«So ein tödlicher Unfall hätte auch mir passieren können»
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Ski-Legende Franz Heinzer:«So ein tödlicher Unfall hätte auch mir passieren können»

Ski-Legende Franz Heinzer blickt zurück
«So ein tödlicher Unfall hätte auch mir passieren können»

Franz Heinzer (59) blickt zurück. Auf einen Porsche-Ärger mit seinem Vater. Auf eine Geiss auf Abwegen. Auf eine Fehldiagnose von Ärzten. Und natürlich auf seine schwarze Serie von vierten WM-Plätzen.
Publiziert: 10.10.2021 um 14:53 Uhr
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Franz Heinzer blickt auf eine spektakuläre und erfolgreiche Karriere zurück.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Daniel Leu

Herr Heinzer, haben Sie sich eigentlich mal bei Karl Imholz entschuldigt?
Franz Heinzer: Meinen Sie den Briefträger? Warum sollte ich mich bei ihm entschuldigen?

Er erzählte einst, dass eine Ziege von Ihnen in sein Dienstauto gesprungen sei und dann an den Zeitungen und Briefen rumgeknabbert habe.
(Lacht) Das kann schon sein. Geissen sind halt «frächi Sieche». Karl ist sehr skibegeistert, und wenn er uns früher die Post auf den Hof gebracht hat, haben wir oft ein bisschen geplaudert und dabei einen Kaffee getrunken. Währenddessen hat wohl eine Geiss mal ihr Unwesen getrieben.

Sie sind auf einem Bergbauernhof aufgewachsen. Wie war Ihre Kindheit?
Es war eine heile Welt. Wenn meine Geschwister und ich von der Schule nach Hause kamen, mussten wir oft mithelfen. Ich habe das immer gerne gemacht. Diese körperliche Arbeit hat mir geholfen, robuster zu werden, was mir später im Skirennsport entgegenkam.

Sie haben mal gesagt, dass Sie als Kind oft Mist gemacht haben. Beispiele gefällig!
Da fällt mir jetzt nichts ein … Wenn man damals in der Schule was angestellt hatte, gab es noch eins mit dem Stock auf die Finger. Zu Hause hat man dann davon lieber nichts gesagt, sonst hätte es gleich nochmals Schimpfe gegeben. Das war halt in der Zeit normal. Zum Glück habe ich dann relativ früh den Skisport entdeckt.

1977 hätte Ihre Karriere im Alter von 15 Jahren aber schon vorbei sein können, bevor Sie richtig begonnen hatte.
Es war an der Elite-SM in Leukerbad. Ich blieb mit dem rechten Bein an einem ungeschützten Skiliftmasten hängen, und es zog mich in den Spagat. Dabei riss es mir die linke Hüfte raus. Ich lag danach drei Wochen lang in Sierre im Spital. Ich sehe heute noch die Rebberge vor mir, die ich von meinem Spitalbett aus sehen konnte. Die Ärzte sagten mir: «Sie werden nie mehr Sport treiben können, nie mehr eine schwere Arbeit verrichten können!»

Rückblickend kann man sagen: Die Ärzte irrten sich!
Ja, aber meine Karriere hing wirklich an einem feinen Faden. Ich stand während fast eineinhalb Jahren nicht mehr auf den Ski. Doch dann gewann ich in Sörenberg das erste Regionalrennen nach meiner Zwangspause gleich wieder.

Franz Heinzer (59)

Der Schwyzer gewann während seiner Karriere dreimal den Abfahrts-, einmal den Super-G-Weltcup und 17 Weltcup-Rennen. Davon 15 in der Königsdisziplin Abfahrt (das sind mehr, als Cuche, Feuz, Zurbriggen oder Russi gewonnen haben), darunter alle Klassiker. Sein grösster Erfolg: Gold an der WM 1991 in Saalbach (Ö). An Olympischen Spielen ging er stets leer aus.

Seit 2004 ist Heinzer Trainer bei Swiss Ski. Dabei betreute er Fahrer wie Feuz, Odermatt oder Kryenbühl auf ihrem Weg an die Weltspitze. Zurzeit ist er zuständig für die Speedfahrer im Europacup. «Manchmal nehme ich schon eine Art Vaterrolle ein», sagt Heinzer.

Der heute 59-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder. Tochter Carina war bis 2016 selber Skirennfahrerin und musste dann wegen Rückenbeschwerden aufhören. In seiner Freizeit geht Heinzer biken («nicht E-Bike!»), wandern und golfen.

Der Schwyzer gewann während seiner Karriere dreimal den Abfahrts-, einmal den Super-G-Weltcup und 17 Weltcup-Rennen. Davon 15 in der Königsdisziplin Abfahrt (das sind mehr, als Cuche, Feuz, Zurbriggen oder Russi gewonnen haben), darunter alle Klassiker. Sein grösster Erfolg: Gold an der WM 1991 in Saalbach (Ö). An Olympischen Spielen ging er stets leer aus.

Seit 2004 ist Heinzer Trainer bei Swiss Ski. Dabei betreute er Fahrer wie Feuz, Odermatt oder Kryenbühl auf ihrem Weg an die Weltspitze. Zurzeit ist er zuständig für die Speedfahrer im Europacup. «Manchmal nehme ich schon eine Art Vaterrolle ein», sagt Heinzer.

Der heute 59-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder. Tochter Carina war bis 2016 selber Skirennfahrerin und musste dann wegen Rückenbeschwerden aufhören. In seiner Freizeit geht Heinzer biken («nicht E-Bike!»), wandern und golfen.

1981 gaben Sie ausgerechnet in der Kitzbühel-Abfahrt Ihr Weltcup-Debüt. Wie nervös waren Sie?
Ich durfte dort mit Walter Vesti das Zimmer teilen. Er machte mir zuerst Mut: «Franz, du musst nur die Skischuhe fest zumachen, dann kommst du da heil runter.» Dann wollte er mich aber auch ein bisschen testen: «Weisst du, wie es Peter Müller bei seinem ersten Kitzbühel-Start erging? Der konnte vor Angst nichts mehr essen und nahm in dieser Woche fünf Kilo ab!»

Wie reagierten Sie darauf?
Als ich beim ersten Training oben stand und sah, wie Klammer und Ken Read in der Mausefalle verschwanden, habe ich schon begonnen zu zweifeln. Ich habe mir ernsthaft überlegt, absichtlich den Start zu verpassen. Doch dann wurde ich im Training mit viel Glück gleich Dritter. Da wusste ich, damals ein 72-Kilo-Männchen: Ich bin gewappnet für alles, was auf mich zukommen wird. Das gab mir ein enormes Selbstvertrauen.

Sie wurden dann im Rennen Achter und fuhren zwei Monate später in Aspen erstmals aufs Podest.
Wissen Sie, was ich dafür erhielt?

Nein.
Ein silbernes Gürtelschnällchen. Mehr nicht. Ich war richtig enttäuscht, bei jedem Kinderrennen gab es mindestens eine schöne Medaille.

Sie haben sich dann ja selbst belohnt.
Ich wollte mir einen hellgrünen Occasions-Porsche kaufen. Der Preis war schon verhandelt. Doch dann kam mein Vater ins Spiel.

Warum?
Wir waren daheim auf dem Hof, und man hörte schon von weitem, wie der Händler mit dem Porsche zu uns heraufdonnerte. Als er vor dem Haus ankam und ich mich schon freute, tauchte mein Vater auf. Er fragte: «Was soll das mit dem grünen Auto?» Ich: «Dädi, das ist mein neues Auto.» Er nur: «Nein, dieses Auto kaufst du nicht! Fahr ein paar Jahre gut Ski, dann bekommst du ein solches Auto gratis.»

Wie reagierten Sie darauf?
Ich lief wie ein abgeschlagener Hund zum Händler und machte den Kauf rückgängig. Das war zwar hart in dem Moment, im Nachhinein muss ich aber sagen, dass mein Vater recht hatte.

1982 begann Ihre Geschichte des ewigen WM-Pechvogels. Was dachten Sie, als Sie in Schladming erstmals Abfahrts-Vierter wurden?
Da ich zum ersten Mal an einer WM teilnahm, war der vierte Rang für mich ein Top-Resultat.

Drei Jahre später das gleiche Bild: WM-Abfahrt in Bormio, Franz Heinzer wird Vierter!
Das war schon härter. Ich lag lange Zeit auf dem Bronze-Platz, und es wurden schon erste Podestfotos gemacht. Auf einmal jubelten die Zuschauer im Zielraum. Ich schaute hoch zur Anzeigetafel und sah, dass mich der Amerikaner Doug Lewis mit der 22 noch vom Podest verdrängt hatte. In dem Moment konnte mich nichts und niemand trösten, ich hatte bestimmt über eine Woche lang damit zu kämpfen.

Wieder zwei Jahre später ins Crans-Montana. Wieder WM-Vierter, hinter drei Schweizern.
Ich war am Boden zerstört. Die ganze Schweiz feierte, nur ich nicht. Ich musste die Zeit danach vor Ärger am Abend oft weinen, wollte keine Fragen mehr beantworten und mich am liebsten in einem Mauseloch verkriechen.

Dachten Sie an Rücktritt?
Natürlich denkt man daran, aber ich wollte mir selber beweisen, zu was ich noch fähig bin. Es gibt auf der Welt nur wenige Skirennfahrer, die überhaupt Rennen gewinnen können. Der andere, grosse Teil besteht – brutal gesagt – aus Mitläufern. Ich hatte ja damals mit 25 Jahren schon zwei Weltcup-Abfahrten gewonnen.

1991 wurde Ihr Jahr, doch es begann tragisch. In Wengen kam der Österreicher Gernot Reinstadler ums Leben.
Ich stand im Ziel, neben mir Erwin Resch. Eigentlich ein hartgesottener Hund, aber als er die Blutspur im Schnee sah, brach er zusammen. Es waren schreckliche Bilder. Bei der Startnummernauslosung am Abend wählte ich die Nummer 7. Da aber Gernot in der Nacht auf Samstag verstarb, wurde das Rennen richtigerweise abgesagt. Ich glaube, ich wäre nicht in der Lage gewesen zu starten. Einen Monat später wurde mir dann an der WM-Abfahrt in Saalbach wieder die 7 zugelost. Das war kein Zufall.

Stimmt die Legende, dass Sie während der WM-Abfahrt dachten, Sie werden zum vierten Mal Vierter?
Ich habe gemerkt, dass ich oben zwei Fehler gemacht habe. Mein Gedanke dann: Entweder du riskierst jetzt alles und fährst aufs Podest, oder du riskiert zu viel und scheiterst deutlich. Einfach auf keinen Fall wieder Vierter werden. Ich habe dann festgestellt, zu was ein Mensch fähig sein kann, wenn er in einer ausserordentlichen Situation steckt. Ich ging unten volles Risiko und holte endlich Gold.

Wie feiert ein Franz Heinzer nach dieser langen Leidenszeit einen WM-Titel?
Ich habe schon gefeiert, es dabei aber, glaube ich, nicht übertrieben. Im Gegensatz zu Bernhard Russi. Der schlief ja am Tag darauf während des Kombi-Slaloms an der Seite von Matthias Hüppi als TV-Kommentator ein …

Wie gross war die Genugtuung, endlich Weltmeister zu sein?
Gewaltig, zu dieser Zeit war man mit «nur» Weltcuprennen-Gewinnen bloss eine Nummer. Dies gelang damals ja vielen Schweizern. Erst mit einem Titel stieg der Bekanntheitsgrad.

In der damaligen Zeit war die Schweiz unglaublich dominant. Wie war die Stimmung im Team?
Jeder war ein Egoist, ab und zu hat es schon mal «gchlöpft», und es gab eine Rangelei. Unser Trainer Karl Frehsner musste uns nie motivieren, er musste vor allem schauen, dass wir trotz der Rivalität zusammenhielten und einigermassen miteinander auskamen.

Gelang ihm das?
Ja, er war ja auch in einer komfortablen Lage. Wenn fünf gestürzt oder schlecht gefahren sind, standen immer noch vier oben, die gewinnen konnten. Da war es natürlich ein Leichtes für ihn, auf seinem Masten zu stehen und zu lächeln. Um zu verdeutlichen, wie gross die interne Konkurrenz damals war: Ich wurde im Weltcup dreimal Achter und war dabei jeweils nur der sechstbeste Schweizer.

Wie wars mit Peter Müller?
Ach, der Pitsch. Er war ein Reisser und hat uns mit seiner unbequemen Art aufgeweckt. Im Konditionstraining machten wir jeweils gemeinsame Sache gegen ihn. Wir wollten nicht, dass er alle fünf Stehvermögen-Läufe als Erster beendet. Deshalb haben wir untereinander abgemacht: Du gibst im ersten Lauf alles und gewinnst, du im zweiten …

1993/94 bestritten Sie Ihre letzte Saison im Weltcup. In Kitzbühel stürzten Sie schwer.
Das war ein echter Hammer. Der Skischuh brach hinten bei der Landung, und ich flog beim Seidlalm-Sprung spektakulär ab. Ich war etwa eine Stunde bewusstlos und bin erst im Spital wieder aufgewacht.

Zwei Wochen später kam Ulli Maier in Garmisch ums Leben. Wie sehr hat Sie das beschäftigt?
Sehr, so ein tödlicher Unfall hätte auch mir passieren können. Das hat mich schon immer mehr zum Nachdenken bewegt. Da reifte in mir der Entscheid, Ende Saison aufzuhören.

Zeit zum Nachdenken hatten Sie auch an den Olympischen Spielen 1994 in Lillehammer. Wegen eines Bindungsbruchs verloren Sie gleich beim Start den rechten Ski. Was dachten Sie, als Sie alleine dort standen und wussten, dass der Traum von einer Olympia-Medaille geplatzt war?
Dort oben gleich nach dem Start hatte es keine Leute. Es war deshalb mucksmäuschenstill und «huerechalt». Mein erster Gedanke: Ich darf sicher nochmals starten. Mein zweiter Gedanke: Wut. Mein dritter Gedanke: Zum Glück ist mir das wenigstens am Start passiert und nicht mit 120 km/h vor einem Netz. Vielleicht hatte der Ausfall auch sein gutes.

Warum?
Bei mir gab es damals nur SOS. Die Olympiamedaille war die einzige Medaille, die mir noch fehlte. Wahrscheinlich hätte ich an dem Tag so viel riskiert, dass mir etwas Schlimmes hätte passieren können. In den Wochen danach habe ich aber noch oft davon geträumt.

Danach traten Sie zurück, doch später starteten Sie noch auf der US-Profi-Tour und stürzten erneut schwer.
Darunter hatte ich wirklich zu leiden, ich sah danach ein halbes Jahr im unteren Blickfeld alles doppelt. Da sagte ich mir: Jetzt ist fertig, ich werde nie mehr Skirennen fahren, auch nicht zum Plausch. Vor allem auch wegen unserer Familie mit den drei kleinen Kindern. Daran habe ich mich bis heute gehalten. Und als das Doppeltsehen verschwand, habe ich übrigens das beste Obligatorische meiner Karriere geschossen!

Sie sind eigentlicher ein ruhiger, vorsichtiger Mensch. Doch auf der Piste gaben Sie immer Vollgas. Wie ging das?
Das stimmt, auf der Piste konnte ich ein «sehr frecher Siech» sein, «ghaue oder gschtoche». Das war aber auch nötig. Es gab in jedem Rennen vier, fünf Fahrer, die alles riskiert haben. Wenn du nicht zu denen gehört hast, dann wurdest du halt maximal Sechster. Ich weiss auch nicht genau, warum es mir gelang, so viel zu riskieren. Ich war immer davon überzeugt, dass mir nichts passieren wird und ich schon Schwein haben werde, auch wenn es mich übel überschlagen sollte.

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