Foto: Sven Thomann

Beat Feuz und Franz Klammer
Die Lauberhorn-Könige über Preisgeld, Angst und schwere Stürze

Beat Feuz (37) teilt sich den Weltcup-Rekord am Lauberhorn mit Franz Klammer (71): Der Emmentaler und der Österreicher haben auf der längsten Abfahrt der Welt dreimal triumphiert. Blick hat sich mit den Speed-Königen zum grossen Interview verabredet.
Publiziert: 08:37 Uhr
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Aktualisiert: 09:53 Uhr
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Franz Klammer flog 1975 zu seinem ersten Lauberhorn-Sieg.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

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Blick: Welches ist die verrückteste Episode, die ihr in Wengen erlebt habt?
Beat Feuz: Franz soll beginnen. Schliesslich ist er ein paar Jährchen älter als ich und dürfte deshalb wesentlich mehr erlebt haben.
Franz Klammer: Die Verrückteste kann ich öffentlich unmöglich erzählen.

Erzählen Sie uns die entschärfte Version.
Klammer: Die Geschichte ist auch entschärft noch nicht tauglich für die Öffentlichkeit. Aber ich habe ja noch andere aussergewöhnliche Erinnerungen an Wengen. Als ich 1974 erstmals gestartet bin, wurde das Rennen verkürzt vom Hundschopf gestartet. Deshalb hatte ich im Jahr danach ein ziemliches Problem, als ich im ersten Training mit der Nummer 1 erstmals am Originalstart stand. Ich hatte keine Ahnung, welches die passende Linie im ersten Streckenabschnitt war, zumal keine Vorfahrer im Einsatz waren. Nach dem Russi-Sprung bin ich viel zu weit links gefahren, bis ich gemerkt habe, dass da ja gar keine Piste mehr ist. Das Unglaubliche an dieser Geschichte: Sämtliche der ungefähr achtzig Rennfahrer sind meiner Spur nachgefahren. Leider ist dieser Irrglaube an diesem Tag einem meiner Teamkollegen zum Verhängnis geworden.

Was ist passiert?
Klammer: Ich habe mich nicht nur im obersten Abschnitt, sondern auch im Österreicherloch verfahren. Als der Steirer Sepp Walcher meiner Spur folgen wollte, ist er in einer Buckelpiste gelandet und hat sich dabei richtig wehgetan.
Feuz: Hat es damals noch gar keine Funksprüche gegeben?
Klammer: Doch. Aber dummerweise waren dort, wo ich mich verfahren habe, keine Trainer positioniert.
Feuz: Zum Glück hat es zu meiner Zeit immer Vorfahrer gegeben. Trotzdem hat es in meiner Lauberhorn-Geschichte einen Moment gegeben, an dem ich richtig Angst hatte.

Die Lauberhorn-Rekordsieger

Ski-Legende Franz Klammer (71) gewann in Wengen die Abfahrten 1975, 1976 und 1977. Der Österreicher ist auch Olympiasieger 1976 und holte zweimal WM-Gold sowie fünf Mal die Kugel für die Abfahrts-Gesamtwertung. Klammer lebt in Wien. Mit Wohnort Oberperfuss bei Innsbruck wohnt auch Beat Feuz (37) mit seiner Familie in Österreich. Er stand in Wengen 2012, 2018 und 2020 ganz oben. Auch Feuz ist in der Abfahrt Weltmeister (2017), Olympiasieger (2022) und viermal Weltcupgesamtsieger.

Ski-Legende Franz Klammer (71) gewann in Wengen die Abfahrten 1975, 1976 und 1977. Der Österreicher ist auch Olympiasieger 1976 und holte zweimal WM-Gold sowie fünf Mal die Kugel für die Abfahrts-Gesamtwertung. Klammer lebt in Wien. Mit Wohnort Oberperfuss bei Innsbruck wohnt auch Beat Feuz (37) mit seiner Familie in Österreich. Er stand in Wengen 2012, 2018 und 2020 ganz oben. Auch Feuz ist in der Abfahrt Weltmeister (2017), Olympiasieger (2022) und viermal Weltcupgesamtsieger.

Wann war das?
Feuz: Das war bei der Abfahrt 2018, als bei der Einfahrt ins Ziel-S irgendjemand eine Fahne über das Sicherheitsnetz hinaus gehalten hat. Weil alles so schnell gegangen ist, war ich mir nicht sicher, ob mich ein Streckenposten mit der gelben Flagge abwinken wollte, oder ob es ein Fan war, der mich anfeuern wollte? Ich war kurz davor, abzubremsen, habe mich dann aber zum Glück doch dafür entschieden, voll durchzuziehen. Ich habe das Rennen gewonnen. Und bei der Analyse des Videos habe ich dann gesehen, dass es ein Fan war, der an dieser Stelle die Fahne geschwenkt hat.
Klammer: Ein solches Problem hatte ich nie, weil es zu meiner Zeit gar keine gelben Fahnen gegeben hat.

Aber was war in der guten alten Zeit besser als heute?
Klammer: Zuerst möchte ich sagen, was jetzt besser ist: In der heutigen Zeit finden die Athleten von oben bis unten nahezu gleichmässige Bedingungen vor. Zu meiner Aktivzeit war es in Wengen so, dass du im oberen Gleitabschnitt Naturschnee vorgefunden hast, die Kurven waren dagegen komplett vereist. Deshalb musste man bei der Skipräparation einen Kompromiss eingehen. Somit mussten wir das blanke Eis beim Hundschopf, im Brüggli, in der Einfahrt in den Haneggschuss und im Ziel-S mit runden Kanten meistern, was logischerwiese einer Herkules-Aufgabe gleichgekommen ist.
Feuz: Ich habe etwas Vergleichbares 2017 in Garmisch erlebt. Die eine Hälfte der Kurven war komplett vereist, die andere Hälfte beinhaltete aggressiven Schnee. Der Kanadier Erik Guay hat deshalb einen fürchterlichen Salto geschlagen, auch der Amerikaner Steven Nyman ist heftig abgeflogen.
Klammer: Stimmt, das war grauslig. In meiner Aktivzeit war sicher angenehmer, dass wir Amateure waren und deshalb viel weniger Druck hatten. Wir haben am Morgen trainiert. Nach dem Mittagessen haben wir uns einen ausgiebigen Kaffee-Plausch gegönnt. Heute ist ein Tag eines Athleten in der Rennwoche derart durchstrukturiert, dass für so etwas kaum noch Zeit bleibt.
Feuz: Nicht nur in den Rennwochen ist es so. Bei jungen Talenten an einer Sportschule ist von morgens um 6 bis abends um 20 Uhr jede Stunde komplett verplant. Für mich wäre das nie etwas gewesen.
Klammer: Um Gottes willen, für mich auch nicht! Ich habe in der Saisonvorbereitung am Morgen zu Hause eineinhalb Stunden höchst intensiv trainiert, danach habe ich aber Ruhe gegeben. Aber heute musst du dich als Rennfahrer am Nachmittag noch einmal auf den Ergometer setzen, anstatt mit den Mädels im Cafe zu «ratschen». Aber jetzt fällt mir noch eine Anekdote aus Wengen ein.

Wir sind ganz Ohr.
Klammer: Es war Januar 1976. Man konnte die Trainingszeiten noch nicht unmittelbar nach der Fahrt sehen. Es hat jeweils ein paar Minuten gedauert, bis die Daten übermittelt wurden. Karl Cordin, der bei der WM-Abfahrt 1970 hinter Bernhard Russi Silber gewann, hatte nach seiner Trainingsfahrt ein gutes Gefühl. Als dann aber die Zeiten da waren, ging es dem Karl richtig beschissen: Während ich die Bestzeit hatte, war er ganz weit hinten klassiert. Cordin war derart enttäuscht, dass er seinen sofortigen Rücktritt bekannt gegeben hat. Kurz darauf wurden die Trainingszeiten aber korrigiert, plötzlich fungierte Karl nicht mehr auf dem vorletzten Platz, sondern hinter mir auf dem zweiten Rang. Deshalb sind wir alle davon ausgegangen, dass er den Rücktritt vom Rücktritt erklärt. Doch Karl ist aus Wengen abgereist und hat nie mehr ein Rennen bestritten.

In Wengen sind drei Notärzte und zwei Helis auf der Strecke
2:28
Sicherheit am Lauberhorn:In Wengen sind drei Notärzte und zwei Helis auf der Strecke

In ihrer sportlichen Blütezeit wurde das Ski-Duell Schweiz gegen Österreich auch medial stark angeheizt. Haben Sie sich als Österreicher in Wengen dennoch immer wohlgefühlt?
Klammer: Mir hat Wengen immer ganz besonders getaugt. Erstens wegen dieser einzigartigen Abfahrt mit diesem einmaligen Panorama. Zudem habe ich diese Gegend immer extrem genossen, weil du in der Zeit zurückversetzt wurdest. Ich war vor drei Jahren zum letzten Mal hier. Als ich mit dem Zug in Wengen angekommen bin, hatte ich vom Ambiente her mit den alten Holzhäusern das Gefühl, dass ich in den Fünfzigerjahren gelandet bin.
Feuz (lacht laut): Das stimmt, die meisten Hotels sind auch noch immer so wie in den Fünfzigerjahren.

Die Schweizer waren während Jahrzehnten im uralten Hotel Belvedere einquartiert. Hat Sie das genervt?
Feuz: Obwohl die Zimmer klein waren, hat mich das nie wirklich gestört. Anlass zu Diskussionen hat aber immer wieder das Essen gegeben, das lange dürftig war.
Klammer: Wir haben lange im Hotel Alpenrose gewohnt, wo das Essen sehr gut war. Aber ich musste mir ein kleines Zimmer mit Werner Grissmann teilen, wir hatten dort eine riesige Unordnung. Und in diesem Chaos ist eine besonders witzige Geschichte entstanden.

Erzählen Sie uns die Pointe?
Klammer: 1975 habe ich neben der Abfahrt auch die Kombination gewonnen. Dieser Triumph wurde mit einem wunderschönen Teller belohnt, den ich nach der Siegerehrung mit aufs Zimmer genommen habe. Am Abreisetag konnte ich den Prachtsteller aber in unserer Unordnung nicht mehr finden. Ein paar Monate später war ich bei Kollege Grissmann zur Einweihung seines Hauses eingeladen. Da habe ich einen Teller mit der Gravur «Lauberhorn-Kombinationssieger 1975» entdeckt. Ich habe den Hausmeister gefragt: «Werner, ist das wirklich dein Teller? Ich kann mich nicht an einen Lauberhornsieg von dir erinnern...» Letztendlich habe ich Werner aber meinen Teller zur Hauseinweihung geschenkt.

Kommen wir zurück in die Gegenwart. Weil es im Kernen-S im Vergleich zum Vorjahr rund einen Meter mehr Platz gibt, prophezeit Österreichs Abfahrtschef Sepp Brunner, dass es weniger Spektakel geben wird. Wie stehen Sie dazu?
Feuz: Es kann schon sein, dass Odermatt diesen Trumpf verloren hat. Aber er besitzt nach wie vor derart viele andere Trümpfe, dass wir uns um ihn keine grossen Sorgen machen müssen. Und ich glaube auch nicht, dass das Spektakel unter dieser Verbreiterung leiden wird. Ich habe auf jeden Fall einige sehr coole Bilder von den Trainings gesehen. Und es könnte sein, dass das Rennen durch diese Anpassung spannender wird. In den letzten Jahren war es oft so, dass die drei schnellsten im Brüggli auch im Ziel die Ränge eins bis drei belegt haben.
Klammer: Mir tut es im Herzen weh, wenn derart traditionelle Streckenabschnitte verändert werden. Und leider Gottes wurde vor ein paar Jahren auch die letzte Passage vor dem Ziel immer stärker entschärft. Bei meinem Lauberhorn-Debüt bin ich an dieser Stelle bis ins Loch kurz vor der Ziellinie hinuntergesprungen. Die grosse Schwierigkeit war, dass du vor diesem Sprung mit komplett blauen Oberschenkeln in der Rechtskurve einen ordentlichen Schwung ansetzten, musstest. Jetzt geht das viel einfacher und das finde ich das schade.
Feuz: Zu Beginn von meiner Karriere hat diese letzte Kurve zwar richtig zugemacht, aber der Sprung als solcher war zu meiner Zeit nicht mehr vorhanden. Jetzt macht diese Kurve nicht mehr zu, dafür gibt es wieder einen Sprung.

Trotz dieser Entschärfung ist Aleksander Aamodt Kilde an dieser Stelle im Vorjahr schwer gestürzt.
Klammer: Dass Kilde bei diesem Abflug eine derart üble Schnittwunde an der Wade erlitten hat, ist eine Katastrophe. Gleichzeitig muss man sagen, dass Kilde nicht hätte starten dürfen, weil er durch eine Grippe geschwächt war.
Feuz: Oder Kilde hätte unter diesen Voraussetzungen so schlau sein müssen, dass er nicht voll auf Sieg gefahren wäre, und sich stattdessen mit einem fünften Rang und wertvollen Punkten für den Gesamtweltcup zufriedengegeben hätte.

Lassen Sie uns zum Abschluss noch über das Geld reden. Franz Klammer, wie viel haben Sie in ihrer Glanzzeit verdient?
Klammer: Im Verhältnis zu heute viel zu wenig. Die Veranstalter haben kein Preisgeld ausbezahlt, wir durften uns auch noch kein Logo von einem Individual-Sponsor auf den Helm kleben. Die Prämien, die wir von unseren Ausrüstern erhalten haben, waren sehr bescheiden: Vom Ski-Ausrüster habe ich für einen Sieg 50'000 Schilling, also rund 3500 Euro erhalten. Bindungs- und Schuhausrüster haben 10'000 Schilling bezahlt. Deshalb wollte ich 1984 zusammen mit anderen Rennfahrern eine Konkurrenz-Rennserie zum Weltcup lancieren. Von den ersten 15 der Abfahrts-Weltrangliste hatten 14 Athleten zugesagt, wir hatten auch schon einige hochkarätige Veranstalter und einen Vorvertrag mit BMW als Hauptsponsor. Aber als Weltcup-Gründer Serge Lang von diesem Plan erfuhr, hat er so viel Druck ausgeübt, dass sich BMW zurückgezogen hat. Immerhin hat die FIS danach das Kopfsponsoring erlaubt. Ab diesem Zeitpunkt konnten die Top-Stars endlich richtig Geld verdienen. Marc Girardelli hat von Diners Club eine Million Schilling im Jahr erhalten. Aber ich persönlich hatte nichts davon, weil ich ja im Frühling 1985 den Rücktritt erklärt habe.

Heute gibt es für den Sieg am Lauberhorn 45'000 Franken Preisgeld. Ist das zeitgemäss?
Klammer: Nein. Für mich ist es eine Schweinerei, dass für den Sieg auf der längsten Abfahrt der Welt nicht mehr Geld bezahlt wird, wenn man in Betracht zieht, dass der Sieger in Kitzbühel 100'000 Euro erhält.
Feuz: Das Preisgeld in Wengen fällt für mich diskussionslos zu gering aus. Aber auch die 100'000 Euro für einen Sieg in Kitzbühel sind meiner Meinung nach nicht marktgerecht. Die gigantischen Umsätze, die in der Hahnenkamm-Woche in der Region Kitzbühel gemacht werden, stehen in keinem Verhältnis zu dem Preisgeld für die Athleten, die auf der Streif ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Das darf eigentlich nicht sein.

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