Als Junior in der Garderobe
Die Umkleide ist gespenstisch leer am Wimbledon-Finaltag 1976. Plötzlich tigert Ilie Nastase an mir vorbei, ohne dem 17-Jährigen auch nur einen Blick zu schenken. Es sind die letzten Sekunden vor dem Beginn des Finals der Männer, wird mir bewusst. «Nur nicht stören», schiesst es mir durch den Kopf.
Als Belohnung fürs Erreichen des Junioren-Finals hat mich ein Offizieller in der Garderobe B abgeholt und mich in die «Members»-Garderobe des Centre Courts geführt. Weil mir niemand einen Platz zuweist, suche ich mir selbst eine Ecke.
Neugierig schweift mein Blick umher. Reihen von wunderschönen, aus solidem Holz gebauten Garderobenschränken sind zu sehen. Alle verziert mit in Metall gestanzten Nummern und handgeschriebenen Namensschildern in Messingrahmen. Arthur Ashe, Jimmy Connors, Guillermo Vilas, Stan Smith lese ich in der obersten Reihe.
Als ich aufschaue, sehe ich Björn Borg am anderen Ende der Garderobe sitzen. Auch er ist in seiner Welt. Aber im Gegensatz zu Nastase wirkt er ruhig, konzentriert und voller Selbstvertrauen. Genau so will ich sein heute im Final, denke ich und beginne, mich umzuziehen.
Als Sieger im Doppel
Neun Jahre später sitze ich am exakt gleichen Ort und schnüre mir wieder die Tennisschuhe. Aber an diesem Finaltag werde ich nicht wie bei meiner ersten Begegnung mit dem Centre Court nur die Garderobe, sondern auch den Court betreten. Zusammen mit Balazs Taroczy will ich gegen Pat Cash und John Fitzgerald den Wimbledon-Doppel-Titel gewinnen. Ich bin angespannt, aber gefasst und voller Selbstvertrauen.
Wir vier bekommen Instruktionen, wie der Einmarsch ablaufen wird. «Ihr werdet ein paar Minuten vor dem Match abgeholt und in den Warteraum geführt, der sich unmittelbar beim Court befindet. Es ist wichtig, dass ihr den Court erst betretet, wenn ihr ein Zeichen bekommt. Der Duke und die Duchess von Kent befinden sich in der Royal Box. Geht ungefähr bis zur Höhe der Aufschlagslinie, dreht und verneigt euch.»
Kurz darauf geht es los. Ich habe seit 1976 mehrmals auf dem Centre Court von Wimbledon gespielt, aber als ich mich artig vor der Royal Box verneige, bin ich wieder einmal überrascht, wie klein der Centre Court wirkt im Vergleich zu anderen Stadien. Dies nicht wegen fehlender Kapazität, sondern weil die Zuschauer in den obersten Reihen unter dem Dach für die Spieler kaum wahrzunehmen sind.
Kommt hinzu, dass der Applaus anders schallt als in Flushing Meadows oder Roland Garros, wo Betonmauern, die scheinbar endlos in den Himmel ragen, jeden Laut um ein Mehrfaches verstärken. In Wimbledon wird fast jeder Hall absorbiert. Alles wirkt viel entspannter, viel intimer – irgendwie zivilisierter.
Als Coach von Steffi Graf
Dazu trägt bei, dass die Planen satt grün sind, die das Feld begrenzen. Ein fürs Auge kaum auszumachender, schwarzer Panther in den Ecken aufgedruckt, ist die einzige Werbung. Eine Wohltat für die Augen. Auf keinem Tennisplatz der Welt ist der Ball besser zu sehen als in Wimbledon.
Die einzigartige Atmosphäre dieses Courts treibt mich zur Höchstleistung. Die Bälle sind gross wie Melonen und fliegen in Zeitlupe. Den Matchball verwandle ich – mit einer für mich zuvor nie gespürten Selbstverständlichkeit – mit einem Ass.
Alte Instinkte sterben langsam. Obwohl ich heute keinen einzigen Ball schlagen werde, schnüre ich mir 1992 die Schuhe fester, um bereit zu sein für das Spiel Steffi Graf gegen Monica Seles. Es ist der zweite Grand-Slam-Final innerhalb vier Wochen, den ich als Steffis Coach aus der Spieler-Box verfolge.
Der Centre Court ist wie immer prächtig herausgeputzt. Von meinem Sitz habe ich einen perfekten Blick auf die Royal-Box. Auch der Duke und die Duchess von Kent sitzen wieder auf ihren Plätzen.
Am TV-Micro bei Federers Ballett
Nach ca. 30 Minuten beginnt es zu regnen. Schnell einmal ist klar, dass es eine Weile dauern wird, bis es weitergeht. Weil die Wetter-Prognose vor dem Final schlecht war, haben wir abgesprochen, uns in ihrem Haus zu treffen, sollte es Pausen geben. Das Haus grenzt unmittelbar an die Trainingsplätze von Wimbledon, sodass Steffi es erreichen kann, ohne durch Zuschauer behelligt zu werden.
Ich trete ein und traue meinen Augen nicht. Steffi sitzt am Esstisch und unterschreibt mitten im Wimbledon-Final gegen Seles in aller Ruhe einen Stapel Autogrammkarten! Der Centre Court von Wimbledon soll das Wohnzimmer von Boris Becker sein? Er ist bei Steffi Untermieter, denk ich mir. Als es schliesslich weitergeht mit dem Final, verliert Steffi nach zweitem Aufschlag keinen einzigen Punkt mehr und gibt gerade noch ein Game ab.
2003 bin ich ganz oben angekommen. Ich sitze hinter einer Glasscheibe direkt unter dem Dach des Centre Courts. Weniger habe ich noch nie vom Centre Court gesehen. Bequem ist es auch nicht, weil es nämlich viel zu heiss oder zu kalt in der Kabine ist – je nachdem, wer gerade an der Klimaanlage schraubt.
Draussen demoliert Roger Federer im Final den Australier Mark Philippoussis. Mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit. Obwohl der Australier Aufschläge mit bis zu 230 km/h ins Feld hämmert, scheint Roger sich nie beeilen zu müssen. Was für eine Eleganz! Roger scheint schwerelos – tanzt Ballett mit einem Tennisschläger.
Es wird nicht sein letzter Titel hier sein, bin ich sicher. Der Platz hat ihn adoptiert – sie gehören zusammen. Gäbe es diesen Platz nicht, müsste ihn jemand erfinden.