Liebe im Weltcup? Das ist keine Seltenheit. Hanni Wenzel (Lie) und Harti Weirather (Ö), Marlies Schild und Benni Raich (beide Ö), Tessa Worley und Julien Lizeroux (beide Fr) – das sind nur drei von mehreren berühmten Ski-Pärchen. Die aktuell berühmteste Liaison ist jene von Michelle Gisin (26) und Luca De Aliprandini (29). Am 1. September feiern die Olympiasiegerin aus Engelberg und der italienische Riesenslalom-Spezialist ihr sechsjähriges Jubiläum. Am gleichen Tag wird De Aliprandini 30 Jahre alt. Eine Party gibt es aber nicht. Gisin ist auf dem Gletscher und De Aliprandini wird im kleinen Rahmen feiern, nachdem er die letzten 12 Geburtstage im Trainingslager in Argentinien verbracht hat.
Vor zwei Jahren kam ein weiteres Glück hinzu: ein gemeinsames Daheim. «Wir schauten uns nach einem Häuschen in Italien um. Nicht zu weit weg von der Schweiz, aber doch in der Wärme.» Die Wahl fiel auf Riva del Garda. Gisin war sofort Feuer und Flamme. Kein Wunder, schliesslich verbrachte sie schon als Kind ihre Sommerferien im schmucken Ferienort. «Und weil das Haus sich erst im Rohbau befand, konnten wir viel mitgestalten. Das war toll.»
Gisin wohnt nicht das ganze Jahr am Nordufer des Gardasees. Während der Ski-Saison zieht es sie eher zur Familie nach Engelberg. Am Gardasee fällt es ihr jedoch leichter, die Batterien aufzuladen. «Die Leute auf der Strasse erkennen uns praktisch nie, der Skisport steht hier nicht so sehr im Vordergrund wie in der Schweiz. Werden wir vorgestellt, erkennen uns die meisten, jedoch nicht beim Vorübergehen. Das macht alles ein Stück ruhiger. »
«Zu 200 Prozent der Richtige»
Das Band, welches das Ski-Paar verbindet, ist trotz kultureller Unterschiede stark. «Wir haben in den letzten Jahren viel erlebt. Nicht nur Schönes, sondern auch schwierige Zeiten», erzählt Gisin während eines Spaziergangs am Seeufer. Tatsächlich: Neben Erfolgen gab es auch Verletzungen und sportliche Krisen. Für ein Paar, das sich während sechs Monaten im Jahr kaum sieht, ist das eine besondere Belastung. Oder? «Sicher. Wir trennten uns zu Beginn unserer Beziehung auch mal kurzzeitig», so Gisin. Letztlich hätten sie aber rasch gemerkt, dass sie ohne den anderen nicht können. «Mittlerweile streiten wir selten. Die harten Zeiten haben uns zusammengeschweisst», so Gisin. Sie ist sich sicher: «Luca ist zu 200 Prozent der Richtige.» Dass er genau gleich über Gisin denkt, lassen ihre gemeinsamen Heiratspläne erahnen. De Aliprandini plaudert aus dem Nähkästchen: «Michelle sagte mir, wir warten sieben Jahre ab. Und wenn ich nach dem achten Jahr noch nicht gefragt habe, sei sie dann vielleicht weg. Jetzt sind es sechs – ich weiss also Bescheid.»
Gisin und De Aliprandini – das passt. Und das merkt man. Dennoch sagt er bei einem Apéro an der Piazza delle Erbe im Zentrum von Riva: «Ich bin das Gegenteil von Michelle.» Sie sei stets voller Energie, er dagegen ruhiger. «Schweiz und Italien, das ist halt anders.» Seine Herzensdame nickt, räumt aber ein: «Ich nehme mittlerweile vieles lockerer als früher. Gleichzeitig konnte ich Luca etwas aus seiner Komfortzone holen. Darauf bin ich stolz.»
Wird aus dem Gäste- ein Kinderzimmer?
Letztlich bleiben aber in der schweiz-italienischen Beziehung einige Unterschiede. Das fängt schon bei der Familie an. Während Gisins Weg in den Skisport durch die skiverrückten Eltern und Geschwister Dominique und Marc vorgezeichnet war, kämpfte sich De Aliprandini mit wenig Unterstützung durch. Der Vater war Zahntechniker – heute ist er Apfelbauer –, die Mutter Schulabwartin. «Sie haben wenig Ahnung vom Skisport», sagt er ohne jeden Vorwurf. Dazu kommt, dass der Trentiner in der Squadra Azzurra sich gegen die geschlossene südtiroler Konkurrenz durchsetzen musste. «Weil ich damals noch kein Deutsch sprach, war dies nicht einfach.» Letztlich schaffte er es in den Weltcup – so wie Gisin. Sie beide sind Kämpfernaturen.
Zurück zu ihren Differenzen: Während Gisin gerne bäckt, koch ihr Freund lieber – «nie nach Rezept», wie er präzisiert. Sie macht Windsurfing, er Motocross. Sie kuschelt zuhause gerne, er schreibt und telefoniert unterwegs öfter. Er pflegt den englischen Rasen zuhause wie ein Heiligtum («da bin ich ein Tüpflischiisser»), sie schmunzelt eher darüber. Wenn sie zusammen ein Möbel montieren, ordnet sie zuerst alle Schrauben und Bretter, während er einfach mal probiert.
Weitere Unterschiede: Gisin ist vorsichtiger und diskutiert gerne alles aus, De Aliprandini ist direkter, schaltet aber auch schneller auf stumm. «Vielleicht macht es genau das aus», sagt Gisin. Sie lieben und schätzen sich – trotz, oder genau wegen dieser Differenzen. Und für die Zukunft haben sie auch vorgesorgt. Auf die Frage, ob es in ihrem kleinen Haus auch Platz für ein Kinderzimmer gäbe, sagt Gisin schmunzelnd: «Es hat ein Gästezimmer.» Dass dieses schnell umgebaut wäre, versteht sich von selbst. Doch das ist Zukunftsmusik. Hier und jetzt könnte die Welt für Gisin und De Aliprandini nicht schöner sein.