SonntagsBlick: Frau Weyermann, muss ich mich vor unserem Gespräch fürchten?
Anita Weyermann: Nein, warum sollten Sie?
Sie haben 1996 gesagt: «Ich hasse solche Interviews!»
Ich war da erst 18 Jahre alt und stand auf einmal in der Öffentlichkeit. Von 0 auf 100. Daran musste ich mich erst gewöhnen.
Sie haben damals auch erzählt, dass Ihr Jugendschwarm der Fussballer Dario Zuffi war.
(Lacht) Er war halt der Schönste und gefiel mir am Besten. Mein grösstes Vorbild war aber eine andere Person.
Wer?
Ganz klar Erika Hess. Ein lebensgrosses Poster von ihr hing in meinem Zimmer, und ich habe mir sogar mal ihre Frisur machen lassen. Wir haben zu Hause immer Skirennen geschaut und Autogramme der Schweizer Stars gesammelt. Mein Bruder und ich sagten uns damals: Wir möchten auch mal so werden und haben deshalb schon früh geübt, selber Autogramme zu schreiben.
Was viele heute nicht mehr wissen: Sie selbst wären beinahe eine Skirennfahrerin geworden.
Ich bin relativ lange im Winter Skirennen gefahren und habe im Sommer Leichtathletik betrieben. Selbst im Winter vor meinem Junioren-WM-Titel über 1500 Meter 1994 fuhr ich noch FIS-Rennen.
Warum entschieden Sie sich für die Leichtathletik?
Für eine Skirennfahrerin war ich einfach zu dünn. Ich wollte mir damals sogar einen dicken Hintern und dicke Waden anfressen, so wie meine Vorbilder, aber irgendwie hat es nicht geklappt. Mein WM-Titel bei den Juniorinnen gab dann den Ausschlag zugunsten der Leichtathletik.
Sie waren in der Zeit noch Schülerin. Wie schwierig war es, Schule und Sport zu vereinen?
Sport-Gymnasien gab es noch nicht. Wenn ich unterwegs war, wurden mir jeweils die Aufgaben noch gefaxt.
Wie waren Sie als Schülerin?
Heute würde man mir wahrscheinlich Medis geben. Ich war schon ein zappeliges Kind, das kaum ruhig sitzen konnte. Ein Horror für jeden Lehrer. Ich habe während des Unterrichts auch immer geschaukelt und bin dabei regelmässig vom Stuhl gefallen. Irgendwann sagte der Lehrer: «Anita, jetzt musst du eine Stunde lang stehen.» Das Peinliche daran: Ausgerechnet in der Stunde war eine Kollegin meiner Mutter zu Gast. Die hat das dann natürlich weitererzählt. Meine Mutter fand das gar nicht lustig.
Die Bernerin zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Leichtathletinnen aller Zeiten. 1997 gewann sie WM-Bronze, 1998 EM-Bronze, beides über 1500 Meter. 1999 wurde sie Cross-Europameisterin und Schweizer Sportlerin des Jahres. Sie nahm zweimal an Olympischen Spielen teil. 2008 trat sie nach zahlreichen Verletzungen zurück.
Heute arbeitet die vierfache Mutter zu 20 Prozent beim Radio BeO, bietet Laufwochen auf Sardinien und Privattrainings an und leitet zusammen mit ihrem Mann eine Leichtathletik-Trainingsgruppe.
Die Bernerin zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Leichtathletinnen aller Zeiten. 1997 gewann sie WM-Bronze, 1998 EM-Bronze, beides über 1500 Meter. 1999 wurde sie Cross-Europameisterin und Schweizer Sportlerin des Jahres. Sie nahm zweimal an Olympischen Spielen teil. 2008 trat sie nach zahlreichen Verletzungen zurück.
Heute arbeitet die vierfache Mutter zu 20 Prozent beim Radio BeO, bietet Laufwochen auf Sardinien und Privattrainings an und leitet zusammen mit ihrem Mann eine Leichtathletik-Trainingsgruppe.
Ende der 90er feierten Sie dann als junge Sportlerin Ihre grössten Triumphe. Danach kam nicht mehr viel. Hatten Sie zu früh zu viel Erfolg?
Nein, ich bin bis heute nur eine von zwei Schweizerinnen, die eine WM-Medaille geholt hat. Ich halte immer noch die Schweizer Rekorde über 1500, 3000, 5000 Meter und die Meile. Du musst deine Leistung bringen, wenn du sie draufhast. Leider kamen danach die Verletzungen.
Für viele Experten ist klar: Sie waren so oft verletzt, weil Sie zu hart trainierten.
Da ist rückblickend sicher was dran. Was bei meinen Erfolgen meine Stärke war, das Kompromisslose, das Vollgasgeben, das wurde dann zu meinem Nachteil. Ich bin sehr ungeduldig. Jedes Mal, wenn es nach einer Verletzung ein bisschen aufwärtsging, habe ich wieder Gas gegeben und mich dabei wieder verletzt. Man hätte damals bei mir mal den Reset-Knopf drücken müssen und wieder ganz von vorne beginnen sollen.
Wurden Sie von Ihrem Vater, der auch Ihr Trainer war, nie gebremst?
Doch, er hat es immer versucht. Aber ich hatte halt meinen eigenen Kopf …
Damals gab es in den Medien einige Theorien, warum Sie nach 20 nicht mehr so erfolgreich waren. Die eine lautete: Weyermann hat zu kleine Nasenlöcher.
Das hat mir mal ein Arzt gesagt, weil ich unter Asthma leide. Aber das ist Quatsch. Ich gewann ja auch mit Asthma und meinen kleinen Nasenlöchern WM-Bronze.
Eine zweite Theorie: Sie verloren wegen der Pille an Leistung.
Auch Quatsch. Ich nahm damals massiv zu, und der Blick ging davon aus, dass das mit der Pille zusammenhing. Das war aber falsch. Ich hatte einen offenen Ellbogenbruch, der sich entzündete. Deshalb musste ich Antibiotika zu mir nehmen, was meinen Darm angriff. Als Folge davon erhielt ich Kortison und ging auf. Es ist nicht einfach, als 22-jähriges «Modi» solche Geschichten in der Zeitung lesen zu müssen.
Wie fühlt es sich an, in der Öffentlichkeit vom Teenie zur Frau zu werden?
Das war schwierig. Nach der WM-Bronze-Medaille kam ich mir oft ausgestellt vor, wenn ich durch Bern lief. Ich ging deshalb zu meiner Freundin, die Coiffeuse war, und liess mir die Haare abschneiden. In der Hoffnung, nicht mehr erkannt zu werden.
Ging der Plan auf?
Nein, die Leute haben mich immer noch erkannt, und zudem sah ich so zusätzlich noch scheisse aus (lacht).
1997 titelte Blick: «Anita nackt».
Das war heftig. Morgens rief mich mein Manager an und sagte: «Anita, wir haben ein Problem. An jedem Kiosk hängt ein Blick-Plakat mit der Schlagzeile ‹Anita nackt›.» Am gleichen Abend hatten wir vom Leichtathletik-Klub aus zum Grillieren abgemacht. Dort war auch mein damaliger Freund, mit dem ich eben erst zusammengekommen war. Zuerst wollte ich nicht hingehen. Doch dann sagte ich mir: Was willst du? Die reden ja darüber. Also ging ich trotzdem, aber ja, solche Geschichten waren nicht immer einfach, aber ich habe es ja überlebt.
Wie kam es zu diesen freizügigen Fotos?
Ich erhielt damals einen Werbevertrag mit Tag Heuer und wurde zu einem Shooting mit Star-Fotograf Herb Ritts nach Miami eingeladen. Im Vorfeld sagte man mir, ich müsse mein Wettkampfoutfit mitnehmen. Beim Shooting hiess es auf einmal, ich könne bloss einen hautfarbenen Slip anziehen, den man dann wegretuchieren werde. Mehr nicht.
Haben Sie nichts gesagt?
Nein, ich war halt noch jung. Und schon lag ich quasi nackt auf einem Dach in Miami. Wenn ich mir aber heute die Fotos anschaue, kann ich gut damit leben.
Das Berner Meitli mitten in der Welt der Schönen und der Reichen: Wie gingen Sie damit um?
Das war schon speziell. Auch bei diesem Shooting. Auf einmal sass ich mit Boris Becker in der Stretch-Limo, und wir fuhren in ein Schickimicki-Restaurant. Ich kam dort mit meiner Sporttasche an, die mir dann von einem Angestellten abgenommen wurde. Das war eine völlig andere Welt. Ich kann mich noch erinnern, dass ich Shrimps mit Nudeln bestellte. Ich bekam dann eine Riesenshrimps, und die paar Nudeln waren bloss Dekoration. Satt wurde ich so nicht.
Mochten Sie Auftritte auf dem roten Teppich?
Eigentlich nicht. Ich fühlte mich immer wohler «blutfuss» als in «Schtögeli-Schuhen». Wenn ich für die Sports Awards jeweils ein Kleid kaufen musste, war das für meine Freundinnen immer eine Riesen-Gaudi. Die mussten immer lachen. Ja, ich kam mir manchmal schon verkleidet vor.
Wer heute den Namen Anita Weyermann hört, der denkt vor allem an Ihren legendären Spruch «Gring ache u seckle» von 1997. Wie oft werden Sie darauf noch angesprochen?
Zuerst muss ich etwas klarstellen: Es heisst «Gring abe u seckle». Das wird fast immer falsch geschrieben! Ja, ich werde auch heute noch regelmässig darauf angesprochen. Oft wissen die Leute gar nicht mehr, wie ich heisse, aber den Spruch, den kennen sie noch. Ich finde das witzig.
Heute sind Sie vierfache Mutter. Stimmt die Geschichte, dass Sie am Tag nach der Geburt Ihres ersten Kindes wieder joggen gingen?
Ja, das stimmt. Mein Frauenarzt war ziemlich laufverrückt. Ich lag da in meinem Bett und brauchte einfach frische Luft und Bewegung. Da fragte er mich, ob ich die Turnschuhe dabei habe. Natürlich hatte ich die dabei. Also ging ich ein bisschen an der Aare joggen.
Nach der Geburt der Drillinge haben Sie das aber hoffentlich nicht gemacht, oder?
Nein, aber einen Tag vor der Geburt ging ich noch drei Kilometer schwimmen. Mein Mann sagte da zu mir: «Wenn du ins Wasser gehst, steigt der Wasserpegel.»
Haben Sie mal ausgerechnet, wie oft Sie bei den vier Kindern Windeln wechseln mussten?
Nein, aber was ich sagen kann: Die frischen Windeln hochtragen war kein Problem, sie dann alle aber wieder voll runtertragen war schon anstrengend. Wir haben damals sehr viele Kehrichtsäcke gebraucht!