«Kann nicht sagen, ob ich 2027 noch dabei bin»
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Swiss-Ski Präsident Lehmann:«Kann nicht sagen, ob ich 2027 noch dabei bin»

Schwierige Tage für Swiss-Ski-Boss
Urs Lehmann spricht über Krise und Rücktritt

Seit 14 Jahren ist Urs Lehmann Präsident von Swiss Ski. Im Interview spricht er über den Schneemangel, den Zoff beim Internationalen Skiverband FIS und seinen gesundheitlichen Rückschlag.
Publiziert: 18.11.2022 um 00:04 Uhr
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Aktualisiert: 18.11.2022 um 08:44 Uhr
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Urs Lehmann konnte letztes Jahr kaum mehr laufen. Er brauchte Krücken.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Felix BingesserReporter Sport

Urs Lehmann, schauen Sie jeden Tag die Sendung Meteo bei SRF?
Urs Lehmann: Nein, eigentlich nicht. Warum fragen Sie?

Weil Sie doch sehnsüchtig auf den Winter und auf Schneefall hoffen müssen.
Das stimmt. Aber dafür müsste ich wohl eher in die Kirche gehen und beten. Aber klar, ich schaue jeden Tag mehrmals auf meine Wetter-App.

Und haben dann schlaflose Nächte?
Die Klimaerwärmung und der akute Schneemangel sind Dauerthemen für uns. Da werden wir auch viel darauf angesprochen. Es gibt ja nicht nur den Weltcup. Das geht hinunter bis in den Nachwuchs. Gerade im Moment werden dauernd Wettkämpfe nach hinten geschoben. Die Natur spielt nicht mit.

Das wird zum Dauerzustand werden.
Die Klimaerwärmung beschäftigt uns seit Jahrzehnten. Die Tendenz ist klar und wir müssen Lösungen und Wege finden, wie der Wintersport damit umgeht. Aber ich sehe dieses Jahr schon als Ausreisser. Ein Herbst, der 3,7 Grad wärmer als der Durchschnitt der letzten 30 Jahre, ist einfach nicht normal. Aber klar: Wie schnell das vorangeht, ist schon besorgniserregend.

Auch die Rennen am Matterhorn in Zermatt mussten abgesagt werden. Schmerzt das sehr?
Ja. Weil es ein bahnbrechendes neues Konzept ist, um die Lücke im November zu füllen. Es ist sehr schade, dass es nicht geklappt hat. Wir brauchen solche Innovationen.

Viele Teams trainieren im Herbst in Südamerika. Kann man nicht dort die ersten Weltcup-Rennen veranstalten?
Das hatten wir ja Mitte der 80er Jahre schon mit den Abfahrten in Las Lenas. Tatsächlich lag dort in diesem August sehr viel Schnee. Auch in Neuseeland hatte es in diesem Sommer so viel Schnee wie lange nicht mehr. Da könnte man Rennen der Techniker durchführen. Da gibt es Interesse und es laufen auch Gespräche. Der Wintersport will global sein, wir müssen gerade in diesen Zeiten alle Optionen prüfen. Aber vor allem die Jungen trainieren bei uns auf dem Gletscher. Und Rennen in der südlichen Hemisphäre haben auch finanzielle Konsequenzen. Auch das Thema Nachhaltigkeit muss diskutiert werden.

Überall werden jetzt Skihallen gebaut. Ist das in der Schweiz auch ein Thema?
Für mich nicht. Das ist extrem teuer und ökologisch fraglich. Wir haben ja parallel zur Klimakrise auch eine Energiekrise. Wir nutzen Skihallen zum Training nur am Rande. Das ist nicht wie beim Engländer Dave Ryding, der praktisch nur in Skihallen trainiert. Wir haben immer noch Gletscher. Auch wenn das in Zermatt diesen Sommer zeitweise für das Publikum nicht möglich war und die Verhältnisse in Saas Fee prekär waren.

Die Schweiz war zwei Jahre lang die Skination Nummer 1. Jetzt hat uns Österreich überholt. Ihre Prognose für diesen Winter?
Wir wollen die Nummer 1 zurück, das ist unser erklärtes Ziel. Wir hatten 257 Punkte Rückstand. Den Grossteil davon haben wir uns schon zum Saisonstart beim Parallel-Event in Lech eingehandelt. Dass wir da nicht in Bestbesetzung angetreten sind, ist im Nachhinein ein taktischer Fehler. Aber im Alpin-Bereich und im Bereich Freestyle mache ich mir keine Sorgen. Da sind wir in jeder Beziehung top aufgestellt. Im Bereich Nordisch müssen wir den Generationenwechsel schaffen. Ausnahmeathleten wie Dario Cologna oder Simon Ammann hat man halt nur alle hundert Jahre.

Der Internationale Skiverband FIS ist komplett zerstritten. Die Wahl von Präsident Johan Eliasch wird vor dem Internationalen Sportgericht TAS angefochten. Wie geht es da weiter?
Wir stehen da tatsächlich vor einem ziemlichen Scherbenhaufen. Am 5. Dezember ist die Anhörung vor dem TAS. Dann schauen wir weiter. Eliasch ist in vielen Bereichen vorgeprescht und hat viele Leute vor den Kopf gestossen. So geht es nicht. Die FIS ist derzeit eine zerstrittene Grossbaustelle. Ein kleines Beispiel: Der ganze Tross fliegt jetzt nach Übersee für die Rennen in Lake Louise und in Beaver Creek. Und im März nochmals nach Aspen. Das ist eine Fehlplanung sondergleichen und auch ökologisch in diesen Zeiten ein Blödsinn.

Sie haben die Wahl um das FIS-Präsidium gegen ihn verloren. Schauen Sie jetzt mit Genugtuung, wie Eliasch scheitert?
Nein, alles andere als das. Wir leiden auch unter diesen schwierigen Zuständen. Ich habe diese Niederlage als Sportler akzeptiert. Und mich neu orientiert.

Steigen Sie wieder ins Rennen, wenn die Wahl von Eliasch für ungültig erklärt wird?
Nein. Das ist derzeit absolut kein Thema. Ich habe meine Prioritäten mittlerweile auf andere Bereiche gelegt. Man kann nicht hin und her hüpfen.

Der mächtige Österreicher Peter Schröcksnadel ist Ihnen bei der gescheiterten Wahl damals in den Rücken gefallen. Und hat mit Eliasch offenbar auf das falsche Pferd gesetzt. Hat er sich schon bei Ihnen gemeldet?
Schon mehrmals. Und er hat sich auch entschuldigt. Er war damals der Königsmacher und er soll diese Suppe jetzt auch auslöffeln. Da kennt er meine Meinung.

Also soll er das FIS-Präsidium übernehmen, wenn die Wahl von Eliasch für ungültig erklärt wird?
Grundsätzlich könnte er das.

Der Mann ist 81 Jahre alt.
Schröcksnadel kennt den Wintersport wie kaum ein anderer.

Die Fifa ist in der Kritik, das IOC ist in der Kritik, die FIS ist zerstritten. Was läuft falsch?
Jeder Fall ist anders. Ganz grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass es auch bei den grossen Verbänden viel mehr Sportler und weniger Politiker in der Führung braucht. Sportler verstehen die Athleten und deren Denkweise. Wir Funktionäre arbeiten schliesslich im Dienst der Sportler.

Sie sind seit 14 Jahren Präsident von Swiss Ski. Wie lange noch?
Natürlich mache ich mir da Gedanken. Am Tag, an dem ich keinen Mehrwert mehr bringe, höre ich auf. Ich habe meine Präsidiumskollegen gebeten, mir da ehrliches Feedback zu geben. Aber wir machen uns auch grundsätzliche Überlegungen, wie wir uns für die Zukunft aufstellen können. Als ich angefangen habe, waren wir bei Swiss Ski rund 60 Mitarbeiter mit einem Umsatz von 26 Millionen. Jetzt sind es 270 Mitarbeiter und 300 Athleten. Der Umsatz ist ein Mehrfaches. Da muss man die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen.

Wie kann das aussehen?
Es existiert beispielsweise die Idee eines Co-Präsidiums. Da laufen jetzt viele Gespräche.

Der ehrgeizige Urs Lehmann teilt die Macht?
Wieso nicht? Ich bin ein Teamplayer, auch wenn mich viele Leute vielleicht anders wahrnehmen. Man wird auch älter und erfahrener. Und es gibt auch Signale.

Welcher Art?
Ich hatte letzten Winter einen gesundheitlichen Rückschlag. Und da macht man sich schon Gedanken.

Ein Burnout?
Nein. Vor einem Jahr bin ich an Krücken gegangen und konnte mich kaum mehr bewegen. Ich hatte Entzündungen im ganzen Körper. Ich war zwar in Wengen und in Adelboden. Aber die Olympischen Spiele in Peking habe ich ausgelassen, da haben mir auch die Ärzte abgeraten.

Aber jetzt sind Sie wieder kerngesund?
Ja. Aber eben, der Körper zeigt einem die Grenzen halt auf. Ich gönne mir jetzt auch mehr Ruhezeiten und vor allem auch mehr Schlaf.

Da können Sie bei Swiss Ski ja noch bis zu den Weltmeisterschaften 2027 in Crans-Montana weitermachen. Das wäre ein krönender Abschluss.
Das ist sicher ein Gedanke. Aber ich mache keine Vierjahrespläne mehr. Vor einem Jahr hätte ich alles dafür gegeben, wieder schmerzfrei zu sein. Das prägt schon und macht auch demütig.

Ein abschliessendes Wort zum Phänomen Marco Odermatt.
Phänomenal. Jetzt hat jeder verstanden, dass er der neue Marcel Hirscher ist. Aber wir haben auch andere Topleute wie die Olympiasieger Feuz, Gisin, Suter und Gut. Fünfmal Olympiagold sagt ja alles.

Trotzdem können Sie in der Kirche nicht nur für Schnee beten, sondern auch dem Herrgott danken, dass er Ihnen Marco Odermatt geschickt hat.
(lacht) Das passt, ja. Ich war gerade letzten Samstag in der Kirche. Bei der Firmung meiner Tochter.

Sven Thomann
Alle Infos zur Ski-Saison 2022/23

Jetzt wird wieder durch den Stangenwald getanzt und die Abfahrtspisten runter gedonnert. Hier findest du alles, was du über die neue Ski-Saison wissen musst.

Sven Thomann

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