Tennis-Profi Gilles Simon, aktuell auf Platz 58 der Welt klassiert, promotet seine neu erschienene Biografie. Um den Verkauf anzukurbeln, zementiert der 35-jährige Franzose derzeit seinen Ruf als Querdenker, der die Hand keinesfalls vor den Mund nimmt. In einem Interview mit dem «LeParisien» schlagen seine kritischen Phrasen in Richtung Schweiz.
«Franzosen sind mental schwächer»
«Ich habe nichts gegen Roger Federer», beginnt Simon seine Tirade zunächst vorsichtig. Aber dann kommts: «Ich habe was gegen das Image, das wir Franzosen von ihm haben. Seit Jahrzehnten glauben wir, dass nur Federers antrainiert werden müssen.» Der Schweizer und sein Spielstil, seine Art zu attackieren und die selbstbewusste Ausstrahlung dabei sorgten dafür, dass er in der «Grande Nation» unkritisch und übertrieben verehrt würde. «In Frankreich will jeder einen Roger Federer: die Eltern, die Coaches … Aber er liess uns damit 20 Jahre verlieren!»
Was auf den ersten Eindruck anti Federer klingt, ist natürlich eher an die heimische Talentschmiede, in der auch Simon selbst aufwuchs, gerichtet. Warum habe es beispielsweise ein Marin Cilic geschafft, während der Dominanz der Big-3 in den letzten Jahren einen Major zu gewinnen und zweimal im Final zu stehen – und nicht ein Jo-Wilfried Tsonga? «Es ist weder die Vorhand, noch das Spiel und noch weniger die Physis», weiss Simon. «Es ist mental – in wichtigen Momenten sind viele andere, die wir Franzosen sonst oft schlagen, im Kopf stärker als wir. Das ist kulturell bedingt, französische Athleten sind mental schwächer.»
«Federer soll seine Rekorde verlieren»
Am stärksten findet der Buchautor-Frischling diesbezüglich Novak Djokovic. «Für mich ist er der vollständigste Spieler mit den geringsten Schwächen – er wird am schwersten zu schlagen sein.» Auch Federer stresse einen als Gegner, gibt Simon zu, reduziert die Stärken des 20-fachen Grand-Slam-Champions aber gleichzeitig aufs Optische: «Vor allem ist Roger sehr angenehm anzusehen.»
Seine Suche nach Polarisierung gipfelt schliesslich in folgender Aussage: «Deshalb würde es helfen, wenn Federer seine Rekorde verlieren würde. Dann würden wir Franzosen vielleicht endlich sehen, dass es auch andere gibt. Wir realisieren gar nicht, dass Rafael Nadal gleich viele Grand Slams gewonnen hat – und dies auf eine ziemlich andere Art und Weise.»
Nadal, das Wunder
Zumindest mit dem letzten Satz hat Gilles Simon absolut recht. In denkbar anderem Stil – quasi als Antipode zu Federer – hat der spanische Sandkönig mit seinem 13. French-Open-Sieg die Schweizer Bestmarke egalisiert. Seit Jahren zweifeln die Experten, wie lange Nadals verletzungsanfälliger Körper dessen kraftraubende, unökonomische Spielweise noch aushält. Die Antwort: Länger als man dachte. Nadal ist zäh, erholt sich durch aufgezwungene oder selbst auferlegte Pausen immer wieder von seinen physischen Problemen.
Grund dafür sei die Psyche, meint dazu Nadals Vertrauensarzt Ángel Ruiz Cotorro: «Neben seiner hohen körperlichen Widerstandsfähigkeit ist Rafa wohl der mental stärkste Spieler der Tennisgeschichte.» Aus psychologischer Sicht zeige er seit vielen Jahren, dass er in Situationen maximaler Spannung stets einen Schritt über dem Rest stehe.
«Ein Wunder» nennt ihn der Chefarzt des spanischen Verbands sogar. Auch weil sich Nadals Explosivität und Kraft sonst nur schwer in ein- und derselben Person vereinen lasse. Dieses Wunder sei aber nicht zufällig entstanden. Ruiz Cotorro: «Es ist Teil einer Arbeit, die Rafa schon in der Kindheit eine sehr gute Basis geschaffen hat.»
Und dies, Herr Gilles Simon, gelang auf Mallorca – trotz Roger Federer.