Vreni Schneider (58) lässt alles stehen, als der zweite Lauf in Sestriere (It) beginnt. Kochen? Geht auch später. Wäsche waschen? Auch das muss in diesem Moment hinten anstehen. «Als Wendys Start näher rückte, wurde ich richtig nervös. Dabei wäre dies gar nicht nötig gewesen, schliesslich fuhr sie einfach genial», erzählt die Ski-Legende aus Elm.
Damit hat Schneider recht. Denn: Holdener, nach dem ersten Lauf bereits starke Zweite, drückt mächtig auf die Tube, fährt aber nie kopflos. Auf der mit Schlägen durchsetzen Piste holt sie zum Paukenschlag aus, fährt die deutliche Bestzeit. «Körpersprache, Präzision und Timing – Wendy ist unterwegs, als wäre sie unbesiegbar», analysiert Schneider. Mikaela Shiffrin (27, USA), die vielleicht beste Skirennfahrerin aller Zeiten, muss die Überlegenheit Holdeners anerkennen – sie wird Zweite. Und auch Petra Vlhova (27, Slk), die wie Shiffrin schon so oft Holdener vor der Sonne stand, verdrängt die Schwyzerin nicht mehr von der Spitze.
Ketchup-Effekt bei Holdener
Nur zwei Wochen, nachdem sie zum ersten Mal einen Slalom gewonnen hatte (in Killington), doppelt Holdener also gleich nach. Verrückt: Vorher war ihr in 105 Versuchen kein Slalom-Sieg gelungen. Holdeners Glückseligkeit im Piemont ist grenzenlos: «Ich war am Morgen vor dem Rennen noch nervös, hatte nicht gut geschlafen. Dass es so aufging, ist unglaublich. Ich bin einfach glücklich.»
Das lässt sich auch über Gold-Vreni sagen. «Meine ganze Familie hat gejubelt», sagt sie. Holdener ist die erste Schweizerin seit Schneider im Jahr 1994, die zwei Slaloms nacheinander gewinnt. «Normalerweise schreibt ja Shiffrin immer wieder Geschichte. Schön, dass ich nun auch etwas so Spezielles erreichen konnte», sagt Holdener.
Tatsächlich holte Vreni Schneider vor 28 Jahren winterübergreifend gar sechs Slalom-Triumphe in Serie. «Ich hätte gar nichts dagegen, wenn Wendy Ähnliches schaffen sollte. Im Gegenteil. So oder so bin ich so stolz auf sie. Wendy blieb jahrelang am Ball, obwohl sie nicht gewann. Das sagt viel über ihre Einstellung zum Skisport aus», sagt Schneider.
Holdener auf Skiwolke sieben
Dank ihren zwei Siegen führt Holdener den Slalom-Weltcup mit Shiffrin an, beide haben 325 Punkte auf dem Konto. Das Momentum ist aber auf der Seite der Swiss-Ski-Athletin. «Der Wind hat gedreht. Das spüren auch Wendys Konkurrentinnen», sagt Schneider. Die dreifache Olympiasiegerin und Weltmeisterin kann sich gut vorstellen, dass Holdeners Traumserie noch anhalten wird. «Ich kenne dies aus meiner aktiven Zeit. Je öfter du gewinnst, desto selbstsicherer wirst du. Im Slalom, wo oft Zentimeter entscheiden können, ist das enorm viel wert.»
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Und die anderen Schweizerinnen? Sie freuen sich mit Holdener, klar. Aline Danioth (24) darf mit ihrem 13. Platz aber ebenfalls glücklich sein – an jenem Ort, wo sie zweimal das Kreuzband gerissen hat (2016 und 2020), besiegt sie ihre eigenen Dämonen. Auch Elena Stoffel (Rang 16) und Nicole Good (Rang 20) haben Grund zum Strahlen, während Michelle Gisin (28) nicht nur mit ihren neuen Salomon-Ski, sondern auch mit einer Erkältung zu kämpfen hat.