Wenn vom 4. bis zum 16. Februar im österreichischen Saalbach-Hinterglemm um die WM-Medaillen gekämpft wird, steht Ski-Superstar Marco Odermatt (27) quasi im Dauer-Fokus. Es gibt wohl kaum einen anderen Athleten, der sich in so vielen Disziplinen berechtigte Hoffnungen auf Edelmetall machen kann.
Dass Odermatt nicht immer dieser Dominator auf der Piste war und jüngst sogar im Ski-Mekka Kitzbühel unerkannt blieb, zeigen Anekdoten, die Weggefährten gegenüber Blick zum Besten geben.
Das Jahr, als Marco Odermatt chancenlos war
Dass der Buochser Odermatt eines Tages selbst die ältesten Rekorde von Ski-Granden ins Visier nehmen könnte, hat sein Vater Walti Odermatt vor nicht allzu langer Zeit für unmöglich gehalten. «Es war im März 2012, als ich erstmals mit Marco nach Italien zum weltweit grössten Jugend-Skirennen, der Trofeo Topolino, reiste. Obwohl er gute Läufe gezeigt hat, hatte er im Vergleich mit seinen gleichaltrigen Kollegen deutlich das Nachsehen.»
Der Bulgare Albert Popov war pro Durchgang rund vier Sekunden schneller als Marco Odermatt. Im selben Jahr hat der Nidwaldner Skiverband auf der Klewenalp die Schweizer Meisterschaften der JO (Jugendorganisation) organisiert. Papa Odermatt dazu: «Weil Marco praktisch jeden Pistenarbeiter persönlich kannte, wollte er diesen Leuten auch etwas Besonderes bieten. Aber er war im Riesen wie im Slalom im Kampf um die Medaillen absolut chancenlos.»
Weil der damalige Swiss Ski-Nachwuchscheftrainer Osi Inglin das grosse Potenzial trotz körperlichen Defiziten aber erkannt hat, wurde Marco 2015 dennoch für den C-Kader von Swiss-Ski selektioniert.
Mit Feuz im Krankenhaus
Es war genau in dieser Phase, dass sich Beat Feuz nach seinem schweren Knie-Infekt zum grossen Leader im Schweizer Team entwickelte. Der vierfache Abfahrts-Gesamtweltcupsieger lässt mit einer Anekdote durchblicken, dass er Odermatt anfänglich ziemlich zartbesaitet wahrgenommen hat.
«Es war im Dezember 2020, als ich mich beim Super-G in Gröden gröber an der Hand verletzt habe. Bevor ich am Nachmittag zur genauen Untersuchung ins Krankenhaus gefahren bin, hat man mir gesagt, dass mich der Odermatt zum Arzt begleiten würde, weil der im selben Rennen ebenfalls eine ernsthafte Blessur an der Hand erlitten habe.» Als sich die beiden wenig später auf dem Parkplatz vor dem Mannschaftshotel begegneten, war für Feuz schnell klar, dass es uns nicht gleich schwer erwischt hat. «Während meine Hand richtig ‹gfürchig› aussah, hat bei ihm optisch nun wirklich rein gar nichts auf einen Bruch hingedeutet.»
Das MRI bestätigt Feuz' Verdacht dann kurz darauf. «Bei Odi war nicht der geringste Schaden zu erkennen, bei mir wurde der Bruch des fünften Mittelhandknochens diagnostiziert.»
Legenden-Status in Andorra
Dass sich der «wehleidige Odi» im Rekordtempo zu einer der eindrücklichsten Erscheinungen in der Weltcup-Geschichte entwickelt hat, bemerkte Deutschlands Ski-Papst Felix Neureuther 2023 beim Finale in Soldeu: «Als ich in den frühen 2000er-Jahren in den Ski-Zirkus gekommen bin, gaben die Giganten Hermann Maier, Bode Miller oder Kalle Palander nicht nur auf der Piste, sondern auch bei Après-Ski-Partys den Ton an. Ich habe immer geglaubt, dass es solche Typen nie mehr geben würde. Aber dann durfte ich miterleben, wie Marco Odermatt in Andorra nach dem Gewinn der Super-G-Kugel in herminatorischer Manier Party gemacht hat.»
Und der Deutsche wird noch deutlicher: «Henrik Kristoffersen hat sehr wahrscheinlich in seinem ganzen Leben nicht so viel Gerstensaft konsumiert, wie Marco in dieser Nacht. Trotzdem hat Odermatt den verbissenen Norweger zwei Tage später im Riesenslalom mit einem Vorsprung von zwei Sekunden auf den zweiten Platz verwiesen. Es war für mich so schön miterleben zu dürfen, dass ein Top-Athlet wie Odermatt, der in der grössten Phase der Rennsaison absolut seriös lebt, eben auch einmal das Ventil öffnet.»
Unerkannt in Kitzbühel
Dass sich der Jahrhundert-Sportler vom Vierwaldstättersee abseits der Piste tatsächlich in den meisten Fällen eher unscheinbar verhält, belegt eine weitere Erzählung von Beat Feuz: «In der letzten Kitzbühel-Woche bin ich am Donnerstag mit Odi und Justin Murisier durch das Zentrum von dieser kleinen Stadt spaziert. Irgendwann hat mir ein Wirt, den ich zuvor noch nie gesehen habe, zugerufen: ‹Beat, komm mit deinen Kollegen zu mir ins Lokal. Ich serviere euch den besten Espresso in Kitzbühel!›»
Das Schweizer Trio hat diese Einladung gerne angenommen. Während der Wirt mit südländischen Wurzeln die Espressi servierte, wollte er wissen, wie es uns in den Abfahrts-Trainings auf der Streif gelaufen sei? «Nachdem ich dem guten Mann erklärt habe, dass ich meine Rennfahrer-Karriere vor zwei Jahren beendet habe, machten Marco und Justin deutlich, dass die beiden Trainingsfahrten nicht wie gewünscht verlaufen wären. Der Wirt wollte die beiden trösten: ‹Ihr Schweizer müsst euch im Hinblick auf die Rennen trotzdem keine Sorgen machen, schliesslich habt ihr ja den Odermatt in der Mannschaft!›»
Für Aufklärung sorgt Beat Feuz persönlich: «Als ich dem Wirt erklärt habe, dass dieser Odermatt gerade bei ihm an der Espresso-Bar sitzt, hat ihn schier der Schlag getroffen …»