Edith Hunkeler blickt auf Highlights ihrer Karriere zurück
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Stürze, Erfolge und Ehrungen:Edith Hunkeler blickt auf Highlights ihrer Karriere zurück

Para-Leichtathletik-Legende Edith Wolf-Hunkeler
«Das Leben hat es gut gemeint mit mir»

Was für ein Mensch! Edith Wolf-Hunkeler (52) erzählt, wie sie die ersten Schritte ihrer Tochter erlebt hat. Warum sie offen über den Tod reden kann. Und weshalb die Schweiz ein behindertenunfreundliches Land ist.
Publiziert: 03.09.2024 um 10:40 Uhr
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Edith Wolf-Hunkeler redet im Gespräch offen über ihre Erfolge, aber auch über Tiefschläge.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Daniel LeuStv. Sportchef

Hinweis: Dieser Artikel erschien im Juli 2022 zum ersten Mal.

Frau Wolf-Hunkeler, wie sah Ihr Leben im Februar 1994 aus?
Ich wohnte noch zu Hause auf dem Bauernhof meiner Eltern in Altishofen und begann drei Wochen vor dem Unfall bei einem neuen Arbeitgeber im Büro zu arbeiten. Ich war Single, genoss meine Unabhängigkeit und freute mich vor allem auf meine geplante Australien-Reise.

Welche Träume hatten Sie?
Als Kind wollte ich unbedingt Bäuerin werden und eine eigene Familie haben.

War Sport ein Thema?
Nein. Ich habe mich zwar immer gerne bewegt, aber Ambitionen, um Spitzensportlerin zu werden, hatte ich nicht.

Das ist Edith Wolf-Hunkeler

Die 52-Jährige zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Behindertensportlern aller Zeiten. Die Leichtathletin gewann an den Paralympics zweimal Gold, zahlreiche Marathons (New York, Boston, London, Hamburg) und wurde siebenmal zur Schweizer Behindertensportlerin des Jahres gekürt. 2015 trat sie vom Spitzensport zurück.

2010 kam ihre Tochter Elin zur Welt, 2011 heiratete sie den ehemaligen Unihockey-Profi Mark Wolf. Das Paar wohnt in Dagmersellen LU.

Heute ist Wolf-Hunkeler «Mami mit Leidenschaft und Managerin des Hauses». Ausserdem hält sie Referate, ist Laureus- und World-Vision-Botschafterin und trainiert noch immer mehrere Male pro Woche.

Die 52-Jährige zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Behindertensportlern aller Zeiten. Die Leichtathletin gewann an den Paralympics zweimal Gold, zahlreiche Marathons (New York, Boston, London, Hamburg) und wurde siebenmal zur Schweizer Behindertensportlerin des Jahres gekürt. 2015 trat sie vom Spitzensport zurück.

2010 kam ihre Tochter Elin zur Welt, 2011 heiratete sie den ehemaligen Unihockey-Profi Mark Wolf. Das Paar wohnt in Dagmersellen LU.

Heute ist Wolf-Hunkeler «Mami mit Leidenschaft und Managerin des Hauses». Ausserdem hält sie Referate, ist Laureus- und World-Vision-Botschafterin und trainiert noch immer mehrere Male pro Woche.

Der Dienstag, der 22. Februar 1994, veränderte alles. Auf dem Weg zur Arbeit verunfallten Sie schwer. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Ja, es gibt Erinnerungen, aber die verlieren an Farbe und verblassen. Und das ist auch gut so.

Sie sind seitdem querschnittgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Wie waren die ersten Tage nach diesem Schicksalsschlag?
Ich war damals 21, unabhängig und glücklich. Ich hatte alles und auf einmal nichts mehr. Das war nicht einfach. Am Anfang siehst du nur den Rollstuhl und alles, was du nicht mehr kannst, alles andere hatte keinen Platz. Natürlich war ich sehr traurig und fragte mich nach dem Warum.

Gibt es eine Antwort darauf?
Nein, aber du musst lernen damit umzugehen. Wenn dir das gelingt, geht es aufwärts. Doch zuerst folgte der Tiefpunkt, Weihnachten 1994. Ich wollte damals mit meiner Freundin in Australien sein, Englisch lernen, das Leben geniessen. Stattdessen sass ich zu Hause im Rollstuhl. Doch irgendwann ging es aufwärts, und ich sah wieder das Schöne und Positive im Leben.

Sie haben mal gesagt, dass es vor allem schwierig war, den gelähmten Teil zu akzeptieren. Warum?
Es war am Anfang schwierig, etwas zu lieben, das man sieht, aber nicht mehr spürt. Irgendwann lernst du aber, damit umzugehen. Bis dahin war es aber ein weiter Weg.

Sie mussten auch lernen, Hilfe anzunehmen. Wie schwer fiel Ihnen das?
Ich hatte vor allem zu Beginn oft das Gefühl, dass ich das alles selber kann. Man wird auch erfinderisch und lösungsorientiert. Aber ja, manchmal muss man auch über seinen eigenen Schatten springen und Hilfe annehmen. Das lernt man schon während der Rehabilitation in Nottwil.

Wie oft fielen Sie zu Beginn aus dem Rollstuhl?
Natürlich kam das vor, das war aber alles halb so wild. So wie Sie gelegentlich über Ihre Beine stolpern, stosse ich auch mal heftiger an, aber aus dem Rollstuhl falle ich sehr selten.

Hat Sie der Sport gerettet?
Nein, aber mit dem Sport kam die Freude zurück. Ich konnte mich bewegen, kam in die Natur zurück. Der Rennstuhl war für mich auch ein Sportgerät. Während den Trainings konnte ich über vieles nachdenken, auch wenn ich mich missverstanden fühlte. Ich setzte mich einfach rein und fuhr los. Es half mir bei der Verarbeitung. Ich musste schliesslich meinen Platz in der Gesellschaft wiederfinden.

Als Sie dann für einen Sprachaufenthalt in den USA waren, bestritten Sie spontan Ihr erstes Rennen.
Das war lustig. Der Rollstuhlsportler Franz Nietlispach war damals per Zufall auch in Florida. Er sagte mir, ich solle doch mit ihm an einem Rennen in Tampa teilnehmen, es seien nur 15 Kilometer. Ich sagte spontan zu, und er organisierte mir einen Startplatz. Ich hatte jedoch keine Ahnung, wie die Strecke war und wo sich das Ziel befand. Franz sagte mir: «Fahr einfach den anderen Frauen nach. Dann kannst du dich nicht verfahren.» Aus purer Angst, das Ziel nicht zu finden, kämpfte ich bis zum Umfallen und liess mich nicht abhängen. Am Schluss wurde ich Vierte!

Der Rest der Geschichte ist bekannt. Sie wurden die erfolgreichste Behindertensportlerin der Schweiz. Wie brutal ist dieser Sport?
Es ist Spitzensport. Wenn du an die Spitze kommen willst, musst du hart dafür arbeiten, aber es lohnt sich. Was bei uns besonders ist: Jeder von uns hat eine eigene Geschichte erlebt, die ihn für sein ganzes Leben prägt. Sei es ein Soldat, der im Krieg verletzt wurde. Oder ein Kind, das auf eine Mine getreten ist und dadurch gelähmt ist oder ein Bein verloren hat. Oder ein Mädchen, das erblindet ist, weil es mit Säure überschüttet wurde. Solche Geschichten stehen hinter vielen Athleten, die es an die Paralympics schaffen. Das sind für mich die «besonderen Sportlerinnen und Sportler», wie wir oft genannt werden.

Sie hatten auch schwere Unfälle. Zum Beispiel beim Berlin-Marathon 2000.
Es hat auf der Zielgeraden einfach «gräblet». Dadurch verpasste ich die Paralympics in Sydney. Im ersten Moment tat das schon weh, aber ich blickte jeweils schnell wieder in die Zukunft.

Auch nach Ihrem Crash an der WM 2006 in Assen?
Ja, damals bin ich in eine Strassenlampe geprallt. Mein Oberschenkel wurde dabei ziemlich zertrümmert. Doch Aufhören war nie eine Option. Ich liebte den Sport. Hörst du auf, verpasst du vielleicht das Schönste.

2008 war es endlich so weit. In Peking gewannen Sie im Marathon Paralympics-Gold. Doch die Spiele fingen nicht gut an.
Ich stürzte im ersten Rennen über 5000 Meter und löste einen Crash aus. Die Enttäuschung über mich selber war gross. Das war viel schmerzhafter als die Prellungen und Blutergüsse am ganzen Körper. Aber am Schluss gewann ich im Marathon die Goldmedaille. Ich wurde im wahrsten Sinne des Wortes von der Pechmarie zur Goldmarie.

Wie gross war die Genugtuung?
Meine Gefühlswelt war definitiv ein Durcheinander. Ich bin heute noch stolz, dass ich nach dem Sturz nicht aufgegeben habe.

2012 gewannen Sie in London erneut Gold über die 5000 Meter. Damals hatten Sie bereits Ihre Tochter Elin. Wie brachten Sie das alles unter einen Hut?
Damals musste jedes Puzzleteil ineinanderpassen. Ohne meinen Mann Mark und unsere Freunde wäre das nicht möglich gewesen. Trotzdem habe ich mich manchmal schon gefragt: Ist das der richtige Weg? Die Antwort darauf war aber immer ein Ja.

Alle Eltern kennen diesen magischen Moment, wenn ihr Kind die ersten Schritte macht. Was haben Sie in diesem Moment gefühlt?
Wir waren in Australien im Trainingslager. Elin stand auf einmal auf, lief über den Teppich und setzte sich am Rand wieder hin. Dieses Gefühl kannst du nicht beschreiben. Ihr wurde etwas geschenkt, was ich nicht mehr kann. Ein Spalt in die Unabhängigkeit ging auf. Das war schon sehr berührend. Sehr emotional war aber auch noch ein anderer Moment.

Das ist Edith Hunkeler

Die 49-Jährige zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Behindertensportlern aller Zeiten. Die Leichtathletin gewann an den Paralympics zweimal Gold, zahlreiche Marathons (New York, Boston, London, Hamburg) und wurde siebenmal zur Schweizer Behindertensportlerin des Jahres gekürt. 2015 trat sie vom Spitzensport zurück.

2010 kam ihre Tochter Elin zur Welt, 2011 heiratete sie den ehemaligen Unihockey-Profi Mark Wolf. Das Paar wohnt in Dagmersellen LU.

Heute ist Wolf-Hunkeler «Mami mit Leidenschaft und Managerin des Hauses». Ausserdem hält sie Referate, ist Laureus- und World-Vision-Botschafterin und trainiert noch immer mehrere Male pro Woche.

Die 49-Jährige zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Behindertensportlern aller Zeiten. Die Leichtathletin gewann an den Paralympics zweimal Gold, zahlreiche Marathons (New York, Boston, London, Hamburg) und wurde siebenmal zur Schweizer Behindertensportlerin des Jahres gekürt. 2015 trat sie vom Spitzensport zurück.

2010 kam ihre Tochter Elin zur Welt, 2011 heiratete sie den ehemaligen Unihockey-Profi Mark Wolf. Das Paar wohnt in Dagmersellen LU.

Heute ist Wolf-Hunkeler «Mami mit Leidenschaft und Managerin des Hauses». Ausserdem hält sie Referate, ist Laureus- und World-Vision-Botschafterin und trainiert noch immer mehrere Male pro Woche.

Welcher?
Wenn Elin jeweils noch ihren Mittagsschlaf machte, schlüpfte ich zu ihr unter die Decke. Eines Tages sagte sie: «Papi laufen, Elin laufen, Mama nicht.» Dann schlief sie ein. In dem Moment hatte sie ausgesprochen, dass Mama anders ist. Danach war das nie mehr ein Thema. Dieser Augenblick war sehr emotional, mir liefen nur noch die Tränen runter.

Als Aussenstehender fragt man sich: Gab es oft Situationen, in denen Ihnen Elin davongerannt ist und Sie ihr nicht folgen konnten?
Nein, nie. Unsere Tochter ist ein Geschenk. Sie ist mir nie über eine Strasse oder eine Treppe davongerannt. Dadurch kam ich nie in Situationen, in denen ich überfordert gewesen wäre.

Kinder können brutal ehrlich sein. Was haben Sie schon alles erlebt?
Einmal zeigte ein Kind auf mich und fragte die Mutter: «Mami, ist die Frau zu faul zum Laufen?» Oder einmal waren wir Ski fahren. Da hat mich ein Kind angeschaut und gesagt: «Wow, du hast es schön, du darfst sitzen.»

Wie gehen Sie damit um?
Es ist völlig okay, Kinder dürfen und sollen fragen. So kann man Schwellen und Vorurteile abbauen.

Apropos Schwellen: Wie behindertenfreundlich ist die Schweiz heute?
Man könnte so viel mehr machen, denn die Schweiz hätte genügend Geld, um es zu finanzieren. Im Bahnverkehr wird zwar immer etwas gemacht, aber es ist noch viel zu wenig. Viele von uns fühlen sich nicht behindert, aber bauliche Hindernisse behindern uns! Oder die Behindertenparkplätze: Man glaubt nicht, wie oft die von «normalen» Menschen besetzt werden. Das ist ein absolutes No-Go und inakzeptabel. Oder die Pflastersteine: Die sehen zwar schön aus, können für uns aber ein unüberwindbares Hindernis sein.

Gibt es heute noch häufig Situationen, in denen Sie sich darüber ärgern, im Rollstuhl zu sitzen?
Nein, ich habe eine wunderbare Familie, die mich glücklich macht. Das Leben hat es gut gemeint mit mir.

Sie feierten 2022 Ihren 50. Geburtstag. Was machte diese Zahl mit Ihnen?
Das ist nur eine Zahl. Ich muss nichts mehr, ich darf. Ich bin zufrieden und glücklich. Und vor allem der Tod meines Vaters hat mich gelehrt, noch mehr im Augenblick zu leben.

Wann starb Ihr Vater?
Mein Vater bekam 2010, als ich schwanger war, die Diagnose eines unheilbaren Hirntumors. Schlussendlich durfte er noch all seine Enkelkinder kennenlernen und mich vor den Traualtar führen. Anfang 2016 schlief er für immer ein. Wir alle, auch die Enkelkinder, waren da und konnten Abschied nehmen. Für diese Zeit bin ich heute sehr dankbar.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Sie scheinbar im Gegensatz zu vielen so offen über den Tod reden können?
Der Tod darf kein Tabu sein, er gehört zum Leben wie das Atmen, und es ist das Einzige, was wir nicht aufhalten können. Darum sollten wir darüber reden, auch wenn es wehtut. Dies ist keine Weisheit, sondern eine Tatsache.

Hinweis: Dieser Artikel erschien im Juli 2022 zum ersten Mal.

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