Rad-Legende Bruno Risi
«Der Arzt wollte mir Epo spritzen»

Bruno Risi (53) war nicht nur ein Sportler, sondern auch ein Entertainer. Hier spricht der Urner frei von der Leber weg über Raucherlungen, einen Faustkampf, wunde Füdli und Groupies.
Publiziert: 23.01.2022 um 00:54 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2023 um 09:58 Uhr
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Im Gespräch redet Bruno Risi offen über die Höhepunkte und die Tiefschläge seines bisherigen Lebens.
Foto: TOTO MARTI
Interview: Daniel Leu

Herr Risi, haben Sie Ihre Flitterwochen mittlerweile endlich nachgeholt?
Bruno Risi: (Lacht) Nein, bis heute nicht.

Sie haben 2001 mitten in der Sechstagerennen-Saison geheiratet. Damals erklärten Sie: «Unsere Flitterwochen dauern einen Tag. Und diesen verbringen wir an der Olma.» Wie wars?
Das war ein toller Tag. Säulirennen, etwas trinken – wir haben an der Olma alles gemacht, was dazugehört. Sie sehen, unser Flittertag war wunderbar.

Sie hatten damals offenbar nur Ihren Sport im Kopf. Als Jugendlicher soll das noch anders gewesen sein. Ihr späterer Erfolgspartner Kurt Betschart sagt: «Bruno war richtig faul. Unglaublich, dass so einer später siebenfacher Weltmeister werden konnte!»
Kurt hat recht. Einmal fand die Kantonalmeisterschaft statt. Als ich morgens aufstand und rausschaute, sah ich, dass es Bindfäden regnete. Also legte ich mich einfach wieder ins Bett. Als dann Kurt bei mir klingelte und mich abholen wollte, sagte ich ihm, dass ich heute keine Lust hätte. Ausserdem war ich zu der Zeit ein Sturzenegger, ich fiel fast bei jedem Training aufs Maul.

Warum?
Ich war ein Luftibus, habe gerne in der Gegend rumgeschaut und bin deshalb regelmässig dem Vordermann ins Hinterrad gefahren. Einmal hat es mich besonders heftig erwischt.

Was war passiert?
Das war nach einem Rennen in Schattdorf, in dem ich selbstverständlich auch gestürzt bin und es mir eine Speiche rausgeschlagen hat. Ich fuhr danach gemeinsam mit Kurt mit dem Rad nach Hause. Natürlich ohne Helm. Dabei versuchte ich während des Fahrens, die Speiche wieder reinzudrücken. Da nahm es mir die Hand rein. Ich machte einen Vorwärtssalto und landete voll auf dem Kopf. Ich war bewusstlos, Feierabend. Kurt dachte sogar, ich sei tot. Ich zog mir dabei eine schwere Gehirnerschütterung zu.

Bruno Risi (53)

Der Urner zählt zu den erfolgreichsten Sechstagerennen-Fahrern aller Zeiten. 61-mal konnte er gewinnen, davon 37-mal mit seinem Partner Kurt Betschart. Später bildete er zusammen mit Franco Marvulli ein Duo.

Auf der Bahn wurde Risi siebenmal Weltmeister, fünfmal im Punktefahren und zweimal im Zweier-Mannschaftsfahren. Ausserdem gewann er mit Marvulli bei Olympia 2004 Silber im Madison.

2010 beendete Risi seine Karriere. Seit 2001 ist er mit Sandra verheiratet. Das Paar hat drei Kinder. Heute arbeitet er für Völkl.

Der Urner zählt zu den erfolgreichsten Sechstagerennen-Fahrern aller Zeiten. 61-mal konnte er gewinnen, davon 37-mal mit seinem Partner Kurt Betschart. Später bildete er zusammen mit Franco Marvulli ein Duo.

Auf der Bahn wurde Risi siebenmal Weltmeister, fünfmal im Punktefahren und zweimal im Zweier-Mannschaftsfahren. Ausserdem gewann er mit Marvulli bei Olympia 2004 Silber im Madison.

2010 beendete Risi seine Karriere. Seit 2001 ist er mit Sandra verheiratet. Das Paar hat drei Kinder. Heute arbeitet er für Völkl.

Später wurden Sie und Betschart das Traumpaar des Sechstagerennens. Was hat Sie an dieser Disziplin so fasziniert?
Du fährst in erster Linie für ein Publikum. Dabei bist du nicht nur Sportler, sondern auch Entertainer, denn du hast gegenüber dem Veranstalter eine Verpflichtung, dass du das Publikum unterhältst und dessen Herz gewinnst.

Manche behaupten, die Teams hätten sich oft untereinander abgesprochen und schon vorher entschieden, wer gewinnen würde.
Das stimmt nicht. Klar fuhr man gewisse Rennen so, dass auch die kleineren Teams Prämien gewinnen konnten. Oder man hat sich mit anderen Teams mal verbrüdert, um gemeinsam gegen die Deutschen zu fahren. Doch in den wichtigen Rennen, zum Beispiel in einer Américaine, wurde immer alles gegeben.

Während Ihrer Zeit waren Sechstagerennen noch äusserst populär. Warum?
Das Ganze war eine grosse Chilbi, mit viel Sauferei. Nur so konnte der Veranstalter eine Wertschöpfung generieren. In Zürich hatte es jeweils sogar noch einen Strip-Schuppen. Und etwas darf man nicht vergessen.

Was?
In der Zeit gab es in Zürich noch eine Polizeistunde. Deshalb kamen dann alle ins Hallenstadion, weil man nur dort noch bis 4 Uhr weitersaufen konnte. Zur Unterhaltung der Besoffenen liess uns deshalb der legendäre Sepp Vögeli auch mitten in der Nacht noch fahren.

Damals durfte in den Hallen auch noch geraucht werden. Wie schlimm war das?
Wir hatten Raucherlungen – ohne zu rauchen. Manchmal hast du von der Zielgeraden nicht mehr rüber bis zur Gegengeraden gesehen. In Gent zum Beispiel sassen in der ersten Reihe immer Männer mit ihren dicken Stumpen. Die haben dir jeweils extra den Qualm ins Gesicht gepustet, wenn du vorbeigefahren bist. Meine Lungen haben manchmal richtig gebrannt. Doch das gehörte einfach dazu.

Wie auch ein wundes Füdli. Wie kämpften Sie dagegen an?
Wir haben jeweils so viel Fett ans Füdli geschmiert, dass es unten bei den Hosen wieder rauslief. Bei mir gings noch, aber Kurt hat darunter sehr gelitten. Er hat sogar Schweinsplätzli in die Hosen reingenäht. Doch nichts half. Das hat ihm die Karriere um einige Jahre verkürzt.

An den Rennen hatte jedes Team eine kleine Koje. Was war da alles drin?
Ein Kessel, wenn man mal aufs Klo musste. Dazu Fette, Massagemittel und ein Becken, um sich zwischen den Rennen zu waschen.

Der eine oder andere Fahrer soll während der Rennen auch mal Sex in der Koje gehabt haben. Sie auch?
Definitiv nein! Aber ja, damals gab es noch richtige Groupies.

Wo besonders?
In Kopenhagen, die standen reihenweise in der Lobby und warteten auf die Fahrer. Der deutsche Rennfahrer Gerd Dörich sagte mal, als er das Hotel betrat: «Die Blaskapelle ist auch wieder da.» Viele Fahrer haben dieses Rockstar-Sein halt genossen, doch ich habe mich immer auf den Sport fokussiert.

Gefeiert haben aber auch Sie. Sind Sie mal betrunken ein Rennen gefahren?
Vielleicht mal die letzten Runden, weil man kurz vor Schluss noch ein Bier getrunken und einen Schnupf hochgezogen hat. Betrunken ist aber das falsche Wort, ich hatte vielleicht leicht einen sitzen.

Sie sollen aber schon ein Festbruder gewesen sein …
Aber meistens erst, wenn das Rennen vorbei war. Ich kann mich an das Sechstagerennen von Köln erinnern. Weil sich Kurt verletzte, dachte ich, das Rennen sei auch für mich vorbei. Ausserdem war es noch der Silvesterabend. Deshalb ging ich richtig feiern, gab Gas und fiel erst gegen 8 Uhr betrunken ins Bett. Am Nachmittag hiess es auf einmal, ich bekäme einen neuen Partner und müsse weiterfahren. Das war richtig hart, ich war tatsächlich noch nicht nüchtern.

Einmal haben Sie wegen einer Feier gar Ihren Auftritt im «Sportpanorama» verpasst.
Ich war nach unserem Sieg in Zürich zu lange im Ausgang und hatte keine Hausschlüssel dabei. Deshalb konnte ich mich nicht umziehen und nicht duschen. Also sagte ich Kurt, dass er alleine gehen müsse. In der Sendung erklärte er dann, dass ich kurzfristig krank geworden sei.

Brauchten Sie das Feiern, um abschalten zu können?
Ich bin als Sohn eines Wirtepaars in der Beiz aufgewachsen und ein Lebemensch. Wenn ein Rennen gut lief, fand danach irgendwo ein Fest statt. Dort konnte ich nach einer Stange nicht sagen: «Fertig, ich gehe jetzt schlafen.» Aber ganz wichtig: Ich habe am Tag danach nie blau gemacht und quälte mich dann in langen und harten Trainings. Ich habe es aber auch mal anders versucht.

Wann war das?
Vor den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta. Ich habe damals ein halbes Jahr so seriös gelebt wie noch nie. Keinen Schluck Alkohol, alles minutiös verplant. Ich war dadurch zwar in der Form meines Lebens, bin im Rennen aber sang- und klanglos untergegangen. Als ich zurückkam, sagte mir ein Kollege: «Das erstaunt mich gar nicht. Du warst im letzten halben Jahr nicht mehr du selbst.»

Nicht mehr sich selbst waren Sie auch 2007, als Sie sich mit Danny Stam in Zürich prügelten. Wie kam es dazu?
Er hat auf der Bahn immer die Führungsarbeit verweigert, das hat mich richtig hässig gemacht. In der Pause ging ich zu ihm hin und sagte: «Stam, was ist mit dir falsch?» Er hat mich dann auf Holländisch beschimpft. Da habe ich ihn gepackt, und wir haben uns einen Faustkampf geliefert. Zusätzlich habe ich ihm einen Kessel Wasser über den Kopf geleert.

Den Urin-Kessel?
(Lacht) Nein, da war nur Wasser drin. Wir erhielten danach 50 Franken Busse, wegen «ungebührlichen Verhaltens».

Gab es auch eine Busse für den legendären Abend im Restaurant Gotthard in Flüelen?
Kurt und ich gewannen in Zürich. Danach fuhr uns Geni Wipfli, unser langjähriger Betreuer, nach Hause. Ins Gotthard, wo die Fans schon auf uns warteten. Und was machte Geni? Der fuhr direkt durch die offene Schiebetüre in die Beiz rein. War das eine Feier!

Sie erlebten in Ihrem Leben auch ein paar Tiefpunkte. 2006 verunglückte der Fahrer Isaac Galvez tödlich.
Das war in Gent. Tage zuvor hatte er mir noch seine frisch geheiratete Frau vorgestellt. Ich lag in der Nacht wegen einer Grippe im Bett und konnte deshalb nicht fahren. Um Mitternacht kam Franco Marvulli in mein Zimmer. Er weinte nur noch und erzählte mir dann, was passiert war. Das war brutal. Ein Fahrfehler – und schon bist du tot. Es hätte jeden von uns treffen können.

Ein Jahr später wurde Ihr grösster Fan Alfons Aschwanden in einer Erstfelder Night-Bar niedergestochen.
Fonsi kam oft an die Rennen. Meistens als Tell verkleidet, manchmal hatte er sogar noch eine Armbrust dabei. Eine Woche zuvor tranken wir noch zusammen ein Bier. Bei der Bluttat kam auch ein Cousin meiner Frau ums Leben. Dieses Ereignis hat mich extrem betroffen gemacht.

Wieder ein Jahr später starb der vierjährige Sohn Robin Ihrer Schwester Gina.
Der Kleine hatte eine seltene Erbkrankheit. Ich fuhr damals in München, als Robin starb. Als ich davon erfuhr, konnte ich nicht mehr weiterfahren. Wir sind nicht dafür gemacht, dass ein Kind vor uns stirbt. Das ist gegen die Natur und einfach nur schrecklich und traurig.

Einen sportlichen Tiefpunkt erlebten Sie schon 2004. Fühlen Sie sich heute eigentlich als Olympiasieger?
Schwierig zu sagen.

2004 gewannen Sie hinter Brown/O’Grady Silber. Später kam raus, dass O’Grady jahrelang gedopt hatte, Olympia war aber bereits verjährt. Sie sagten damals: «Er soll mir die Goldmedaille schicken.» Hat er das jemals gemacht?
Nein, ich warte bis heute darauf. Obwohl uns nachträglich nicht Gold zugesprochen wurde, spürte ich eine gewisse Genugtuung. Ich für mich weiss ja, dass ich an jenem Tag wirklich gut war, quasi der Beste.

Kamen Sie auch mal mit Doping in Berührung?
Ich startete meine Karriere in einem italienischen Strassen-Team. Dort wurde man jeden Morgen vom Teamarzt untersucht. Nach ein paar Rennen kam er zu mir und sagte: «Es gibt da ein neues Medikament. Du könntest eine Kur machen. Das würde deine Leistung optimieren.»

Wie reagierten Sie?
Ich sagte Nein. Danach habe ich recherchiert und herausgefunden, dass er mir Epo spritzen wollte. Hätte ich damals das Ganze nicht hinterfragt, wäre ich voll «dreingelaufen» und zum Doper geworden.

Was glauben Sie – haben auch all Ihre Gegner Nein gesagt?
Definitiv nicht! Ich lege für niemanden meine Hand ins Feuer. Atlanta 1996 war so ein Beispiel. Nach Zweidritteln des Rennens führte ich. Doch dann ging auf einmal die Post ab. Es gab Fahrer, die plötzlich massiv zulegten und locker Rundengewinne machten. Ich hatte da keine Chance, obwohl ich ja in der Form meines Lebens war. Da ging definitiv nicht alles mit rechten Dingen zu. Ich habe auch Fahrer gesehen, bei denen das Weiss in den Augen richtig gelb war. Als ich dann sah, wie die fuhren, war mir alles klar.

Das letzte Thema: Kurt Betschart und Sie führten fast schon eine Ehe zusammen. Obwohl 50 Prozent aller Ehen geschieden werden, haben Sie sich immer die Treue gehalten. Was war Ihr Erfolgsgeheimnis?
Das war schon unglaublich. Wir hatten eine perfekte Karriere zusammen. Wir haben schon im Sandkasten zusammen gespielt und später gewannen wir gemeinsam so viele Rennen. Aber auch wir hatten nicht nur gute Zeiten. Was auch logisch ist, denn zeitweise waren wir 300 Tage im Jahr zusammen unterwegs.

Wie ist es heute?
Er wohnt gleich bei mir um die Ecke. Aber heute suchen wir uns nicht mehr bewusst. Wenn wir uns aber sehen, haben wir es super miteinander.

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