Darum ist die Schweiz im Grasski nur Aussenseiterin
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Grasski-Weltmeister erklärt:Darum ist die Schweiz im Grasski nur Aussenseiterin

Vierfach-Weltmeister Hüppi (34) erklärt seine Liebe zu Grasski
168 geölte Rädchen, 330 Franken Siegprämie und ein unmoralisches Angebot

Ski-Action mitten im Sommer? Genau das bieten die Rennen auf der Marbachegg. Grasski-Ass Mirko Hüppi (34) erklärt seine Faszination für den Sport, sagt aber auch, woran er leidet.
Publiziert: 10.09.2023 um 13:29 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2023 um 14:48 Uhr
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Willkommen auf der Marbachegg, dem Grasski-Mekka im Entlebuch. An diesem Wochenende gastiert hier der Weltcup.
Foto: keystone-sda.ch

Mirko Hüppi (34) schrubbt, putzt und schraubt. 168 Plastikrädchen hat jeder seiner 95 Zentimeter langen Slalom-Grasski. Nach jedem Rennen ersetzt er sie. Nur dank dieser Rädchen kann er mit den Raupenkonstruktionen an den Füssen über die Wiese auf der Marbachegg LU nach unten donnern. Zum Abschluss ölt er seine Ski, ein Tröpfchen auf jedes Rädchen. «Das dauert gut zwei Stunden. Aber es ist notwendig. Denn wenn sich auch nur ein Grashalm darin verfängt, bin ich nicht mehr gleich schnell.» Dazu muss man wissen: Hüppi ist nicht irgendwer, sondern vierfacher Weltmeister. Vor dem Weltcup-Finale führt er die Super-G-Wertung an – am Sonntag will er die Kugel klarmachen. Hüppi ist ein Star der Szene. «Star? Nein, das gibt es bei uns nicht», sagt er.

Wir treffen Hüppi am Donnerstag eine Stunde vor dem Abschlusstraining auf der Marbachegg. Auf 1483 Metern über Meer sitzt er im schummerigen Technikraum der Gondelbahn – neben Kisten, aufgerollten Schläuchen und leeren Kartons. «Grasski ist in der Schweiz eine absolute Randsportart. In der Nationalmannschaft sind wir drei Männer. Frauen, Juniorinnen und Junioren fehlen.»

Etwa 50 Männer und Frauen fahren in der Schweiz regelmässig Grasski. Der Rest sind Touristen und Gruppen – die meisten wollen es einfach mal probieren. Das ist derzeit nur auf der Marbachegg möglich. Warum? «Es darf keine Steine auf den Pisten haben, dazu muss das Gras gleichmässig geschnitten werden, ideal sind 8 Zentimeter», so Hüppi. Auf Kuhweiden ist Grasskifahren nicht möglich, weil sie mit ihren Hufen Löcher in den Boden stampfen. Wichtig ist auch ein Skilift, der die Fahrer wieder nach oben bringt. Auf der Marbachegg ist das ein Tellerlift. «Dieser muss vor dem Betrieb abgenommen werden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Dazu braucht es gemäss Vorschriften eine Person, die den Bügel übergibt, und eine, die den Ausstieg überwacht.» Das alles führt zu ergiebigen Kosten – zuletzt stellte man am Atzmännig SG auch deswegen den Grasski-Betrieb ein. Bleibt die Marbachegg.

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Der Zehnte erhält 80 Franken Preisgeld

Hüppi arbeitet zu 100 Prozent als Geschäftsführer der Familienschreinerei in Gommiswald SG. Praktisch seine ganze Freizeit geht im Sommer für das Skifahren drauf. «Für einen Weltcupsieg gibts 330 Franken, der Zehnte bekommt 80 Franken», erzählt er. Zum Vergleich: Im Winter erhält Marco Odermatt (25) regelmässig 50’000 Franken, wenn er das oberste Treppchen erklimmt. Die Preisgeld-Unterschiede sind enorm, obwohl Grasski bereits 1985 vom Internationalen Skiverband integriert wurde – auch beim Weltcup im Entlebuch weht eine FIS-Fahne.

Hüppi schätzt seine Auslagen auf 4000 bis 15’000 Franken pro Saison, je nachdem, ob er auch Überseerennen fährt. Hüppi investiert nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld in sein Hobby – er zahlt fast alles aus der eigenen Tasche. «Das habe ich nie bereut. Das Adrenalin, das ich spüre, wenn ich über die Wiese donnert, ist genial.» Tatsächlich erreicht Hüppi im Slalom und Riesenslalom bis zu 70 km/h, im Super-G liegen knapp 90 km/h drin. Die Grasski-Technik ist dabei ähnlich wie jene auf Ski im Winter. Mit einem grossen Unterschied: Es gibt kein Driften und kein Anrutschen, alles wird auf Zug gefahren. Wer bremsen will, muss den Hang hochfahren. Auf oberstem Niveau macht das keiner. «Alles oder nichts» ist darum auch Hüppis Motto, seit er mit 17 Jahren im Weltcup debütierte.

«Wir sind alle Idealisten»

Finanzielle Unterstützung erhalten Hüppi und Co. von Swiss-Ski nicht. «Immerhin ein Renndress gibts pro Jahr», sagt er schmunzelnd. Auch von Swiss Olympic kommt wenig, weil der Sport nicht olympisch ist. «Wir sind alle Idealisten», meint Hüppi und zeigt auf das Zelt, wo sich seine Konkurrenten fürs Training bereitmachen. Konkurrenten? Es sind eher Freunde oder zumindest Kollegen. «Jeder kennt jeden, es ist wie eine grosse Familie, wir haben eine gute Zeit zusammen.»

Wer nun meint, dass die Grasskifahrer – auch Frauen fahren im Weltcup auf den gleichen Strecken – ihre Passion nicht ernst nehmen, wird vor Ort schnell eines Besseren belehrt. Zwar wird immer wieder geflachst, doch am Start ist Schluss mit lustig – da ist jeder konzentriert. «Bänderverletzungen wie im Winter sind selten. Es sind vielmehr Schultern und Arme, die gefährdet sind – vor allem dann, wenn die Rollen blockieren», so Hüppi. Er selbst war noch nie verletzt – Prellungen und Schürfungen mal ausgenommen.

Ex-Slalom-Ass Plaschy war schon da

Wie lange Hüppi noch fahren wird, ist ungewiss. Vielleicht hängt er noch eine Saison an. Ein Anliegen ist ihm, dass «sein» Sport in der Schweiz nicht ausstirbt. «Unser Ziel ist, in einigen Jahren fünf bis zehn Athletinnen und Athleten im Weltcup zu haben», meint auch Walter Schacher. Er ist Präsident des Grasskiklubs Escholzmatt-Marbach und im OK der Weltcuprennen. So wie Hüppi ist er überzeugt, dass viel Potenzial brachliegt. «Es gibt enorm viele junge Skirennfahrer, die den Sprung nach oben nicht schaffen. Sie hören mit dem Wettkampfsport einfach auf – dabei wären sie prädestiniert, um im Grasski Fuss zu fassen.»

Gleichzeitig wünscht sich Schacher, dass Grasski von den Skiklubs als Alternativ-Training zum Winter berücksichtigt würde. Immerhin: Im letzten Jahr sei Slalom-Altmeister Didier Plaschy (50) mit Nachwuchsfahrern von Ski Valais da gewesen. «Didier ist sehr offen für alternatives, polysportives Training. Das bräuchte es häufiger.»

Ein unmoralisches Angebot

Zurück zu Hüppi. Wuchtig katapultiert er sich von der Startrampe, um danach jede Unebenheit des Bodens zu schlucken. Ein Rattern ist nicht zu hören, wenn er vorbeifährt – es ist vielmehr ein Zischen. Alles geht gut, auch das Slalomtraining. Kurz darauf sitzt Hüppi vor einem Kessel mit Schaumwasser, reinigt penibel mit einem Schwamm seine Grasski und erzählt: «In Beirut fuhren wir nach der Landung an Häusern mit Einschusslöchern vom Krieg vorbei. Es war ein grosses Elend, die Leute mausarm. Eine Stunde später kamen wir in einem Resort an, wo die Rennen stattfanden. Dort herrschte purer Luxus, Porsches und Maybachs standen herum. Das gibt mir schon zu denken – bis heute.»

Anders als im Libanon war es für Hüppi im Iran – das Land am Persischen Golf ist neben Japan, Italien und Tschechien eine Grasski-Hochburg. «Die Begeisterung im Zielraum war riesig, wir wurden wie Helden gefeiert. Und dann kam tatsächlich ein Mann zu mir und sagte: ‹Ich fände es gut, wenn Sie meine Tochter heiraten würden. Was meinen Sie?› Ich fiel aus allen Wolken und lehnte natürlich ab.»

Klimaerwärmung als Chance

Zurück ins Entlebuch. Am Freitag gewinnt Hüppi den Slalom, am Samstag den Riesenslalom. «Eine kleine Revanche für die verpatzte WM», sagt er. Der Hintergrund: Vor einer Woche ging er in Cortina (It) leer aus. Besonders freut sich Hüppi auf den Super-G vom Sonntag, bei dem bis zu 1000 Zuschauer erwartet werden.

Übrigens: Das Öl, mit dem alle Athleten ihre Raupenkonstruktionen einschmieren, ist biologisch abbaubar. Auch die Wiese ist von den Fahrten kaum gekennzeichnet. Und man überlegt sich unweigerlich: Was, wenn die Klimaerwärmung so weitergeht? «So doof es klingt – das könnte eine echte Chance für unseren Sport sein», so Hüppi.

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