Es ist das Heiligtum eines jeden Tennisspielers: der Schläger. Ein scheinbar einfaches Konstrukt, das von Profi zu Profi nicht unterschiedlicher sein könnte. Gewicht, Länge, Schlägerkopf-Grösse, Balancepunkt. Und dann ist da noch die Bespannung, eine Wissenschaft für sich.
Der Albert Einstein ebendieser ist Misel Milovanovic. Es gibt keine Frage, die er nicht beantworten kann. Es gibt kaum einen Tennis-Star, dessen Schläger noch nicht auf seiner Maschine lag. Der 44-Jährige ist seit 24 Jahren an den Swiss Indoors als Bespanner tätig, reist aber auch um den Globus und bespannt Schläger in Wimbledon oder Australien. Als Blick den Saiten-Maestro trifft, liegen gerade Rackets von Holger Rune (20), Casper Ruud (24) und Félix Auger-Aliassime (24) bereit und warten auf neue Saiten.
In der Regel bringen die Profis zwischen drei und fünf Schläger gleichzeitig – mindestens einmal pro Tag. «Wir bespannen am Tag zwischen 60 und 80 Schläger, jeder dauert etwa 15 Minuten», sagt Milovanovic. Er und seine vier Mitarbeiter kommen so regelmässig auf 16 bis 18 Stunden pro Tag, mit Arbeitsbeginn um ca. 7 Uhr. Doch an diesem Donnerstag erlebt der Basler ein Novum: «Ich bin heute in 24 Jahren erstmals um 9.30 Uhr in die Halle gekommen.»
Unterschiedliche Marotten machen Tage unplanbar
Milovanovics Kollege Timo schaltet sich kurz ein, auch er zieht einem Schläger neue Saiten auf. «Du weisst nie, wann sie kommen», meint er. Ruud möge es etwa, wenn seine Rackets kurz vor seinem Spiel bespannt werden. Da pflegt Auger-Aliassime eine andere Routine: «Er bringt sie immer im etwa gleichen Abstand. Am Mittwoch spielte er eher früh, weshalb er uns gebeten hat, die Schläger in der Nacht zu bespannen.»
Warum diese unterschiedlichen Marotten? Selbst wenn die Schläger nicht benutzt werden, verlieren die Saiten an Spannung, vor allem wegen der Temperaturschwankungen. «Die meisten bevorzugen es, möglichst knapp vor ihren Matches die Schläger vorbeizubringen.» Wenn sie spät spielen und am Morgen noch trainieren, sei es nicht unüblich, dass Milovanovics Team dieselben Schläger zweimal am Tag bespannen muss.
4,4 Kilometer Saiten in sieben Turnier-Tagen
Der Schweizer Shootingstar Dominic Stricker (21), der mit sechs bis acht Schlägern an die Turniere reist, lässt für gewöhnlich nur Teammitglied Markus Leuenberger und seinen Vater ran. An den Swiss Indoors schenkt er aber auch Milovanovics Team das Vertrauen: «Die ersten drei Tage hat Stricker seine Schläger anderweitig bespannen lassen, dann hat er sie plötzlich hier abgegeben.»
Der Verbrauch an Saiten ist hoch. 4,4 Kilometer sind es in den ersten sieben Tagen (11 Meter pro Schläger)! Milovanovic, der in Allschwil BL einen eigenen Shop betreibt, verrät, dass an den diesjährigen Swiss Indoors der Rekord an zu bespannenden Rackets geknackt werden dürfte: «Letztes Jahr waren es 474 (in 10 Tagen, d.Red.), jetzt sind wir bereits bei knapp 400.» Und was geschieht mit den Überresten und kaputten Saiten? «Ich würde Zahnstocher daraus machen, natürlich nur mit den Restsaiten, nicht mit den bespielten», so die Vision Milovanovics.
Künstler Milovanovic bedruckt Bälle mit Federers Gesicht
Eine andere hat er bereits in die Tat umgesetzt. Er ist nur einer von zwei Personen weltweit, die Tennisbälle mit Bildern bedrucken. Egal ob Federer, Nadal, Wawrinka oder Alcaraz, er hat sie alle. Teilweise sogar auf Bällen, die er von den Spielern persönlich bekommen hat und handsigniert sind. Mal verkauft er sie, mal verschenkt er sie oder spendet die Einnahmen, die er daraus macht.
Wie das funktioniert? «Ich habe eine Maschine zum Eierbemalen gekauft und die umfunktioniert.» Mit neuer Software habe er es nach zigtausend Versuchen geschafft, die Köpfe auf die Bälle zu drucken. Er gibt zu: «Ich bin fast verzweifelt und war kurz vor dem Aufgeben.» Doch er hat es hinbekommen, die Tennis-Stars feiern seine Filzkugeln.
Den speziellsten Auftrag bekam er von der früheren Weltnummer 1 Martina Hingis (43) und ihrem Ex-Mann Harald Leemann: «Für ihre Hochzeit musste ich 200 Bälle mit ihren Gesichtern drauf machen.»
«Rücken wird problematisch»
All das erzählt Milovanovic während er Runes Schläger für dessen Achtelfinal-Spiel vorbereitet. Drei sollen mit 25 Kilogramm bespannt werden, einer mit 26. Je härter, desto mehr Kontrolle. Ein Fehler unterläuft dem Chef-Bespanner trotz des Gesprächs nicht. «Es kommt selten vor, dass die Schläger direkt wieder zurückkommen, weil etwas nicht stimmt.»
Es sei ein Automatismus, nachdenken müsse er nicht mehr gross. Was ihm aber zu schaffen macht, ist das viele Stehen. «Es sind nicht mal die Hände, die problematisch sind, sondern der Rücken.» Daher ist er dann auch froh, wenn die 53. Ausgabe der Swiss Indoors Geschichte ist.