becoming X» ins Leben ruft.
Sein Problem: «Wir sind besorgt, dass viele Menschen glauben, ‹Erfolg› hänge davon ab, wie viel Geld man verdient, welches Auto man fährt oder wie viele Likes man bei Social Media erhält. Wir sind besorgt, dass ‹Talent› als eine mystische, genetische Kraft, welche nur wenige besitzen, angesehen wird, statt ein Produkt von Zielstrebigkeit, harter Arbeit und Erfahrung.»
Federer musste rohes Fischauge essen
Erfolg? Talent? Kein Wunder landet Grylls bei diesen Themen unmittelbar in den Armen von Roger Federer! Denn die beiden kennen und schätzen sich gut. Mit dem Schweizer Tennis-Gott unternahm Grylls bereits eines seiner gefürchteten Überlebens-Abenteuer, nahm ihn mit in die Abgeschiedenheit der Schweizer Alpen, wo es beim Mini-Pingpong im Schnee heiss zu und her ging – und King Roger sogar ein rohes Fischauge essen musste!
Für seine Talent-Entfaltungs-Organisation spricht Roger nun in einem Kurzfilm, wie er aus dem kleinen Buben aus Münchenstein BL zum wohl grössten Tennisspieler aller Zeiten wurde.
«Sport war in der Schweiz kein Lebensstil»
«In jener Welt, in der ich aufwuchs, in der Schweiz, kommt die schulische Ausbildung immer an erster Stelle», erzählt Federer von seinen Anfängen. «Sport war nicht wirklich ein Lebensstil.»
Federer erinnert sich: «Wir spielten Badminton, Ping Pong oder Tennis hinter dem Haus meines Freundes – dann verkündeten wir: ‹...und der Sieger von Wimbledon ist... Roger Federer!› Wir taten so, als würde ich die Trophäe stemmen. Ich denke, ich träumte damals schon davon, Wimbledon zu gewinnen.»
«Tennis ist mehr, als nur auf den Ball hauen»
Das Talent des kleinen Rogers aber entfaltet sich nicht einfach von selbst, Träume werden nicht einfach automatisch Wirklichkeit. Federer: «Ich spielte gegen die Wand, spielte Doppel gegen meine Eltern, Doppel mit meinen Freunden, spielten Fangis bis in die Nacht. Ich merkte, dass Tennis so viel mehr ist, als einfach auf einen Ball zu hauen.»
Der Maestro weiter: «Ich spielte auch Fussball und habe das immer sehr gerne gemacht. Aber eines Tages musste ich mich entscheiden, ob ich weiter Fussball oder Tennis spielen soll. Zum Glück habe ich mich für Tennis entschieden.» Seine Fans danken es ihm genauso.
«Hier wohnt der Junioren-Weltmeister»
«Als ich zum ersten Mal ein Match mit 0:6, 0:6 verlor, hörte man bereits Gerüchte in der Region: ‹... vielleicht ist der gar nicht so gut, wie alle glauben›», erzählt Roger. Doch er trainiert hart, wird immer erfolgreicher und mit 12 erstmals Schweizer Meister in seiner Altersklasse.
Federer: «Zum Spass hing ich ein Schild an die Wand bei meinem Zimmer: ‹Hier wohnt der Junioren-Weltmeister›. Die anderen Mitglieder des Schweizer Teams konnten darüber lachen.»
Dann ziehts Federer als 14-Jähriger ins nationale Tenniszentrum: «Ich dachte, das ist super, dass ich nun bei den besten Junioren des Landes bin. Will ich ein professioneller Tennisspieler werden, ist dies vielleicht der Weg, den ich einschlagen muss.»
«Es war ein harter Weg»
Dass dies für einen jungen Burschen nicht einfach ist, weiss Federer nur zu gut: «Ich war in einer wundervollen Familie von Montag bis Freitag, konnte nur am Wochenende nach Hause. In den ersten neun Monaten hatte ich unglaubliches Heimweh.» Die Auswirkungen bleiben nicht aus. Federer: «Meine Resultate rutschten in den Keller, ich verlor Selbstvertrauen, konnte die Sprache nicht. Ich hatte wirklich zu kämpfen.»
Der Schritt aber macht Roger stärker: «Es war ein harter Weg. Aber ich glaube, diese zwei Jahre, von 14 bis 16, waren wohl die einflussreichsten in meinem Leben, fort vom Zuhause, durchzuhalten, Verantwortung zu übernehmen und die Dinge selber anzupacken.»
Federer beginnt, sich zu hinterfragen
Federer fokussiert sich fortan aufs Tennis. «Aber ist das genug?», fragt er sich, als er einst beim Zahnarzt sitzt, der ihn fragt, was er denn so neben dem Tennis noch alles mache. «Ich mache ja nur Tennis», antwortet Roger – und beginnt sich selber zu hinterfragen, glaubt aber weiter daran, «dass ich der nächste Super-Tennisspieler meines Landes werden kann».
Auf dem Weg zum Erfolg sind jeweils auch Rückschläge einzustecken. Mit einem schweren muss Federer schon früh klarkommen, als sein Trainer Peter Carter (†37) tragisch bei einem Unfall ums Leben kommt. Federer erzählt: «Als ich 16 war kam Peter an die nationale Tennis-Akademie. Ich arbeitete ja schon vorher beim lokalen Tennis-Klub in Basel mit ihm. Er war ein sehr wichtiger Mentor für mich. Ihm ist wohl zu verdanken, dass ich so spiele, wie ich heute spiele. Dann kam der tragische Unfall, als Peter bei einem Autounfall in seinen Flitterwochen in Südafrika starb.»
«Vergesse niemals, was passiert ist»
Federer emotional: «Auch ich und meine Familie wollten eines Tages genau diese Ferien verbringen. Doch die Nachricht schockierte mich, erschütterte meine Welt. In gewisser Weise aber war das ein echter Weckruf für mich. Ich glaube, da habe ich einen Gang höher geschaltet und mir gesagt: ‹Jetzt mache ich ernst mit Tennis. Sehr ernst. Und werde mein Potential maximal nutzen.› Ich wollte einfach kein verschwendetes Talent sein. Ich vergesse niemals, was passiert ist. Und ich werde ihn für immer vermissen, das ist klar ...»
Mittlerweile kennt Federer die höchsten Sphären des Sportglücks: «Die Weltnummer 1 zu sein, Wimbledon zu gewinnen, ein Leader des Spiels zu werden, ein Sprachrohr für alle männlichen Tennisspieler zu sein, das alles ist nicht selbstverständlich. Das schätze ich sehr, weil Helden sind für mich echt wichtig. So wie Stefan Edberg, Pete Sampras, Boris Becker oder Michael Jordan früher. Ich habe die Chance, zurückzugeben, zu inspirieren.»
«Habe ich zu viel geopfert, zu viel verpasst?»
So sagt Roger auch, dass er nicht viel anders machen würde in seinem Leben. «Was ich aber wissen müsste, wäre, dass ich Zeit habe. Es fühlt sich bei mir alles an, als würde man Vorwärtsspulen: Morgen muss ich gewinnen, jetzt muss ich gewinnen. Vielleicht muss man sich fragen, will ich nicht etwas mehr Zeit mit meinen Freunden, mit der Familie verbringen? Nicht dass man zurückschaut und sich fragen muss, vielleicht habe ich zu viel geopfert, zu viel verpasst? Ich glaube dabei fest an eine gesunde Balance...»
Nun, der Wille, das Talent, Federer hats. «Aber», so Roger: «Ich bin mir nicht wirklich sicher, warum überhaupt ich so erfolgreich wurde. Man setzt sich nicht 20 Grand Slams zum Ziel. Auch nicht, die Weltnummer 1 zu werden, jedenfalls nicht in jener Welt, in der ich aufwuchs. Ich weiss nicht, ob man in der Schweiz so gross träumt. Das ist nicht etwas, das schnell oder einfach passiert.»
«Glaub daran! Greif nach den Sternen!»
Dennoch hat Federer ein gewisses Erfolgsrezept parat, wie ein Talent optimal zur Entfaltung kommt. Er erklärt: «Wenn du Leidenschaft dafür hast, was du tust, bleib dran. Glaub daran! Greif nach den Sternen, bleib positiv, umgib dich mit den richtigen Menschen und versuch es einfach.»
Federer weiter: «Woran ich wirklich glaube, ist, sein Talent nicht zu verschwenden. Du kannst immer deinen Geist, deine Fitness kontrollieren und dein Bestes geben. Wenn du das tust, hast du zumindest nichts zu bereuen, schaust zurück und kannst stolz darauf sein, was du erreicht hast.»
Wahrlich inspirierende Worte des Maestros, die vielleicht beim einen oder anderen Talent Gehör finden. (wst)