Es war eine Nacht voller Tränen und Emotionen. «Mach bitte nicht den Stan», schrie das SRF-Duo Stefan Bürer und Heinz Günthardt als Bencic gegen die Russin Swetlana Kusnezowa (35) auch den vierten Matchball vergeigte.
«Irgendwie durchgekommen»
Der Westschweizer Stan Wawrinka (35) hatte am Mittwoch gegen den Ungarn Fucsovics drei Matchbälle vergeben. Doch Belinda behielt die Nerven und verwandelte den fünften Matchball.
Das zeitweise vom unglaublichen Spielverlauf zum Glück gebremste SRF-Plauderduo zog nach einer Berg- und Talfahrt das richtige Fazit: «Irgendwie ist sie durchgekommen. Die Schweiz bleibt bei den Australian Open vertreten.»
5 Stunden und 6 Minuten
Gegen Lauren Davis (USA) hatte die Nummer 11 des Turniers 2:27 Stunden gebraucht – und jetzt musste Bencic noch zwölf Minuten mehr arbeiten. Macht vor dem Match am Samstag gegen die Belgierin Elise Mertens (25, die Nummer 18) total fünf Stunden und 6 Minuten.
Solange stand bis jetzt beim Turnier keine andere Spielerin in den ersten zwei Runden auf dem Platz. Aber wer über 50 Fehler und 12 Doppelfehler macht, darf sich nicht wundern. Belinda lachte beim Sieger-Interview: «Oft war ich wütend auf mich, aber das hat geholfen!»
«Wieder ein Geschenk, danke»
Und die TV-Fans kamen mit Bencic zum zweiten Dreisatz-Krimi. «Wieder ein Geschenk, danke», hörte man auf SRF, als die zweifache Grand Slam-Siegerin Swetlana Kusnezowa (US Open 2004 und Paris 2009) wieder mal die leichtesten Bälle verschlug.
Im dramatischen letzten Satz, wo die Russin einen 0:2-Rückstand in ein 3:2 mit Breakchance verwandelte, liessen die physischen und mentalen Kräfte nach. Die Routine spielte im Körper nicht mehr mit.
Bencic: 10 Minuten Fusspflege
Da konnte Bencic nach einem vorher zehnminütigen Medical Timeout (beide Füsse verarztet) ihre bessere Fitness und ihre Jugend ausspielen. Glück, dass sie für die klar überzogene Zeit keine Strafe kassierte.
Es war die Phase, wo Bürer und Günthardt innert drei Minuten alles erlebten: «Was ist denn hier los? Belinda macht nur noch Fehler. Es kommt keine Unterstützung vom Aufschlag mehr. Und jetzt die Steigerung zum richtigen Zeitpunkt. Nein. das darf doch nicht wahr sein. Jetzt muss sie nur noch irgendwie durchkommen!»
Wie weit geht Belindas Reise?
Die beidseitige Fehlerorgie, die natürlich nie ein schönes Spiel aufkommen liess, brachte Bencic mit 7:5 den ersten und Kusnezowa mit 6:2 den zweiten Satz.
Für Bencic heisst es jetzt: Vom Start weg präsent zu sein und die viel zu vielen Eigenfehler einzudämmen. Sonst geht die Reise in Melbourne vielleicht nicht mehr mal in die nächste Woche.
Die mangelnde Spielpraxis und die harte Quarantäne haben auch die meisten andern Spielerinnen auf ihrem Ausrede-Zettel.
Jetzt tschechisches Duell
Die Nacht hatte mit dem mühevollen 7:5, 6:2-Sieg der Nummer 6, Karolina Pliskova (28), begonnen. Sie tat sich gegen die stets unzufriedene Amerikanerin Danielle Collins (27) schwer.
2019 hatte sie es in Melbourne nach dem Sieg über Kerber sogar in den Halbfinal geschafft. Jetzt blieb sie ihrem Sensations-Ruf einiges schuldig.
Pliskova muss jetzt gegen ihre Landsfrau Karolina Muchova antreten, die mit Mona Barthel und 6:4, 6:1 die letzte deutsche Frau raushaute.
Belinda und Donna hoffen…
Achtung, die Siegerin aus dem Tschechinnen-Duell trifft dann im Achtelfinal auf die Gewinnerin von Bencic – Mertens!
Ebenfalls interessant: Nach dem 3:6, 2:6-Aus der nur als Nummer vier gesetzten Titelverteidigerin Sofia Kenin (22) muss jetzt ihre Bezwingerin, die bereits 35-jährige Estin Kaia Kanepi, gegen die langjährige Wawrinka-Freundin Donna Vekic (24) ran. Die Kroatin ist die Nummer 28 im Turnier.
Ist die Nummer 1 verletzt?
Zu einem kuriosen Zweikampf kam es ab drei Uhr auf Eurosport. Die etwas langweilige Nummer 1, Ashleigh Barty (24), wollte vor dem Heimpublikum gegen die gebürtige Russin Daria Gawrilowa (26, für Australien startend) eine Show abziehen. Und schon stand es 6:1, 5:2…
Und dann lief kaum noch etwas. Ihr bandagierter Oberschenkel schien Barty zu lähmen. Und plötzlich lag Gawrilowa 6:5 vorne! Im Tiebrak rettete sich dann die angeschlagene Lokalheldin mit 9:7 vor einem dritten Satz – und ihre untröstliche Freundin weinte bittere Tränen.
Tsitsipas gibt zwei Sätze ab
Da die TV-Nacht meist nur den Frauen gehört, freute man sich ab 04.54 Uhr auf den Auftritt des griechischen Geheimfavoriten Stefano Tsitsipas (22). Er musste gegen einen «Landsmann» ran: Thanasi Kokkinakis (24) – und der hat seine Wurzeln in Athen.
Eine klare Sache? Nein, Kokkinakis nach vielen Verletzungen und einer über ein Jahr lang dauernden Pause auf ATP-Rang 267 abgestürzt, nutzte als Australier die Wild Card.
Er schlug 2018 Roger Federer
Und schockte der klare Aussenseiter Tsitsipas nicht nur im ersten Satz, den der Favorit nach zwei vergebenen Satzbällen sogar mit 6:7 im Tiebrak verlor!
Auch im zweiten Satz forderte Kokkinakis bei jedem Punkt das ganze Können von Tsitsipas heraus – 4:6. Und 2018 hatte er beim Miami Open für eine echte Sensation gesorgt, als er Roger Federer (die damalige Nummer 1) rauswarf!
In Melbourne darf er zumindest an einer solchen schnuppern: Tsitsipas holt sich Satz drei mit 6:1., der vierte Durchgang geht im Tiebreak an Kokkinakis, ehe sich der Grieche mit 6:4 im Fünften doch noch durchsetzt.