Vor zehn Monaten stand Wendy Holdener im Zielraum von Peking. «Ich bin halt kein Winner-Typ», sagte sie. Soeben hatte ihr Michelle Gisin die Kombi-Goldmedaille weggeschnappt, es gab für sie nur Olympia-Silber. Holdener, die super Skifahrerin, aber halt auch die ewige Zweite! In dieser Schublade steckte sie seit jeher.
Und nun? Hat der Wind gedreht – und zwar extrem. Sie gewinnt nach 105 erfolglosen Versuchen gleich zwei Weltcup-Slaloms nacheinander. Es ist der berühmte Ketchup-Effekt – wenns läuft, dann läufts.
Holdener schwebt derzeit auf Slalom-Wolke sieben. Und es macht keinen Anschein, als würde sie diese bald verlassen. Darum sei die Prognose gewagt: Holdener kann in diesem Winter die kleine Kristallkugel im Slalom-Weltcup gewinnen!
Hätte man sich in den letzten Jahren so geäussert, wäre man als geistig umnachtet angesehen worden. Aber was spielt das jetzt für eine Rolle? Holdener hat in Sestriere ihre Klasse eindrücklich unter Beweis gestellt. Sie verwies dabei jene Slalom-Überfliegerinnen auf die Plätze 2 und 3, die ihr unzählige Male die Suppe versalzen haben: Mikaela Shiffrin und Petra Vlhova. Derzeit führen Holdener und Shiffrin im Slalom-Weltcup mit 325 Punkten, Vlhova folgt mit 230. Sieben Slaloms stehen noch an.
Nun könnte man einwenden, Holdener stünde ab sofort unter besonderem Druck. Sie müsse schliesslich ihre Siege bestätigen. Das ist nur etwas: Blödsinn. Holdener hat nichts zu verlieren, dafür viel zu gewinnen. Sie war ja in den Augen vieler sowieso die ewige Zweite.