Über zwei Jahrzehnte lang gab es für Tennis-Fans eine Konstante. Wer Tickets für Wimbledon ergattert, hat die Chance, Roger Federer (40) in seinem Wohnzimmer spielen zu sehen. Doch dieses Jahr ist es anders, Federer fehlt wegen seiner Knie-Operation. Immerhin kann sein Konterfei aus Pappe bei den Anhängern für Heiterkeit sorgen.
Die Eintritte für Wimbledon gehen jedes Jahr weg wie «warmi Weggli» – besonders für die beiden Hauptplätze Centre Court und Court No. 1. Wer nicht das Glück hat, eines der begehrten Tickets zu schnappen, muss nicht zwingend in die Röhre schauen. Man braucht nur etwas Geduld und vorzugsweise eine Vorliebe fürs Campen.
Die «Queue» ist in Wimbledon eine Institution wie Erdbeeren mit Rahm. Eingefleischte Tennis-Fans stehen teils Tage im Voraus im Wimbledon Park an. Je 500 Tagestickets gibts für die grossen Courts, zu vergeben. «1995 habe ich das erste Mal Wimbledon besucht. Ich bin zum elften Mal hier. Campen tue ich zum sechsten Mal», sagt Takayuki.
Zwei Wochen lang wird gecampt
Der Japaner ist aus Osaka nur mit seinem Zelt angereist, zwei Wochen lang wird nur gecampt. «Hier lieben es alle, zu campen und man lernt tolle Leute kennen. Man bekommt fantastische Tickets für die ersten fünf Reihen. Früher war man dann extrem nah an Roger dran. Es war unglaublich.»
Gemäss Takayuki ist die Abwesenheit des «Maestro» der Grund, warum nur rund ein Drittel so viele Leute wie früher anstehen. Das bestätigt auch Sicherheitsmann Tony, der freudig neben dem Papp-Federer posiert. «Früher konnte man immer sagen, wann ein Tag ansteht, an dem Federer spielen wird. Es gab dann immer viel mehr Leute, die angestanden sind. Auch bei Rafael Nadal war dies der Fall.»
Tatsächlich gibts am ersten Mittwoch nur zwei Reihen mit aufgestellten Zelten. Die Wiese, die sich über die Fläche mehrerer Fussballfelder erstreckt, bietet noch sehr viel Platz. Einige nutzen ihn, spielen Strandtennis oder Badminton. Bei den meisten fliesst Bier oder das in Wimbledon beliebte Pimm’s – ein Likör, der auf Gin basiert und mit Limonade serviert wird.
Mehr Wimbledon
Susanne, Michelle, Greg und Dave lassen sich den Drink schmecken und spielen Karten, die britische Flagge ziert ihr Zelt. «Wir vermissen ihn sehr – natürlich. Wie kann irgendjemand im Sport Roger nicht vermissen. Wir sind das 38. Jahr in Folge hier, also haben wir jeden seiner Auftritte gesehen», sagt Susanne.
Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels. «Wir haben auch schon unsere Tickets für den Laver Cup – für alle fünf Sessions. Wir werden ihn also spielen sehen.»
Murray und Raducanu können Roger nicht ersetzen
Wem sie in Wimbledon in Abwesenheit Federers die Daumen drücken, ist klar: «Andy Murray!», kommt es von den Londonern wie aus der Pistole geschossen. Leider verabschiedet sich dieser wenige Stunden später aus dem Turnier. Wie auch ihr zweiter britischer Liebling: Emma Raducanu.
Doch nicht nur Camp-Verteranen schlagen sich die Nacht um die Ohren vor den Toren des All England Clubs. Federers Namensvetter Roger ist mit Ivi und Kasha aus Wales angereist. Die beiden Frauen kommen ursprünglich aus Krakau, freuen sich besonders auf ihre polnische Landsfrau Iga Swiatek. Für Roger gibts aber nur den Maestro. «Ich weiss noch, als er 19 war und erstmals seine Rückhand mit Top-Spin ausgepackt hat – unglaublich. Früher hatte er noch seine Wutausbrüche, hat Schläger zertrümmert. Danach wurde er aber zur Legende und zu ‹Mr. Cool›.»