«Ich war viel zu wenig Sauhund»
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Ski-Legende Paul Accola:«Ich war viel zu wenig Sauhund»

Ski-Legende Paul Accola rechnet ab
«Ich war viel zu wenig Sauhund»

Wir waren Helden! Paul Accola erklärt, warum er zu wenig verdient hat. Weshalb er jetzt die Landwirtschaftsschule besucht. Und wieso er im Zürichsee Krokodile aussetzen möchte.
Publiziert: 01.09.2020 um 00:57 Uhr
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Aktualisiert: 01.09.2020 um 09:06 Uhr
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Heute ist Paul Accola Arbeitgeber. Seine Hauptaufgabe: Anspruchsvolle Baggerarbeiten.
Foto: Sven Thomann
Daniel Leu (Interview) und Sven Thomann (Fotos)

Wo ist Paul Accola? «Kommt um 14 Uhr an die Hofstrasse in Davos. Ich bin dort am Heuen», hat er morgens am Telefon noch mitgeteilt. Doch um 14 Uhr weit und breit keine Spur von Accola. «Es gibt wegen eines dringlichen Termins eine Planänderung», erklärt er via Telefon, «ich fahre jetzt zum Sport-Gymnasium.»

Dort angekommen biegt er gerade mit seinem Traktor um die Ecke. Auf dem Anhänger ein Bagger. Zeit für die Journalisten hat er jetzt keine. Gekonnt und artistisch fährt er mit dem Bagger vom Anhänger. Ein Zaun, der im Weg steht, wird mit der Schaufel kurzerhand umplatziert. Dann wird kurz gebaggert, das Gefährt wieder auf den Anhänger gehievt und weiter gehts. «Fahrt mir einfach nach.»

Nach wenigen Minuten hält er an. «Wartet hier. Ich hol jetzt den Kran. Und dann fahren wir Richtung Jakobshorn.» Wenig später taucht er wieder auf. Die Verfolgungsjagd geht weiter. Auf engen, unasphaltierten Strassen. Irgendwann sind wir am Ziel, auf gut 2000 Metern über Meer. Zeit fürs Interview? «Jetzt nicht, du hast gesagt, um 15 Uhr zuerst die Fotos, mit unterschiedlichen Situationen», sagt er und wuchtet sich auf den Bagger.

Der Hang hier kam kürzlich ins Rutschen. Jetzt muss ihn Accola stabilisieren. Mit Baumstämmen und Steinen. Man merkt gleich: Hier ist Accola in seinem Element. Niemand, der ihn stört. Nur er und der Bagger, inmitten dieser wunderbaren Natur.

Nach rund zwei Stunden ist Accola fertig. «Fahrt mir nach. Jetzt gehts zur Clavadeleralp ins Restaurant. Dort können wir miteinander reden.» Unterwegs aber doch noch ein kleiner Zwischenstopp. Accola hat einen wunderschönen Pilz entdeckt. Voller Stolz zeigt er ihn.

Als die kalte Ovi serviert wird, ist Accola endlich bereit.

BLICK: Herr Accola, was machen Sie am 18. Oktober 2020?
Paul Accola:
(überlegt lange) Wahrscheinlich das Gleiche wie heute: arbeiten. Warum fragen Sie?

Dann findet in Sölden der Weltcup-Auftakt statt. Mit Ihnen am Start? Denn offiziell zurückgetreten sind Sie bis heute nicht.
Ich habe bis jetzt noch kein Aufgebot erhalten. Ich bin ja nie offiziell in den Weltcup eingetreten, deshalb bin ich auch nie offiziell zurückgetreten. Diese tränenreichen Abschiedsmedienkonferenzen sind doch ein Kindergarten. Sag niemals nie. Auf einmal kommt man wieder … Soll ich Ihnen was sagen?

Schiessen Sie los!
Als Swiss Ski 2019 für Kitzbühel und Wengen nur fünf Schweizer Fahrer nominiert hatte, hätte ich am liebsten beim Verband angerufen und gefragt, ob ich mitfahren darf. Das ist echt bedenklich!

Warum?
Das ist eine Frechheit gegenüber den Jungen. Früher waren wir 20 Athleten und fünf Trainer am Berg, heute sind es fünf Fahrer und 20 Trainer. Das grösste Problem dabei sind die Weltcup-Punkte. Junge brauchen rund 50 Punkte, um bei der Startliste unter die ersten 30 zu kommen. Doch wie sollen sie das schaffen, wenn sie gar nicht im Weltcup starten dürfen? Deshalb geben viele Fahrer zwischen 18 und 25 Jahren auf. Die fehlen uns dann später.

Lassen Sie uns ganz von vorne beginnen. Wie wuchsen Sie auf?
Auf dem Bauernhof, wir waren vier Kinder. Es war streng, aber schön. Wir mussten immer überall mithelfen, das war völlig normal. Ferien gab es nie.

Von was träumte der kleine Pauli?
Ich muss gestehen, dass ich dies nicht mehr weiss. Und wenn ich doch was träumte, habe ich immer gleich versucht, den Traum am nächsten Tag zu erfüllen.

In der Saison 1987/88 gaben Sie Ihr Weltcup-Debüt und durften dann gleich an die Olympischen Spiele nach Calgary reisen. Wie fanden Sie sich in dieser neuen Welt zurecht?
Die Fliegerei, die Medien, der Rummel – ich habe dies gar nicht so wahrgenommen. Ich hatte jahrelang auf dieses Ziel hingearbeitet und war einfach nur froh, dass ich Skirennen fahren durfte.

Sie haben dann mit Ihrer direkten Art schnell einmal für Schlagzeilen gesorgt. Zum Beispiel mit dem Satz: «Was ist schon die Kombination. Die interessiert ja doch kein Mensch.»
Das waren doch keine Sprüche, das war einfach die Wahrheit. Ihr habt dann für Wirbel gesorgt, nicht ich. Es war als Athlet einfach nur frustrierend. Man musste immer nur fressen. Die Fahrer sind nur das Mittel zum Zweck. Der Ski-Weltverband Fis will drei bis vier herausragende Fahrer, für den Rest interessieren sie sich nicht.

Legendär ist auch Ihre Aktion an den Olympischen Spielen 1992 in Albertville. Im Ziel vergruben Sie die Startnummer und zeigten den Funktionären den Mittelfinger. Warum?
Ich war frustriert durch mein Ausscheiden. Vor Olympia gewann ich alle drei Kombinationen. Und auch in Albertville lag ich nach der Kombi-Abfahrt gut im Rennen. Doch die Slalom-Piste war eine Katastrophe. Die Piste wurde mit zu wenig Wasser präpariert, so dass sie nach wenigen Fahrten durchgebrochen ist. Durch die Fehlpräparation konnte man angriffige Fahrten vergessen. Deshalb meine verständliche Reaktion im Ziel.

Eines Ihrer Lieblingsworte war zu der Zeit «Schlüüch». So bezeichneten Sie regelmässig die Funktionäre. Sie mussten deshalb auch mal 10'000 Franken Busse bezahlen.
Diese Busse musste ich bezahlen, da ich eine Stunde zu spät in die Werbewoche eingerückt bin. Daraufhin habe ich die Busse bezahlt und freiwillig 2000 Franken zusätzlich für den Nachwuchs gestiftet, unter der Bedingung, dass diese Summe dem Skirennsportnachwuchs zugutekommt. Übrigens verteilt die Paul-Accola-Nachwuchs-Stiftung jedes Jahr rund 50'000 Franken an Nachwuchssportler in Graubünden.

Sie haben 1992 den Gesamtweltcup gewonnen und insgesamt bei sieben Rennen gesiegt. Wäre mehr dringelegen?
Ja, viel mehr. Ich bin von mir enttäuscht. Ich habe jahrelang Energie verbraucht, um gegen den Skiverband zu kämpfen. Und ich habe immer für die Mannschaft und den Skirennsport geschaut. Ich war viel zu wenig Sauhund und hätte egoistischer sein müssen.

Nach dem Gewinn des Gesamtweltcups fuhren Sie noch 13 Saisons weiter, ohne auch nur ein Rennen zu gewinnen. Warum klappte es danach nicht mehr?
1991/92 bin ich einfach gefahren, ohne zu studieren. Es war eigentlich eine «bireweichi» Saison. Ich fuhr 16-mal aufs Podest und 24-mal unter die ersten Fünf. Da habe ich gezeigt, was möglich wäre. Danach begann halt der Kampf gegen den Verband. 80 bis 90 Prozent im Spitzensport ist nur der Kopf. Wenn der «Grind» nicht locker ist, hast du keine Chance.

Wo haben Sie die grosse Kristallkugel und Ihre Medaillen aufbewahrt?
Ganz ehrlich, lasst mich kurz nachdenken. Die Kristallkugel ist wohl im Sportmuseum in Davos. Wo die Medaillen sind? Keine Ahnung. Das ist auch nicht wichtig, das ist nur ein Stück Edelmetall. Wichtig sind die Emotionen und die Erlebnisse. Die sind für den Rest meines Lebens in meinem Kopf abgespeichert.

Ihr zweite grosse Leidenschaft ist das Bagger fahren. 1992 traten Sie damit gar in «Wetten, dass..?» auf und wurden Wettkönig. Wie war es, in einer TV-Sendung mit Weltstars wie Elton John oder Catherine Deneuve aufzutreten?
Ich hatte da ja meinen Bagger dabei, den Rest habe ich nicht mitbekommen. Zudem war ich eine Aussenwette, das war nur eine Show.

In Ihrem heutigen Leben sind die Bagger noch immer sehr wichtig. Wie sieht ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?
Jeder Tag ist anders. Ich bin zwar der Chef, doch ich muss dort hingehen, wo am lautesten gerufen wird. Zurzeit habe ich sehr viel zu tun.

Sie haben drei Kinder zwischen 12 und 18 Jahren. Werden sie eine Ski-Karriere einschlagen?
Das sollen sie selber entscheiden. Mir wäre ehrlich gesagt lieber, sie würden Hockey oder Fussball spielen. Beim Skifahren musst du zu den Weltbesten gehören, um Geld verdienen zu können. Sport ist eine super Lebensschule, aber du gehst dabei ein unglaublich hohes Risiko ein und stehst am Ende vielleicht mit leeren Händen da.

Haben Sie als Skirennfahrer gut verdient?
Nein, viel zu wenig. Als ich den Gesamtweltcup gewann, ja. In den restlichen Jahren nein. Da hätte ich als «Büäzer» mehr verdient.

Haben Sie noch Träume?
Mit 53 sollte man schon ein paar Träume erfüllt haben, sonst hast du etwas falsch gemacht. Vor etwa 15 Jahren habe ich mir im Sertig eine Alphütte gekauft. Das war wie ein Lottosechser, einfach «uhuere geil». Da sind die Bahamas oder Hawaii nichts dagegen. Einen weiteren erfülle ich mir momentan gerade, indem ich die Landwirtschaftsschule besuche.

Warum?
Weil es mich interessiert. Kürzlich haben wir gelernt, wie eine Kuh funktioniert. Zum Beispiel sind die verschiedenen Mägen unglaublich spannend.

Sie haben auch schon von einer Karriere als Politiker geträumt und zweimal für die SVP für den Nationalrat kandidiert. Hegen Sie noch politische Ambitionen?
Ich bin ein politischer Mensch und gehe jedes Mal abstimmen. Ich bin übrigens auch der Meinung, dass wir eine Stimmpflicht haben müssten. Nutzt der Stimmbürger zweimal unbegründet sein demokratisches Recht nicht, müsste ihm das Stimmrecht entzogen werden.

Ende September stimmen wir über das Jagdgesetz ab. Das sieht vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Wolf abgeschossen werden darf. Können Sie verstehen, dass gewisse Leute das nicht gutheissen?
Nein! Ich finde es zudem eine Frechheit, dass Stadtzürcher da mitreden und mitentscheiden dürfen. Auch wenn die Schweizer Demokratie so funktioniert. Ich bin dafür, dass man im Zürichsee 40 Krokodile und giftige Schlangen aussetzt. Wenn die sich dann darüber aufregen, sage ich: Liebe Stadtzürcher, wo ist das Problem? Die sind doch so herzig!

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