Was für eine Frage! Als die Social-Media-Abteilung der US Open nach dem Auftakterfolg von Stan Wawrinka (38) abstimmen liess, ob sie ein Best-of der Rückhand-Schläge des Schweizers zusammenschneiden solle, war das Verdikt glasklar: Nur her damit. «Wenn Sie uns die Definition von Kunst zeigen wollen, dann ja», schrieb ein Fan darunter.
Wawrinka löst mit seiner einhändigen Rückhand einmal mehr Begeisterungsstürme aus. Sie hat dem Romand zu einigen wichtigen und sehenswerten Punkten im Duell mit Yoshihito Nishioka (7:6, 6:2, 6:4) verholfen. Aber vor allem ist sie eins: Kult. Ja, gar «geschwungenes Weltkulturerbe», wie es die «Süddeutsche Zeitung» einst in einer Würdigung des wohl elegantesten Schlages im Tennis beschrieb.
Roger Federer (42) praktizierte sie auch, und zwar in einer nie dagewesenen Schönheit, wie der «Tennis Channel» findet. Das Onlineportal und TV-Format hat eine Rangliste der besten Spieler mit einhändiger Rückhand erstellt. Federer führt diese vor der früheren belgischen Weltranglistenersten Justine Henin (41) an. Wawrinka, bei dem man den Schlag in erster Linie mit unglaublicher Power und Beschleunigung verbindet, liegt auf Rang drei.
Weiter hinten folgen andere Grössen wie Rod Laver (85), Carla Suarez Navarro (34), Stefan Edberg (57) und Arthur Ashe (1943–1993) bis hin zu Amélie Mauresmo (44). Auffällig dabei: Aus den Top 20 der genannten Liste sind einzig noch Wawrinka, Richard Gasquet (37) und Dominic Thiem (29) aktiv. Der Rest hat die grosse Bühne verlassen. Wie auch bald die einhändige Rückhand?
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Klar ist: Die Spieler, die auf diesen Schlag setzen, sind auf der Tour deutlich in der Unterzahl. Die drei aktuell besten im Ranking der Männer, Carlos Alcaraz (20), Novak Djokovic (36) und Daniil Medwedwew (27), spielen wie die meisten der Top 100 mit beidhändiger Backhand. Gleiches gilt für die Weltspitze der Frauen um Iga Swiatek (20), Aryna Sabalenka (25) und Jessica Pegula (29) sowie die beste Schweizerin Belinda Bencic (26).
«Ich bin hier, damit sie nicht ausstirbt»
«Das Spiel hat sich noch mehr Richtung beidhändige Rückhand verschoben», sagt Stefanos Tsitisipas (25), der sich zu Beginn der US Open zu diesem Thema geäussert hat. Die griechische Weltnummer sieben erklärt sich die Entwicklung so: «Manche sagen, mit zwei Händen ist der Schlag sicherer, andere meinen, die Kontrolle sei besser.» Er selbst habe aber nach wie vor «viel Vertrauen» in die einhändige Variante. Er sei von Pete Sampras (52) und Federer inspiriert worden. Die beiden hätten sich in seinem Herz derart festgesetzt, dass ein Wechsel für ihn unvorstellbar sei: «So gross es klingen mag: Ich möchte in dieser Hinsicht Federers Nachfolger sein. Ich bin noch weit von ihm entfernt, doch es ist mir ein Anliegen, weiter mit der einhändigen Rückhand zu spielen. Ich bin hier, damit sie nicht ausstirbt.»
Tsitsipas ist 25 und gehört mit Denis Shapovalov (24) und Lorenzo Musetti (21) derzeit zu den jüngsten Spielern an der Weltspitze, die auf diesen Schlag setzen. Allzu viele kommen nicht nach. Und das verwundert beim Blick auf den Nachwuchs auch nicht.
Alessandro Greco, Leiter Spitzensport bei Swiss Tennis, sagt auf Blick-Anfrage, dass der Grossteil der aufstrebenden Youngsters die Backhand mit beiden Händen spiele. Dasselbe bestätigt Rodolphe Handschin von der TIF Tennis Academy, einem der grössten Nachwuchszentren der Schweiz mit Standorten in Basel und Allschwil BL. Er meint: «Ein entscheidender Punkt ist sicherlich, dass Kinder heutzutage viel früher mit Tennis beginnen. Und hierbei ist oft der erste Reflex, dass man den Schläger im Rückhand-Spiel mit zwei Händen anpackt.»
Blick-Tennisexperte Heinz Günthardt (64) erklärt, was für die beiden Varianten spricht: «Wer die einhändige Rückhand beherrscht, ist nicht selten im Spiel über die Backhand deutlich stärker. Bei Stan Wawrinka oder auch Richard Gasquet beispielsweise ist das so. Über die Jahre sind sie hier solider als über die Vorhand. Der Vorteil der einhändigen Rückhand? Man hat eine grössere, zusätzliche Reichweite. Wer beidhändig spielt, hat mehr Kontrolle – und die Möglichkeit, mit der zweiten Hand den Schlägerkopf kurzfristig an den richtigen Ort zu bringen, wenn das Timing beim Schlag nicht stimmt. So verfügt man über ein Steuerelement mehr.»
Blick-Tennisexperte Heinz Günthardt (64) erklärt, was für die beiden Varianten spricht: «Wer die einhändige Rückhand beherrscht, ist nicht selten im Spiel über die Backhand deutlich stärker. Bei Stan Wawrinka oder auch Richard Gasquet beispielsweise ist das so. Über die Jahre sind sie hier solider als über die Vorhand. Der Vorteil der einhändigen Rückhand? Man hat eine grössere, zusätzliche Reichweite. Wer beidhändig spielt, hat mehr Kontrolle – und die Möglichkeit, mit der zweiten Hand den Schlägerkopf kurzfristig an den richtigen Ort zu bringen, wenn das Timing beim Schlag nicht stimmt. So verfügt man über ein Steuerelement mehr.»
Greco führt an, dass dieser Grundsatzentscheid auch oft mit Vorbildern zu tun hat: «Kids, die Federer zugeschaut haben, wollten natürlich so sein wie er. Nun gibt es da einen Alcaraz, der alle entzückt, aber zweihändig spielt.» Wie eben (fast) alle an der Weltspitze.
«Das kann eine echte Qualität sein»
Handschin entgegnet derweil, er habe trotz allem keine Angst, dass die einhändige Rückhand aussterben könnte: «Für mich geht es im sehr frühen Stadium der Ausbildung darum, ob jemand die nötige Hüftdrehung hinkriegt. Wenn das funktioniert, ist die Voraussetzung für die beidhändige Rückhand da. Wenn nicht, kann man sie einhändig spielen. Und das kann ebenfalls eine echte Qualität sein – und sieht super elegant aus. Auch wenn er nicht mehr so häufig vorkommt, ist dieser Schlag für mich nach wie vor eine valable Variante.»
Auch Greco betont, man empfehle den Talenten bei Swiss Tennis nur in den seltensten Fällen eine Änderung der Technik. «Wer darauf setzen will, sich wohlfühlt und trotzdem sauber spielt, darf das gern machen.» Greco und Handschin schwärmen unisono vom erst 16-jährigen Henry Bernet, der aktuell Schweizer Meister auf seiner Stufe und ein grosses Zukunftsversprechen ist. Der junge Basler hofft, eines Tages wie Federer oder Wawrinka mit seiner einhändigen Rückhand die Fans entzücken zu können.
Handschin meint schmunzelnd: «Ich glaube nicht, dass die einhändige Rückhand verschwindet. Klar, sie wird ein Nischenprodukt bleiben – doch wenn man sie beherrscht, ist sie eine echte Granate und einfach nur spektakulär.»
Wawrinka hat sie perfektioniert. Und der dreifache Grand-Slam-Sieger dürfte sie auch am Donnerstag in der zweiten Runde der US Open gegen Tomas Martin Etcheverry (24) wieder auspacken. Dann sei allen Liebhabern empfohlen: Zurücklehnen und geniessen, solange «Stan the Man» noch auf der Tour ist.