Ein Traumtag, die Sonne scheint, die Fans strahlen, Marco Odermatt sitzt in der Leaderbox, nimmt die Gratulationen zu seinem ersten Abfahrts-Sieg im Weltcup entgegen. Wer sollte ihn nach seinem Traumlauf denn noch schlagen?
Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann gibt Interviews im Zielraum, Vater Walti Odermatt gönnt sich entgegen seinen Gewohnheiten ein Gläschen Weisswein, das Publikum raunt über die sechstbeste Zwischenzeit von Marco Kohler mit der Startnummer 35. Doch dann, inmitten der Fröhlichkeit, wird es plötzlich ganz still in Wengen. Der 26-Jährige stürzt schwer, im Zielraum ist es auf Grossleinwand zu sehen. Kohler bleibt liegen, hebt sofort den Arm, winkt, zeigt an, dass etwas Ernstes geschehen ist.
Ausgerechnet Marco Kohler. 2020 war er als Vorfahrer am Lauberhorn kurz vor dem Ziel gestürzt. Mit dem Heli musste er damals ins Spital gebracht werden. Die Diagnose war grausam, alles kaputt im Knie: Kreuzband, Innenband, Aussenmeniskus, Patellasehne. Auch dieses Mal ist die Diagnose bitter: Er zieht sich einen Kreuzbandris, einen Riss des inneren Meniskus und eine Zerrung des Innenbandes zu.
Gerade jetzt, wo er das Drama von damals mental überwunden hatte, wo er in Gröden mit dem achten und in Bormio mit dem zehnten Platz zeigte, welch Grossartigkeit in ihm steckt. Wieder muss der Heli starten. Kohler wird nach dem Rennen ins Spital in Interlaken gebracht.
Walti Odermatt ist die Festlaune vergangen
Franjo von Allmen, sein Teamkollege, wird abgewunken. Er fährt an der Stelle vorbei, wo Kohler auf der Piste verarztet wird. Er sieht, dass sein Kollege steht, was ihn beruhigt. Mehr weiss er zu diesem Zeitpunkt nicht. Aufrecht fährt er ins Ziel, wo er begeistert empfangen und danach mit dem Heli wieder an den Start gebracht wird. Keine einfache Situation für den 22-jährigen Berner Oberländer. Weder mental noch physisch. Wie viel Körner hat er noch im Körper? Wie verarbeitet er den Sturz-Schock seines Kollegen?
Papi Walti Odermatt ist die Festlaune vergangen. Zu nahe stehen sich seine Familie und die Familie von Kohler. Marco und Marco, die von Jugend an zusammen Rennen gefahren sind, mehr miteinander, als gegeneinander. Nebel zieht in den Zielhang von Wengen. Als würde das nichts Gutes verheissen. Marco Kohler wird abtransportiert. Franjo von Allmen startet erneut und fährt furios.
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Der Jubel im Zielraum ist gross. Von Allmen fährt auf Rang 14, strahlt über dieses grossartige Resultat, freut sich und sorgt sich um seinen Kumpel. Er muss seine Gefühle grad irgendwie einordnen, schwierig.
Odermatt gibt seine Siegerinterviews, sein Papi atmet durch, Urs Lehmann erkundigt sich nach dem Gesundheitszustand von Marco Kohler. Es ist ein komischer Tag. Eigentlich ein Freudentag aus Schweizer Sicht, aber getrübt durch den bösen Sturz von Kohler. Alle hoffen auf einen guten Bescheid aus dem Spital in Interlaken. Aber es kommt eine niederschmetternde Diagnose: Marco Kohler hat sich das vordere Kreuzband, den inneren Meniskus gerissen, sowie das Innenband gezerrt. Seine Saison ist zu Ende.