Ski-Legende Erika Reymond-Hess spricht über ihren verstorbenen Mann
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Ski-Legende Reymond-Hess:«Merci Jacques!»

Ski-Legende Erika Reymond-Hess
«Dann würde mein Mann noch leben»

Ein Gespräch mit ihr ist wie das Leben: Mal traurig, mal lustig. Erika Reymond-Hess (59) über den Corona-Tod ihres Mannes, zwei Bündel Heu als Olympia-Prämie und ihren 60. Geburtstag.
Publiziert: 01.03.2022 um 04:01 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2022 um 07:04 Uhr
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Die Schweizer Ski-Legende Erika Reymond-Hess feiert am 6. März ihren 60. Geburtstag.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Daniel Leu (Interview) und Benjamin Soland (Fotos)

Wer das Haus von Erika Reymond-Hess betritt, wird von Mulmul begrüsst. «Ich habe die Katze von Jacques’ Schwester erhalten», erklärt die 59-Jährige, «sie kam an dem Tag zur Welt, als Jacques starb.»

Jacques Reymond war die grosse Liebe von Erika. 32 Jahre lang war das Paar verheiratet. Im Frühling 2020 starb er an den Folgen einer Covid-Erkrankung. Jacques ist allgegenwärtig im Wohnbereich des Hauses. Überall hängen Fotos von ihm.

Dass Reymond-Hess eine erfolgreiche Skirennfahrerin war, ist im Haus nicht zu übersehen. Auf einem antiken Bauernbuffet stehen ihre acht gewonnenen Kristallkugeln. Über dem Cheminée steht ein kleiner Teil der gewonnenen Pokale. Wichtig sind ihr diese aber nicht. «Einer meiner Söhne hat mir mal zwei Kristallkugeln versteckt. Ich habe es wochenlang nicht bemerkt.»

Frau Reymond-Hess, wir haben ein Problem!
Erika Reymond-Hess: Uii, welches?

Sie haben mal gesagt: «Ich lebe in der Gegenwart. Ich bin keine, die immer zurückschaut.» Doch genau das wollen wir in diesem Interview machen.
Das stimmt. Ich versuche immer, im Hier und Jetzt zu leben. Aber wir können trotzdem gerne auf meine Karriere zurückblicken, ich habe ja nichts zu verbergen (lacht).

Schon Ihre Geburt 1962 soll speziell gewesen sein.
Es hatte an dem Tag sehr stark geschneit, und unser Hof lag hoch oben am Berg. Als die Hebamme endlich bei uns ankam, war ich schon da. Meine Grosseltern und meine Tante, die gleich nebenan wohnten, haben offenbar tatkräftig mitgeholfen.

Sie wuchsen auf dem Äschi-Hof oberhalb von Grafenort auf. Wie war Ihre Kindheit?
Sehr schön. Meine Eltern betrieben eine Viehzucht. Wir Kinder mussten viel mithelfen, vor allem beim Heuen. Mein Vater und mein Onkel hatten gleich nebenan einen privaten Skilift gebaut. Sobald jeweils der erste Schnee kam, fuhren wir Ski. Natürlich hatten wir keinen Bully, um die Piste zurechtzumachen. Deshalb haben wir zuerst mit unseren Ski den Neuschnee «runtergetrampet» und anschliessend mit einer selbst gebauten Holzrolle versucht, den Schnee zu pressen.

Waren Ihre Eltern auch begeisterte Skifahrer?
Nein, sie konnten gar nicht Ski fahren. Sie waren auch nie einem Weltcuprennen von mir. Selbst am TV haben sie nicht live zugeschaut. Aus Angst vor einem Sturz. Erst wenn sie wussten, wie es ausgegangen war, schauten sie sich die Aufzeichnung an.

Sie selbst sollen zuerst mit gemieteten Armeeski gefahren sein.
Wir waren halt eine Bauernfamilie mit einem kleinen Einkommen. Meine Eltern konnten sich nicht für alle sechs Kinder Ski leisten. Deshalb mieteten sie für mich Armeeski. Die kosteten für einen Winter nur fünf Franken. Für mich war das sogar eine Motivation. Ich wusste: Wenn ich schnell fahre, bekomme ich irgendwann auch gute Ski.

Haben Sie als Jugendliche auch selber Geld verdient?
Ja, ich habe mit 14 Jahren zeitweise in einer Seifen- und Waschmittelfabrik in Stans gearbeitet. Ich stand dort am Band, habe Seifen eingepackt und Etiketten draufgeklebt. Ich möchte diese Zeit nicht missen. Dank dem verdienten Geld konnte ich im Skisport weitermachen.

Das ist Erika Reymond-Hess

Mit sechs WM-Titeln ist die Obwaldnerin die erfolgreichste Schweizer Skirennfahrerin aller Zeiten. An Olympia 1980 gewann sie Slalom-Bronze. 1982 und 1984 holte sie sich den Gesamtweltcup, hinzu kommen sechs kleine Kristallkugeln.

Sie gewann insgesamt 31 Weltcuprennen (davon 21 Slaloms), 1982 auf der Alpe d’Huez sogar zwei an einem Tag. 1987 beendete sie ihre Karriere im Alter von 25 Jahren.

Reymond-Hess hat drei erwachsene Söhne und ist vierfache Grossmutter. Ihr Sohn Marco Reymond (27) ist ebenfalls Skirennfahrer und hat bislang fünf Weltcuprennen bestritten. Sie lebt in Saint-Légier-La Chiésaz VD, kümmert sich regelmässig um die Enkelkinder und um die Volksskirennen «Erika Hess Open».

Mit sechs WM-Titeln ist die Obwaldnerin die erfolgreichste Schweizer Skirennfahrerin aller Zeiten. An Olympia 1980 gewann sie Slalom-Bronze. 1982 und 1984 holte sie sich den Gesamtweltcup, hinzu kommen sechs kleine Kristallkugeln.

Sie gewann insgesamt 31 Weltcuprennen (davon 21 Slaloms), 1982 auf der Alpe d’Huez sogar zwei an einem Tag. 1987 beendete sie ihre Karriere im Alter von 25 Jahren.

Reymond-Hess hat drei erwachsene Söhne und ist vierfache Grossmutter. Ihr Sohn Marco Reymond (27) ist ebenfalls Skirennfahrer und hat bislang fünf Weltcuprennen bestritten. Sie lebt in Saint-Légier-La Chiésaz VD, kümmert sich regelmässig um die Enkelkinder und um die Volksskirennen «Erika Hess Open».

1977 gewannen Sie an den Schweizer Meisterschaften überraschend Silber. Als Belohnung gabs ein Interview mit Radiolegende Mäni Weber.
Das war sehr schwierig. Aber nicht nur für mich, sondern auch für ihn. Ich habe vielleicht fünf, sechs Wörter rausgebracht, mehr nicht. Es war so, als ob jemand ins kalte Wasser geworfen wurde, der gar noch nicht schwimmen konnte.

An Ihrem 15. Geburtstag durften Sie das erste Mal in Ihrem Leben fliegen. Wie wars?
Das war total aufregend. Wir flogen von Österreich aus an ein Europacuprennen in die Tschechoslowakei, mit einer Propellermaschine. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich Mozartkugeln erhielt und wir die Skisäcke in den Gang legen mussten, weil es keinen Platz mehr hatte.

Sie kamen schon mit 15 in den Weltcup. Fühlten Sie sich manchmal überfordert?
Ich habe damals vieles gar nicht realisiert und hatte einfach Lust, die Welt zu entdecken. Dadurch wurde ich schnell erwachsen.

Wer hat damals im Ski-Zirkus auf Sie aufgepasst?
Das war vor allem Lise-Marie Morerod. Sie war wie ich ein Bauernmädchen und hat mich sehr unterstützt. Wir teilten meistens das Zimmer. Einmal hat sie mir sogar ein weisses Plüsch-Kätzchen geschenkt, das ich dann an jedes Rennen mitnahm und es jeweils aufs Nachttischchen legte. Als ich älter wurde, habe ich es meiner Nichte weitergeschenkt.

1978 hatte Morerod einen schlimmen Autounfall. Plötzlich mussten Sie auf Morerod aufpassen.
Dieser Unfall hat mich enorm getroffen. Sie erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Als sie danach wieder in den Weltcup zurückkehrte, kümmerte ich mich um sie. Da sie damals noch immer unter Gedächtnisverlust litt, schaute ich jeweils, dass sie keinen Termin vergisst und all ihre Sachen immer mitnimmt. Wir haben bis heute ein sehr inniges Verhältnis.

1980 feierten Sie Ihren ersten grossen Erfolg: Olympia-Bronze im Slalom. Können Sie sich noch an die spezielle Prämie Ihres Nachbars erinnern?
Jetzt wo Sie es sagen. Er hat mir damals zwei Bündel Heu geschenkt. Mein Vater und die Tiere hatten Freude daran.

Was kommt Ihnen beim Datum 13.1.1981 in den Sinn?
An diesem 13. gewann ich mit der Nummer 13 mein erstes Weltcuprennen. Und zwar um exakt 13.13 Uhr, so besagt es zumindest die Legende.

In Schruns hatte es damals starken Nebel. Einige Gegnerinnen zweifelten an, dass Sie alle Tore richtig passiert hatten. Jetzt können Sie es ja zugeben, haben Sie geschummelt?
Nein, nein, da war alles sauber. Ich bin eine ehrliche Person. Hätte ich damals geschummelt, hätte ich das schon längst mal erzählt.

Ihr Sieg hatte auch Folgen für Ihre Familie.
Mein Vater und meine Brüder hatten damals versprochen, dass ab meinem ersten Weltcup-Sieg in der Stube nicht mehr geraucht wird. Mein Vater war ein leidenschaftlicher Pfeifenraucher. Dass er für mich danach in der Stube darauf verzichtet hat, war für die Zeit schon sehr fortschrittlich.

An der WM 1982 ging Ihr Stern endgültig auf. Sie gewannen dreimal Gold. Auf einmal waren Sie das Schätzchen der Nation. Hat Ihnen diese Rolle gefallen?
Ich weiss bis heute nicht, wie ich das damals alles geschafft habe. Der Rummel war enorm. Alle wollten etwas von mir. Dabei half mir sicher mein Umfeld und der Äschi-Hof. Dorthin konnte ich mich immer zurückziehen und mich selber sein. Viele glaubten in der Zeit, ich sei eine Maschine, die einfach immer liefert. Aber ich war ein Mensch, der auch mal Ruhe brauchte.

Damals sagten Sie: «Der Rummel macht mich krank. Manches Jahr werde ich das nicht mehr mitmachen.» Diesen Druck spürten Sie auch vor Olympia 1984. Haben Sie deshalb in Sarajevo keine Medaille geholt?
Sarajevo war für mich sehr schwierig. Die vielen Journalisten, die langen Tage, die umständliche Anreise auf den Berg. Ich habe den Druck gespürt, vielleicht auch, weil ich an der Eröffnungsfeier Fahnenträgerin war. An Olympia erwartet das ganze Land Medaillen von einem. Doch ich bin danach wieder aufgestanden und wurde 1985 und 1987 noch dreimal Weltmeisterin.

Normalerweise verlängern Sportler wegen Olympia Ihre Karriere. Bei Ihnen war es genau umgekehrt. Sie haben wegen Olympia 1988 im Jahr zuvor aufgehört. Warum?
Ich wollte mir Olympia nicht noch einmal antun. Deshalb war die Heim-WM in Crans-Montana 1987 der perfekte Abschluss. Ich fuhr nie Rennen, um Rekorde aufzustellen, sondern weil ich es gerne machte. Wenn man am Start stand, fuhr man nicht für seinen Trainer oder für die Blick-Journalisten, sondern für sich selber. Vor der Saison 1986/87 merkte ich, dass ich nach zehn Jahren im Skirennsport Lust auf etwas Neues hatte.

Haben Sie nie an einem Comeback rumstudiert?
Nein, nicht eine Sekunde. Ich wusste damals, dass ich eine Familie gründen wollte.

1988 heiraten Sie Ihren ehemaligen Trainer Jacques Reymond. Im Frühjahr 2020 starb Ihr Mann an den Folgen einer Covid-Erkrankung. Wissen Sie, wo er sich angesteckt hat?
Wir hatten damals eine Familienfeier, eine Woche bevor es zum ersten Lockdown kam. Danach hatten wir alle Corona. Wir alle waren einfach zu einem falschen Zeitpunkt an einem falschen Ort. Aber ja, manchmal denke ich schon: Hätte die Schweiz eine Woche früher alles zugemacht, wären wir nicht krank geworden, und mein Mann würde heute noch leben.

Wann haben Sie gemerkt, wie schlimm es um Ihren Mann steht?
Relativ schnell. Während ich nur ein paar Tage Fieber hatte und sehr müde war, wurde es bei ihm immer schlimmer. Er kam deshalb ins Spital. Dort wurde er intubiert und während drei Wochen ins künstliche Koma versetzt.

Durften Sie ihn besuchen?
Nur sehr selten, insgesamt dreimal. Das war der absolute Horror, das kann man sich gar nicht vorstellen. Auf einmal kann man den Menschen, den man so sehr liebt, nicht mehr unterstützen und ihm nahe sein.

Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?
An unserem 32. Hochzeitstag durfte ich ihn im Spital besuchen. Man hatte ihn zuvor aus dem künstlichen Koma rausgeholt, weil dies der einzige Weg war, um einen Schritt vorwärts zu kommen.

Konnten Sie mit ihm reden?
Natürlich habe ich mit ihm geredet, doch ich bekam keine Antworten mehr von ihm. Wir waren einfach über die Augen in Kontakt miteinander, und ich habe ihm Fotos seiner Liebsten gezeigt und im Spitalzimmer aufgehängt. Das war ein sehr intensiver, wichtiger Moment, weil ich ihm sagen konnte, dass die Familie zusammenhält und dass ich alles machen werde, damit er stolz auf seine Familie sein darf. Und ich habe ihm noch einmal Danke gesagt für alles, was er mir an Liebe gegeben hat.

Dachten Sie bis zum Schluss, dass er es noch packen könnte?
Wir wussten die ganze Zeit, dass es auf beide Seiten kippen kann. Aber auch wenn die Situation sehr kritisch war, haben wir bis zum Schluss die Hoffnung nicht aufgegeben. Wenige Stunden bevor er starb, haben wir noch miteinander telefoniert. Die Krankenschwester hat ihm das Telefon an sein Ohr gehalten. Ich habe ihm gesagt, dass ich immer für ihn da sein werde. Leider konnte er mir nicht mehr antworten.

Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?
Man hat mich vom Spital aus angerufen. Das war brutal. Ich habe danach sehr viel an Gewicht verloren. Doch unsere Familie hat sehr aufeinander aufgepasst. Wir haben uns gesagt, dass wir weiterleben wollen. Auch Jacques hätte das so gewollt.

Ihr Mann wurde ein Jahr zuvor zum ersten Mal Grossvater. Hilft Ihnen die Tatsache, dass er das noch miterleben durfte?
Ja, ich bin enorm froh, dass er noch Grossvater werden durfte. Er war so stolz auf sein Enkelkind. Schade, dass er die nächsten nicht mehr miterlebt hat, denn mittlerweile wäre er schon vierfacher Grossvater.

Sie haben seine Asche im Lac de Joux verstreut. Warum?
Das Vallée de Joux ist ein magischer Ort. Die Zeremonie war sehr intim und traurig, gleichzeitig aber auch schön. Wir haben Lieblingslieder von ihm abgespielt, und seine Geschwister haben enorm bewegende Texte vorgetragen. Das war sehr ergreifend.

Wenn Sie heute dorthin gehen, spüren Sie, dass er da ist?
Ja, im Vallée de Joux ist er überall mit dabei. Letzte Woche war ich mit einem meiner Söhne dort auf dem gefrorenen Lac de Joux Schlittschuh laufen. So wie ich es früher mit Jacques gemacht habe. In solchen Momenten rede ich laut mit ihm. Oder wenn ich meinen Zwillingsenkeln das Essen gebe. Da sage ich manchmal: Jacques, du könntest mir jetzt helfen, die zwei hungrigen Mäuler zu versorgen. Oder wenn ich um den See laufe. In solchen Momenten habe ich das Gefühl, er ist an meiner Seite.

Woher nehmen Sie persönlich die Kraft?
Das weiss ich nicht, man bekommt die einfach von irgendwo. Natürlich gibt es noch immer sehr schwierige Momente. Ich denke jeden Tag an Jacques. Doch manchmal ist es wie im Sport. Man muss sich aufraffen, das Positive suchen. Zum Glück habe ich ein sehr gutes Umfeld, auf das ich immer zählen kann. Geht es mir schlecht, weiss ich, wen ich anrufen kann. Geholfen haben mir auch die Tausenden von Briefen, die ich erhalten habe. Ich habe jeden einzelnen durchgelesen und daraus Kraft gezogen.

Wie gehen Sie mit negativen Gedanken um?
Man darf traurig sein. Heute muss ich vieles alleine machen, was wir früher als Team zusammen gemacht haben. Doch ich habe ihm ja versprochen, dass ich alles machen werde, damit er stolz auf mich sein kann. Das ist eine grosse Motivation für mich.

Wäre er stolz auf Sie?
Ich glaube, ja. Er möchte bestimmt auch, dass ich glücklich weiterlebe und Spass habe, denn Jacques war immer ein sehr lebensfroher Mensch.

Sie werden am 6. März 60 Jahre alt. Was macht die Zahl mit Ihnen?
Bis jetzt noch gar nichts. Ich habe so viel zu tun, dass ich noch gar keine Zeit hatte rumzustudieren. Vielleicht ist das auch gut so.

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