Wann kommt er, der erste Podestplatz? Eine Frage, die Camille Rast (25) nicht besonders mag. «Ich will einfach immer besser Ski fahren und Spass haben. Ist das der Fall, klappt es auch mit dem Podium», sagt sie. Genervt wirkt die Walliserin dabei nicht, vielmehr gelassen. Verletzungen, Depressionen, Krankheiten: Rast hat zu viel erlebt, als dass sie sich nun verrückt machen lässt. «Sie ist eine sehr reife Persönlichkeit», sagt Ex-Slalom-Ass Didier Plaschy (51).
Der SRF-Experte weiss: Rast ist reif fürs Podest. In der vergangenen Saison wurde sie zweimal Vierte und war am Ende die Nummer 9 der Slalom-Weltcup-Rangliste. Es folgte ein Sommer, in dem sie endlich einmal ohne Beschwerden durchkam. «Ich bin zum ersten Mal richtig gesund», sagte sie. Und siehe da: In Levi (Fi) vor einer Woche wurde sie auf einem Hang, der ihr wegen der langen Flachstücke nicht besonders liegt, Fünfte.
Und jetzt folgt also Gurgl (Ö). Hier, am Ende des Ötztals, fahren die Frauen erstmals überhaupt. Und die Piste Kirchenkar ist genau nach Rasts Gusto: steil, sehr steil. «Der Piste raubt selbst routinierten Profis den Atem», schreibt der Veranstalter.
Die Zahlen dazu: Bei einer Streckenlänge von 548 Metern werden satte 210 Höhenmeter vernichtet, die durchschnittliche Neigung liegt bei 38,3 Prozent. Zum Vergleich: In Sölden, das nur 15 Autominuten von Gurgl entfernt liegt, sind es 33,1 Prozent.
Diavolezza-Eispiste war ideale Vorbereitung
Das alles sind Werte, die Rasts Herz höher schlagen lassen. «Ich bin im Wallis aufgewachsen, da hat es viele steile Pisten. Ich habe mich also schon früh daran gewöhnt.» Als Rast dies sagt, sitzt sie in der Lobby des Hotels Mühle Resort in Obergurgl. Draussen ist es 8 Grad minus, es schneit. Drinnen läuft dezente Saxophon-Musik, ein Barkeeper mixt ab und zu einen Cocktail – erst nach dem Weltcup startet die Skisaison für die Touristen so richtig.
Weil das freie Training in Gurgl am Donnerstag ausfiel (das Rennen ist nicht gefährdet), trainierten Rast und ihre Teamkolleginnen vor der Anfahrt noch auf der Diavolezza GR. Dort hatte Swiss-Ski in stundenlanger Arbeit mit dem Sprühbalken einen Hang komplett vereist, um die Gurgl-Bedingungen zu simulieren. «Es war sehr cool, richtig anspruchsvoll. Da haben alle einen super Job gemacht», strahlt Rast.
Ob sie in ihrem 89. Weltcuprennen auf dem Podest landen wird? Die Voraussetzungen sind so gut wie vielleicht noch nie. Klappt es (noch) nicht, wird Rast dennoch nicht verzweifeln.