Thomas Sutter hat beim Jubiläumsschwingfest eine besondere Aufgabe
Besuch beim König in Appenzell

Das Jubiläums-Schwingfest in Appenzell ist der grosse Saisonhöhepunkt. Mittendrin ist auch König Thomas Sutter. Ein Treffen auf dem historischen Landsgemeindeplatz.
Publiziert: 01.09.2024 um 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 01.09.2024 um 10:08 Uhr
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Thomas Sutter vor der Statue des Jubiläumsfests. Es zeigt ihn beim Handschlag mit Martin Hersche.
Foto: EDDY RISCH

Auf einen Blick

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Felix BingesserReporter Sport

Wer nach Appenzell fährt, durch diese sanften Hügelzüge, der lässt sich von der lieblichen Schönheit dieser Gegend immer wieder verzaubern. Der Weg hinauf von St. Gallen ist nicht weit. Aber die Welt, in die man eintaucht, ist sofort eine andere.

Das hat nicht nur mit der Landschaft zu tun. Sondern auch mit diesem etwas eigenwilligen Völklein mit seinem kruden Charme, seinem ausgeprägten Humor und all seinen Bräuchen und Traditionen. Mit seinen Geistheilern, Talerschwingern und Naturjodlern.

Es gibt Beobachter, die sagen, das Appenzellerland sei ein geschlossener Zirkel. Eine Art mystisches Indianerreservat unter dem Panorama vom Säntis und Hohen Kasten.

Jetzt wird Appenzell am kommenden Wochenende zum Zentrum des Schweizer Sports. Das Jubiläumsschwingfest zum 125-jährigen Bestehen des Eidgenössischen Schwingerverbands steht vor der Tür. Wegen Corona und der folgenden Terminkollisionen findet das Fest mit eidgenössischem Charakter mit vierjähriger Verzögerung statt.

Jetzt kriegt Appenzell doch noch ein Schwingfest

Eine Machbarkeitsstudie hat einst ergeben, dass ein Eidgenössisches Schwingfest aus Infrastrukturgründen in Appenzell nicht möglich ist. Darum hat man sich für diesen Jubiläumsanlass beworben. Mit einer Arena für 18'000 Zuschauer und mit 122 Spitzenschwingern aus allen Landesteilen. Ein Grossanlass und Saisonhöhepunkt mit eidgenössischem Charakter. Aber natürlich nicht mit der sportlichen Bedeutung eines Eidgenössischen oder eines Unspunnen- oder Kilchberg-Schwinget. 

Die Touristinnen und Touristen aus Japan und Korea stehen sich an diesem heissen Sommertag auf dem Landsgemeindeplatz in Appenzell gegenseitig auf den Füssen herum und plündern die Souvenirshops. Der sennische Alpenkitsch zieht. Die wenigsten werden wissen, dass sich auf diesem Platz Historisches abgespielt hat, als die Landsgemeinde den Frauen in Appenzell bis 1990 das Stimmrecht verweigert hat. Und dieses schliesslich auf gesetzlichem Weg eingeführt werden musste.

Der einzige Schwingerkönig aus Appenzell Innerrhoden

Vor einem der blumengeschmückten Appenzellerhäuser sitzt der 50-jährige Thomas Sutter. Sutter ist der einzige Schwingerkönig aus Appenzell Innerrhoden. Der «andere» Appenzeller Schwingerkönig, der legendäre Ernst Schläpfer aus der grössten Schweizer Schwinger-Dynastie mit den Schläpfers, den Abderhaldens und den Kindlimanns, kommt aus Herisau. Aber er ist ein Ausserrhoder. Und das ist in Appenzell ein gewichtiger Unterschied. 

Sutter hat neben seinem Königstitel auch den Unspunnen gewonnen und gehört mit seinen 29 Kranzfestsiegen zu den herausragendsten Athleten des Schweizer Nationalsports. Und er ist unter den sonst eher etwas zu kurz geratenen Appenzellern mit seiner Körpergrösse von 1,95 auch mit 50 Jahren noch eine imposante Figur.

Das macht Sutter beim heimischen Jubiläumsfest

Der Schwingerkönig ist bei diesem Jubiläumsfest für die Betreuung der Ehrengäste zuständig. Und er ist auch so etwas wie der «Titelverteidiger». Denn das Eidgenössische Schwingfest in Chur, wo Sutter 1995 seinen Titel gewinnt, ist damals gleichzeitig auch das Jubiläumsschwingfest zum 100-jährigen Bestehen des Schwingerverbands. Auf einen eigenen Anlass hat man verzichtet.

Sutter kommt aus einer klassischen Schwingerfamilie. Sein Götti Sepp Sutter hat mehr als hundert Kränze gewonnen, sein Vater Peter prägte den Schwingklub Appenzell als Kranzschwinger sowie als beherzter Förderer des Klubs. Auch sein jüngerer Bruder Kuno hat es zu eidgenössischem Eichenlaub geschafft.

Seinen ersten grossen Erfolg feiert der junge Sutter 1992. Im Schlussgang des Appenzeller Kantonalfests in Urnäsch steht er Emil «Migg» Giger gegenüber. Dem Vater von Unspunnen-Sieger Samuel Giger.

Seine Wette zum Festsieg

Der zweifache Eidgenosse «Migg» Giger ist damals in Appenzell das Mass der schwingerischen Dinge. Doch der 19-jährige Sutter trotzt ihm einen Gestellten ab und gewinnt das Fest. «In der Mittagspause habe ich mit meinen Kollegen noch gewettet, dass wir mit dem Siegermuni zu Fuss nach Hause laufen, wenn ich das Fest gewinne», sagt Sutter. Die Überraschung gelingt, und Sutter und seine Freunde marschieren von Urnäsch nach Appenzell und kommen dort nach einigen Einkehrschwüngen im Morgengrauen an.

Seine Sternstunde erlebt Sutter 1995 in Chur. Zwei Tage vor dem Eidgenössischen fährt er mit seinem Töff in Appenzell noch zur Arbeit. Die Schwinger sind in dieser Zeit blutige Amateure. In Chur ist der 22-Jährige dann nicht zu bremsen und sichert sich im Schlussgang gegen den grossen Favoriten Eugen Hasler den Königstitel.

Die Euphorie beim Empfang in Appenzell ist gigantisch, an vorderster Front feiert der Appenzeller Bundesrat Arnold Koller mit. «Christoph Blocher war in Chur nicht der einzige König», witzelt Koller damals. In Anspielung darauf, dass Blocher in Chur grosser Sponsor des Fests ist und die SP-Bundesrätin Ruth Dreifuss ihre Rede unter Pfiffen halten muss.

Aus dem Rampenlicht heraus

Sutter ist mit seiner Grösse und seiner Athletik einer der ersten Schwinger der modernen Generation. «Aber gezieltes Krafttraining haben wir nicht gemacht. Als junge Burschen fuhren wir jeweils nach St. Gallen in ein Fitnessstudio und haben planlos einige Gewichte gestemmt», sagt er lachend. Das grosse Geld war damals mit dem Nationalsport nicht zu verdienen. Auch einen Königstitel konnte man aufgrund des damaligen Werbeverbots nicht wie heute vermarkten. Sutter hat den Siegermuni von Chur für 10'000 Franken verkauft. 

Nach seinem Rücktritt ist der zweifache Familienvater noch acht Jahre als Schwing-Experte beim Schweizer Fernsehen im Einsatz. Seither ist es ruhig geworden um den König von 1995. «Ich bin nicht der Typ für den grossen Rummel», sagt er.

Auch wenn Sutter keiner der «typischen» Appenzeller Traditionalisten ist, so ist auch er sehr verwurzelt mit einem der schönsten Flecken der Schweiz. «Man denkt immer mal wieder, dass man wegfahren könnte. Aber dann geht man im Alpstein spazieren und merkt wieder, wie schön es hier ist.»

Er hat eine eigene Skulptur

Nur einmal hat er eine längere Luftveränderung genossen. «Ich erfüllte mir mit einer Saisonstelle einen lange gehegten Wunsch», sagt Sutter. Auf Vermittlung von Schwingerkönig Matthias Sempach arbeitet er drei Monate als Allrounder in Ausflugshotels am Sempacher- und am Sarnersee. «Es war eine schöne und wertvolle Erfahrung.»

Jetzt freut er sich, beim Festumzug mit den anderen Schwingerkönigen vom Landsgemeindeplatz in die Festarena zu marschieren. Aus der Ferne ist dann auch eine drei Meter hohe Holzskulptur zu sehen. Das 1,5 Tonnen schwere Kunstwerk mitten in einem Verkehrskreisel zeigt Schwingerkönig Thomas Sutter beim Handschlag mit Martin Hersche, dem noch aktiven eidgenössischen Kranzschwinger aus Appenzell. Die Skulptur wurde vor vier Jahren geschaffen.

Mittlerweile ist der Teint der beiden schwingerischen Appenzeller Aushängeschilder von Jahr zu Jahr etwas dunkler geworden. Der Sonnenbrand der beiden sorgt im Appenzellerland da und dort für Erheiterung.

Bleibt der Festsieg in Ostschweizer Händen?

Der ruhige Thomas Sutter ist so etwas wie das Gesicht dieses Jubiläumsanlasses in seiner Heimat. In den kommenden Tagen ist er einer der Häuptlinge im Indianerreservat. Bei einem Fest, das an einem ganz aussergewöhnlichen Flecken der Schweiz stattfindet. Und bei dem Sutter natürlich hofft, dass der Festsieg in Ostschweizer Hände bleibt.

Vielleicht dank Samuel Giger, dem Sohn von «Migg» Giger, den Sutter in Appenzell als Platzhirsch einst abgelöst hat. 

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