Ski-Trainer-Legende zähmte die «Bad Boys» der Formel 1
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Der eiserne Karl Frehsner:Ski-Trainer-Legende zähmte die «Bad Boys» der Formel 1

Ski-Trainer-Legende Karl Frehsner
«Ich musste miterleben, wie die Nazis meinen Cousin erschossen»

Ist Karl Frehsner mittlerweile altersmilde geworden? «Milde gibts bei mir nicht», sagt der 83-Jährige und redet offen über Gräueltaten im Krieg, Bangen um seinen Sohn und Trainings, die mit ohnmächtigen Skifahrern endeten.
Publiziert: 11.09.2022 um 00:57 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2022 um 12:52 Uhr
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Er ist der erfolgreichste Ski-Trainer der Geschichte: Karl Frehsner.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Daniel LeuStv. Sportchef

Herr Frehsner, wann haben Sie das letzte Mal geweint?
Du bist mir aber einer! Was ist das denn für eine schwachsinnige Frage … Das letzte Mal geweint? Das weiss ich nicht. Wenn, dann sicher nur aus Freude. Wer weint, zeigt Schwäche und deckt damit auf, dass er unsicher ist.

Während Ihrer Kindheit hätte es aber schon ab und zu einen Grund zum Weinen gegeben.
Das war eine andere Zeit. Wenn heute dein Grossvater stirbt, braucht man sofort einen Psychologen für die Hinterbliebenen. Was soll das?

Sie sind während des Kriegs in Unterlaussa, an der Grenze von Oberösterreich und der Steiermark, aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Wir waren fünf Kinder und haben in einer Baracke gewohnt. Bis ich etwa sieben war, hatten wir keinen Strom. Von November bis Februar war unser Dorf oft von der Aussenwelt abgeschnitten. Das war aber kein Problem, denn damals war ja eh alles rationiert, und man hat nichts gekriegt.

Wie ernährten Sie sich?
Wir hatten Hühner, Säue, Kühe und Geissen. Uns ging es deshalb den Umständen entsprechend gut.

Hatten Sie während des Kriegs nie Angst?
Nein. Mein Vater war Holzfäller. Weil Holz damals sehr wertvoll war und sie seine Dienste brauchten, musste er nicht in den Krieg. Er hatte vor den Russen keine Angst. Das hat sich wohl auf uns Kinder übertragen.

Doch eines Tages mussten Sie mitansehen, wie Ihr Cousin von den Nazi-Deutschen erschossen wurde.
Was soll ich dazu sagen? Das war damals halt so. Die SS erschoss ihn bei der Tante in der Waschküche. Doch mir haben sie nie etwas gemacht. Das klingt heute vielleicht komisch, aber für uns war das zum Teil auch interessant, und wir waren damals noch so jung, dass wir das gar nicht richtig verstanden hatten. Wir waren auch oft bei unserer Grossmutter. Auch dort sahen wir grausame Bilder.

Welche?
Nach dem Krieg wurden Deserteure einfach erschossen. Zuerst wurden sie in einen Sack gesteckt, am Auto angehängt und mitgenommen. In der Kiesgrube stellte man sie an den Rand hin. Dann wurden sie erschossen. Sie sackten zusammen und fielen runter. Danach wurden sie mit Kies zugedeckt. So war das damals.

Mussten Ihre Brüder in den Krieg ziehen?
Mein älterer Bruder Hans musste mit 14 einrücken und diente in Norwegen in der Marine, obwohl er gar nicht schwimmen konnte. Er kam dann schwer lungenkrank zurück. Davon hat er sich nie mehr richtig erholt. Trotzdem hat er nie gehadert und blieb positiv. Das hat mir imponiert. Er starb dann bereits 1969.

Das ist Karl Frehsner

Der heute 83-Jährige ist der erfolgreichste Skitrainer aller Zeiten. Er arbeitet mit einigen Unterbrüchen seit 1977 für Swiss-Ski. Seine grössten Erfolge feierte er in den 80er-Jahren, so zum Beispiel an der WM in Crans-Montana 1987, als die Schweiz 8 von 10 Goldmedaillen gewann.

Frehsner ist verheiratet mit Rosmarie, einer ehemaligen SVP-Politikerin. Das Paar hat zwei erwachsene Söhne und mittlerweile gar einen Urenkel.

Obwohl Frehsner seit über 50 Jahren in Dietikon ZH wohnt, besitzt er noch immer nur den österreichischen Pass.

Der heute 83-Jährige ist der erfolgreichste Skitrainer aller Zeiten. Er arbeitet mit einigen Unterbrüchen seit 1977 für Swiss-Ski. Seine grössten Erfolge feierte er in den 80er-Jahren, so zum Beispiel an der WM in Crans-Montana 1987, als die Schweiz 8 von 10 Goldmedaillen gewann.

Frehsner ist verheiratet mit Rosmarie, einer ehemaligen SVP-Politikerin. Das Paar hat zwei erwachsene Söhne und mittlerweile gar einen Urenkel.

Obwohl Frehsner seit über 50 Jahren in Dietikon ZH wohnt, besitzt er noch immer nur den österreichischen Pass.

Von was träumte damals der kleine Karl?
Ich wollte Bergsteiger werden, das Skifahren war zweitrangig. Schon mit zehn Jahren kletterte ich durch lebensgefährliche Schluchten, denn dort wuchsen die wunderbaren und seltenen Edelweisse und Enziane. Dass ich an solche abgelegene Stellen kam, hat mich selbstsicher gemacht.

Sie waren früh von der Eiger-Nordwand fasziniert. Warum?
Wir hatten in der Gegend ein paar Bergsteiger, die die Eiger-Nordwand schon bezwungen hatten. Obwohl ich den Berg ja noch nie gesehen hatte, zog er mich früh in seinen Bann. Bei uns zu Hause hiess es immer: Es ist nichts unmöglich, machbar ist alles. Das hat mich angespornt.

Ich nehme mal an, Sie hatten keine Angst abzustürzen, oder?
Das gehört dazu. Aber Respekt muss man haben. Auch Kollegen von mir sind tödlich abgestürzt, doch das darf dir nicht zu viel ausmachen. Zwei weniger, fertig, Schluss. Was hilft es dir, wenn du danach tagelang darüber sinnierst? Auch ich bin einmal 60 Meter im freien Fall den Berg runtergestürzt. Dabei ging mir das ganze Leben nochmals durch den Kopf. Unglaublich, wie viele Gedanken innert Sekundenbruchteilen in solchen Situationen in einem hochkommen. Das glaubt dir keiner, der dies nicht selber erlebt hat.

1961 bezwangen Sie dann tatsächlich die Eiger-Nordwand. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Ich weiss noch, dass ein Italiener tot in der Wand hing.

Liess Sie das kalt?
Was hätte ich tun sollen? Man durfte sich davon nicht ablenken lassen, denn man wollte ja selber nicht runterfliegen.

Machen wir einen Sprung zu Ihrer Karriere als Skitrainer. Auch dort fielen Sie durch Härte auf.
Ich muss mich bei niemandem entschuldigen. Viele haben von mir und meinen Methoden profitiert. Ich habe aus meinen Athleten einfach das Maximum rausgepresst.

Wie sah denn eine typische Trainingseinheit unter Frehsner aus?
Ich habe damals die Athleten so provoziert, dass sie ans Limit gehen mussten. Dies führte einige Male dazu, dass sie ohnmächtig wurden.

Warum machten Sie das?
Die Sportler sollten so lernen, ihre Grenzen auszuloten. Wenn sie gesagt haben, sie können nicht mehr, war es noch ein weiter Weg, bis sie umfielen. Das hat ihnen gezeigt, dass sie viel mehr erreichen können, als sie selber dachten. Nur durch solche Methoden waren all die Erfolge möglich. Ich habe übrigens alles, was ich forderte, auch selbst gemacht und ausprobiert.

Waren Sie ein Diktator?
Nein, ich habe mich immer auf meine Menschenkenntnisse verlassen. Und ich habe immer dazugelernt, denn alles, was in einem Buch steht, ist bereits veraltet.

Wie Sie mit Paul Accola umgegangen sind, steht wohl auch in keinem Lehrbuch.
Einmal hatten wir Teamsitzung. Als Trainer Sepp Caduff nicht pünktlich anfing, fragte ich ihn warum. Er: «Der Accola ist noch nicht da.» Ich sagte: «Gib mir seine Startnummer.» Ein paar Minuten später kam der Accola gemütlich reinspaziert und fragte später, wo denn seine Nummer sei. Ich: «Die hab ich. Die bekommst du nicht, weil du zu spät warst.» Deshalb konnte er dann das Rennen nicht fahren. Lustig war auch eine Episode von 1989.

Was war da?
Das war vor der WM in Amerika. Paul konnte ja kaum ein Wort Englisch. Ich drückte ihm zwei Paar Ski und den Schlüssel eines Mietautos in die Hand und sagte ihn: «Du fährst jetzt alleine zu zwei Nor-Am-Rennen. Wenn du dich durchschlägst und eines der beiden Rennen gewinnst, kriegst du in der WM-Kombi einen Startplatz.»

Wie ging die Geschichte aus?
Der Accola gewann ein Rennen und kam mit so einer breiten Brust zurück, dass man das Auto dahinter gar nicht mehr sehen konnte. Und das Wichtigste: Er gewann in der Kombi WM-Silber. Merk dir das, so läuft das!

Das alles klingt nicht sehr einfühlsam.
Ach was. Wer zu sensibel ist, der ist nicht für den Spitzensport gemacht. Auch an der WM in Vail erlebte Martin Hangl hautnah mit, wie ein österreichischer Doktor vom Ratrak überfahren wurde und dabei starb. Er war ganz durcheinander. Also sagte ich ihm: «Du kannst ihm nicht mehr helfen. Das ist Vergangenheit. Du musst jetzt den Fokus nach vorne legen. Du musst das ausblenden.» Wenige Tage später wurde er Super-G-Weltmeister.

Die Erfolge gaben Ihnen recht. Sie gewannen als Trainer 53 WM- und Olympia-Medaillen.
Ich kann mich an einen Winter erinnern, in dem wir zehn von elf Weltcup-Abfahrten gewannen, und der schlechteste Schweizer während der ganzen Saison war Silvano Meli, der als einziger nie gewann und einmal bloss Zweiter wurde.

Haben Sie sich mehr über die Siege gefreut oder darüber geärgert, dass Meli nicht gewonnen hat?
Das ist eine gute Frage. Natürlich war ich mit Meli nicht zufrieden …

Müller, Zurbriggen, Heinzer – wie gingen Sie mit all den Egos um?
Jeder Athlet hat das Gefühl, er sei unersetzlich. Das muss man ihm lassen. Einmal spielten wir in Zermatt in einer Turnhalle Volleyball. Da gingen der Müller und der Vesti wegen verschiedener Vorstellungen aufeinander los. Dabei floss sogar etwas Nasenblut. Danach fragten sich alle, wie ich an der Sitzung darauf reagieren werde.

Und wie reagierten Sie?
Ich erwähnte den Vorfall mit keinem einzigen Wort.

Warum nicht?
Hätte ich was gesagt, hätte ich einen Schuldigen nennen müssen, doch ich brauchte für den Erfolg ja beide. Deshalb schwieg ich.

Fand das der vom Ehrgeiz getriebene Peter Müller richtig?
Das weiss ich nicht mehr. Ich kann mich aber noch an eine lustige Geschichte erinnern. Müller war damals der Erste, der Merchandising-Artikel von sich verkaufte. Um ihn zu ärgern, hat dann sein Rivale Conradin Cathomen ebenfalls Artikel herstellen lassen und die verschenkt. Dadurch blieb der Müller auf seinen sitzen, was ihn so richtig genervt hat. Willkommener Effekt: Der Müller ist danach noch schneller gefahren.

Sie haben später auch die österreichischen Ski-Frauen trainiert. Wie kamen Sie als eiserner Karl mit den Frauen zurecht?
Da sind wir wieder beim gleichen Thema. Fahrerinnen wie Meissnitzer oder Götschl waren mir gegenüber zuerst skeptisch. Meissi sagte irgendwann später zu mir: «Also gut, wenn du dir einbildest, du kennst mich, dann mache ich alles, was du sagst.» So kam es dann auch, und sie wurde Weltmeisterin und gewann so ziemlich alles.

Würden sich Ihre harten Methoden auch abseits des Sports anwenden lassen?
Davon bin ich überzeugt. Mehr Härte würde guttun. Die Schweiz hat einen unglaublich hohen Lebensstandard. Und wer arbeitslos ist, kriegt Geld vom Staat.

Würden Sie das ändern?
Eindeutig ja. Mein Vater hat mir gelehrt: Wenn du arbeiten willst, findest du immer eine Arbeit. Merke dir das! Wenn ein Doktor arbeitslos ist, soll er halt Boden aufwischen gehen. Doch was macht man? Man gibt ihm gleich Geld. Das musst du mir erklären. Sag mal einem, der Chemie studiert hat und dann keinen Job findet, er soll kellnern gehen. Der sagt dir: Bist deppert! Meine Meinung ist aber klar: So einer sollte keinen Rappen kriegen.

Sie waren in den 90er-Jahren zwischenzeitlich auch in der Formel 1 tätig, als Fitnesstrainer beim Sauber-Rennstall. Ans Jahr 1994 haben Sie wohl nicht nur gute Erinnerungen.
Ich war in jenem Jahr für die Sauber-Fahrer Frentzen und Wendlinger zuständig. Zuerst starb in Imola Roland Ratzenberger, der mit Frentzen früher in Japan in der Formel Nippon das Zimmer geteilt hatte. Als ich Frentzen danach traf, sagte er mir: «Ich habe ihn tot im Auto baumeln sehen. Ich kann nicht mehr.» Ich antwortete: «Wir gehen jetzt im Motorhome fünf Minuten etwas trinken, und dann gibst du weiter Gas. Wenn du das nicht kannst, bist du kein guter Rennfahrer.» Er fuhr auf einen guten Startplatz.

Zwei Wochen später verunfallte Wendlinger in Monaco schwer und lag wochenlang im Koma.
Damals reagierte Frentzen anders. Er war im Training guter Fünfter und konnte nicht verstehen, warum Sauber sich nach Wendlingers Unfall vom GP zurückzog. «Ich kann nicht starten, weil sich der andere den Kopf angeschlagen hat», monierte Frentzen sinngemäss. Genau das ist die richtige Einstellung.

Im gleichen Monat verunfallte auch Ihr Sohn Roger schwer. Blieben Sie da auch so nüchtern?
Roger brach sich bei einem Velounfall den Schädel und kam in Sursee ins Spital. Dort hiess es, der Spezialist käme erst morgen, um sich das anzuschauen. Also sorgte ich dafür, dass Roger sofort nach Luzern verlegt und dort von einem Spezialisten untersucht wurde. Später hiess es: Hätte ich nicht eingegriffen, hätte er die Nacht wohl nicht überlebt.

Was fühlten Sie dabei?
Gefühle? Ich musste einfach in der Situation das Bestmögliche machen, eben ohne nur von Gefühlen geleitet zu werden.

Sie sind mittlerweile 83-jährig. Spüren Sie Altersmilde?
Was ist das jetzt wieder? Milde gibt es bei mir nicht.

Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Ich bin nicht mehr richtig im Skirennsport tätig, kümmere mich aber noch um die Anzüge und versuche zum Beispiel, die Stoffe mit Descente und Schöller stets zu verbessern.

Wie muss man sich den Rentner Frehsner vorstellen?
Vorsicht, ich arbeite immer noch ziemlich viel und nehme mir jetzt einfach mehr Zeit dabei. Wenn ich nur auf dem Balkon rumsitzen würde, käme das nicht gut. Das Schönste an meinem heutigen Job: Ich bin viel mit jungen Menschen zusammen. Das gibt mir sehr viel.

Apropos Balkon – wollten Sie den nicht mal neu streichen?
Das habe ich meiner Frau schon 2004 versprochen. Doch ich bin bis heute nicht dazu gekommen. Merkst du: Ich habe noch immer keine Zeit für solche Sachen.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Ich kann noch immer alles machen und bin dankbar dafür. Ich merke aber, dass ich nicht mehr so viel Kraft habe wie früher.

Fahren Sie noch Auto?
Ja klar. So gut wie du fahr ich locker, aber da musst du ja auch kein Spezialist sein. Aber ja, ich bin heute langsamer unterwegs. Brauchte ich früher drei Stunden nach Salzburg, dann war ich langsam unterwegs.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein, mich kann es noch heute erwischen. Was ich weiss: Der Tod kommt immer näher.

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