Es sind rund 6000 Menschen, die am letzten Freitag auf Zermatts Skipisten abfahren. Einer sticht schon aufgrund seiner blütenweissen Hosen aus der Masse heraus. Die Rede ist von Zermatter Urgestein Martin Julen.
Obwohl er am 31. März seinen 93. Geburtstag feiern wird, schnallt er im Durchschnitt nach wie vor zweimal pro Woche seine Blizzard-Carver an die Füsse. «Ich kann mittlerweile besser Ski- und Radfahren als laufen», meint der Grandseigneur aus dem Wallis mit einem Augenzwinkern.
Vorletzte Woche flog Julen aber ziemlich unsanft ab. «Ein Bub ist in mich hineingefahren. Ich trug neben einer Verletzung an der Schulter eine blutige Nase davon. Aber jetzt ist alles wieder gut.»
Derart gut, dass er nun wieder die schönsten Schwünge in den Schnee zaubert. Er meistert in Begleitung seines Juniors Franz (62) einen Steilhang nach dem andern, bis er zur Mittagszeit in Findeln oberhalb von Zermatt im In-Lokal «Chez Vrony» Halt macht. In diesem uralten Bauernhaus, welches von seiner Nichte Vrony stilvoll renoviert wurde, ist Martin mit seinen elf Geschwistern in einfachsten Verhältnissen aufgewachsen. «Ich habe mir mit einem Bruder ein Bett geteilt. Der eine ist mit dem Kopf nach vorne gelegen, der andere hat mit dem Kopf nach hinten geschlafen.»
Der erste Fahrer mit kleinen Stock-Rädern und engen Hosen
Auf dem Findelgletscher ist Martin in seiner Kindheit bereits im Frühherbst Ski gefahren. In dieser Zeit ist Julen aber nicht nur mit seinem sportlichen Talent, sondern auch mit seinen Erfindungen aufgefallen. «Bis dahin hatte man am Ende der Skistöcke riesige Teller als Stopper. Mir war aber früh klar, dass die viel zu gross sind. Ich habe mir deshalb kleine Stock-Räder aus Buchenholz geschnitzt. Ich war auch der Erste, der sich von einem Schneider eng anliegende Ski-Hosen anfertigen liess. Wenig später fuhr die ganze Welt-Elite mit kleinen Stock-Rädern und engen Hosen.»
Zur Welt-Elite in der Abfahrt gehörte in den frühen 50ern der Zermatter Bernhard Perren. «Weil ich in den Trainingsläufen gut mit Bernhard mithalten konnte, dachte ich mir, dass ich ja auch einmal ein Skirennen bestreiten könnte.»
1951 meldete sich Julen für die Schweizer Meisterschaften in Adelboden an – und obwohl er mit der Startnummer 230 eine arg lädierte Piste vorfand, gewann er in seiner Kategorie Gold. Der Bauernsohn vom Matterhorn startete kurz darauf auch bei internationalen Rennen durch. 1953 wurde er Dritter im Hahnenkamm-Slalom und der Kombi in Kitzbühel. 1955 gewann er die Slaloms am Lauberhorn und in Adelboden.
Falsche Medizin in der Wettkampfvorbereitung
Im Jahr danach reiste Julen als grosser Slalom-Favorit nach Cortina d’Ampezzo, wo Olympische Spiele und Weltmeisterschaften in einem ausgetragen wurden. Doch in der Wettkampfvorbereitung setzte er auf eine falsche Medizin. «Die Genferin Renee Coillard gab mir nach ihrem Slalom-Sieg eine Tablette. Sie versicherte mir, dass mir diese Pille guttun würde. Weil Colliard Apothekerin war, habe ich ihr vertraut. Doch nachdem ich die Tablette geschluckt hatte, war ich für längere Zeit total beduselt.» Julen war am Tag danach im Slalom derart von der Rolle, dass er nach drei Toren ausschied.
Kurz darauf erklärte er mit 28 Jahren seinen Rücktritt vom Skirennsport. Dafür lancierte der strenggläubige Katholik eine grandiose Karriere als Unternehmer. Das in ein Restaurant umfunktionierte Elternhaus in Findeln entwickelte sich zu einer beliebten Adresse. Zum Erfolg verhalf auch der Sessellift, den die Familie Julen hier Ende der Fünfziger-Jahre bauen liess.
Sohn Martin ist Riesen-Olympiasieger
Im Dorf eröffnete er ein Hotel, eine Weinhandlung, Restaurants, ein Sportgeschäft und lancierte mit seinen Brüdern eine neue Skischule. Und Martin gründete mit seiner Frau Trudy eine Familie, der sechs Kinder entsprangen. «Ich habe immer ein bisschen gehofft, dass vielleicht eines meiner Kinder mal Gold bei einem grossen Skirennen gewinnt.» Der Traum ging 1984 bei Olympia in Sarajevo in Erfüllung. Martins Sohn Max sicherte sich Gold im Riesenslalom!
Mehr Ski Alpin
Viel Freude bereitet Senior Julen auch der drei Jahre ältere Bub Franz, der während 17 Jahren den Weltkonzern Intersport geleitet hat. Aktuell steht Franz Julen, der nach der Wirtschaftsmatura seinen Bruder als Ski-Servicemann zum Olympiasieg gewachst hat, als Präsident dem Kiosk-Konzern Valora und den Zermatter Bergbahnen vor und sitzt im VR des Discount- Giganten Aldi. «Unser Vater war für mich und meine Geschwister das perfekte Vorbild. Er hat uns gezeigt, dass man mit harter und konsequenter Arbeit im Leben sehr viel erreichen kann.»
«Nach diesem Winter werde ich wohl nie mehr auf die Skipiste gehen»
Und welche Ziele hat Martin Julen mit seinen bald 93 Lenzen noch? «Ich bin glücklich mit dem, was ich in diesem Leben erreicht habe. Und dankbar, dass es mir abgesehen von meiner Hörschwäche immer noch so gut geht. Dank meinem starken Glauben an Gott bin ich überzeugt, dass es nach dem Tod weitergehen wird. Ich bin bereit dafür.»
Vorher möchte er aber noch einmal eine Walliser Sternstunde bei der kommenden WM in Cortina erleben. «Ich habe es lange nicht für möglich gehalten, dass Ramon Zenhäusern mit seiner Körpergrösse von zwei Metern so erfolgreich Slalom fahren kann. Aber mittlerweile steht er wirklich sehr gut auf den Ski. Und ich traue ihm auf dem Hang in Cortina, wo damals auch wir gefahren sind, sehr viel zu.»
Am Ende dieses Tages kündigt Martin Julen an, «dass ich nach diesem Winter wohl nie mehr auf die Skipiste gehen werde». Sohn Franz hat für diese Aussage allerdings bloss ein müdes Lächeln übrig: «Papa, das hast du vor zehn Jahren auch schon gesagt ...»
Vom 8. Februar bis 21. Februar 2021 findet in Cortina d'Ampezzo (It) die alpine Ski-Weltmeisterschaft statt. Wer sind die Schweizer Favoriten? In welcher Disziplin wird wann gefahren? Alle Infos gibts hier.
Vom 8. Februar bis 21. Februar 2021 findet in Cortina d'Ampezzo (It) die alpine Ski-Weltmeisterschaft statt. Wer sind die Schweizer Favoriten? In welcher Disziplin wird wann gefahren? Alle Infos gibts hier.