Die erste Hälfte dieses Weltcup-Winters ist Geschichte. Und oberflächlich betrachtet sieht die Halbzeit-Bilanz des Schweizer Männer-Teams genial aus. In 21 Rennen hat die Truppe von Cheftrainer Tom Stauffer acht Siege und insgesamt 15 Podestplätze eingefahren.
Doch bei einer genaueren Analyse wird deutlich, dass wir ohne den Ausnahme-Athleten Marco Odermatt (26) wenig Grund zum Jubeln hätten. 14 Podestplätze hat uns der Superstar vom Vierwaldstättersee in dieser Saison beschert. Neben dem alles überragenden Odermatt hat in den letzten Monaten aber nur ein Schweizer den Sprung aufs Podest geschafft: der Walliser Daniel Yule (30) als Dritter beim Kitzbühel-Slalom.
Wenn man im Männer-Nationencup die 1256 Punkte von Odermatt abzieht, belegen wir nicht mehr den ersten, sondern hinter Österreich und Frankreich den dritten Rang.
Erinnerungen an Österreich
Das erinnert einige Skeptiker an Österreich in der Ära von Marcel Hirscher (34). Weil der Salzburger zwischen 2012 und 2019 im Riesen- und Slalom serienweise Siege verbuchte, fiel kaum jemandem auf, dass im ÖSV hinter dem achtfachen Gesamtweltcupsieger eine grosse Lücke klaffte. Das böse Erwachen kam nach Hirschers überraschendem Rücktritt vor fünf Jahren: In der Riesenslalom-Saison 2019/20 schaffte kein einziger Österreicher den Sprung in die Top 5.
Zum Glück hat Swiss-Ski mit Stauffer einen Cheftrainer, der derart nüchtern ist, dass er sich nicht von Odermatts glänzenden Leistungen blenden lassen wird. Und auch Alpin-Chef Hans Flatscher schätzt die aktuelle Lage der Ski-Nation richtig ein: «Abgesehen von Odermatt entsprechen die Resultate unseres Männer-Teams nicht dem Potenzial und den Erwartungen. Und es ist ganz klar, dass wir von einigen Athleten in der zweiten Saisonhälfte etwas mehr erwarten.»
Die Probleme von Meillard und Zenhäusern
Im letzten Winter glänzten neben Odermatt und Yule auch Loïc Meillard (27, viermal), Ramon Zenhäusern (21, dreimal), Niels Hintermann (28, einmal), Stefan Rogentin (29, einmal) und Gino Caviezel (31, einmal) mit Top-3-Platzierungen. Speziell von Meillard und von Zenhäusern wurde das auch dieses Jahr erwartet. «Aber bei Loïc war das Hauptproblem, dass ihm im Riesenslalom zweimal mit sehr guten Zwischenzeiten die Bindung aufgesprungen ist, ohne dass er etwas falsch gemacht hat. Nach solchen Zwischenfällen dauert es einfach ein paar Rennen, bis das Vertrauen wieder voll da ist. Und bei Ramon wird einmal mehr klar, dass der Slalom eine mentale Disziplin ist. Der nötige Grund-Speed ist bei Ramon da, aber im Moment bringt er es nie ganz ins Ziel.»
Hoffnung für die Zukunft
Flatscher glaubt aber, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis diese Athleten wieder vom Podium grüssen werden. Zudem verweist der Alpin-Chef auf die erfreuliche Entwicklung von seiner jungen Garde. «Alexis Monney, Franjo von Allmen, Arnaud Boisset oder Sandro Zurbrügg haben in diesem Winter mehrmals angedeutet, dass sie für den Sprung an die Spitze nicht mehr allzu viel Zeit benötigen werden.»
Erfreulich ist zudem, dass sich der ehemalige Riesenslalom-Spezialist Justin Murisier (32) bereits zweimal in den Top 5 bei Speed-Rennen klassiert hat. Ebenso, dass sich in der Altjahrswoche im Super-G in Bormio zehn Schweizer in den Top 30 klassiert haben.
In Garmisch stehen an diesem Wochenende zwei weitere Super-G-Rennen auf dem Programm. Gut möglich, dass wir dank Odermatt wieder jubeln dürfen.