Kurz vor dem Jahreswechsel hat Cyprien Sarrazin in Bormio Marco Odermatt die ganz grosse Silvester-Party versaut, weil er auf der «Stelvio» den ersten Abfahrts-Weltcupsieg des Nidwaldners wegen lumpigen neun Hundertsteln verhinderte. Auf der verkürzten Lauberhorn-Abfahrt sieht es für einen Moment erneut danach aus, dass der Franzose zum Schweizer Spielverderber avancieren könnte – bei der ersten Zwischenzeit sind Sarrazin und Odermatt genau gleich schnell. Doch ab dem «Brüggli» setzt sich die Genialität des zweifachen Gesamtweltcupsiegers vom Vierwaldstättersee gegen die halsbrecherische Fahrweise von Sarrazin durch.
Im Ziel liegt Odermatt sechs Zehntel vor dem 29-Jährigen aus Gap in Südostfrankreich. Damit ist der letzte Makel in der Sensationsbiografie des dreifachen Schweizer Sportler des Jahres ausradiert. Nach 18 Erfolgen im Riesenslalom und 11 Triumphen im Super-G hat Odermatt nun auch einen Weltcupsieg in der Königsdisziplin auf dem Konto. Nach Didier Cuche in der Saison 2009/10 ist Odermatt der erste Athlet, der in der gleichen Saison Weltcupsiege im Riesenslalom, Super-G und der Abfahrt holt. «Nachdem ich den Sieg in der Abfahrt mehrmals nur wegen ein paar Hundertsteln verpasst habe, ist das schon ein spezieller Moment für mich», strahlt Odermatt.
Erster Erfolg mit einem Stöckli-Leihski
Dieser Triumph stellt aber noch aus einem anderen Grund etwas ganz Besonderes dar – Odermatt ist der erste Schweizer, der die Weltcupabfahrt in Wengen mit einem Schweizer Stöckli-Ski gewinnt. Bis im Februar 2010 war Marco mit Rossignol unterwegs. «Anfänglich hat das super funktioniert. Aber ab dem 13. Lebensjahr ist mir aufgefallen, dass Marco trotz technisch sehr guten Fahrten zu wenig gute Zeiten realisiert», erinnert sich Vater Walti Odermatt.
Dass Marco das passende Material kurz darauf für sich entdecken konnte, ist auf seinen Kumpel Kean Mathis und Jugendtrainer Rumo Lussi zurückzuführen. Papi Walti: «Kean ist damals schon länger Stöckli gefahren und anlässlich von einem Mittwoch-Training hat Rumo Lussi die Bindung auf den Ski verstellt, damit Marco auf diesen Geräten eine Testfahrt absolvieren konnte. Er hat auf Anhieb die Trainingsbestzeit aufgestellt. Und als Marco am Abend nach Hause gekommen ist, hat er mir klargemacht, dass er das nächste Rennen auf Stöckli bestreiten möchte.»
Kohler-Crash als Party-Killer
Drei Tage später hat Kean Mathis dem kleinen «Odi» für ein U-14 Riesenslalom am Sörenberg erneut die Ski ausgeliehen. Das Ergebnis: Marco hat dieses Rennen gewonnen! Kurz darauf tauchte Stöckli-Nachwuchs-Scout Richi Grab im Büro vom damaligen Rennchef Walter Reusser auf.
Reusser, der mittlerweile CEO Sport bei Swiss Ski ist, wird das Gespräch mit Grab nie vergessen: «Richi hat mir klargemacht, dass wir diesen Odermatt unbedingt unter Vertrag nehmen sollten, weil es seines Erachtens in der Schweiz mit Jahrgang 97 nur ein Skirennfahrer gebe, der noch besser sei als Odi – Marco Kohler!» Dieser Marco Kohler trübt nun auch Odermatts Freude über den ersten Weltcupsieg in der Königsdisziplin. Der Meiringer, der mittlerweile zu Odermatts besten Freunden zählt, stürzt mit einer fantastischen Zwischenzeit und zieht sich einen Totalschaden im Knie zu.