Sinisha Lüscher (18) wird auf den Schwingplätzen seit Jahren mit falschem Namen angesprochen. Das beweist ein Blick auf seine Identitätskarte. Dort steht: «Sinisha Elias Boakye». Der Name Lüscher fehlt, obwohl ihn alle so nennen.
Schuld daran ist er selbst. Im Gespräch mit Blick erinnert sich der siebenfache Kranzgewinner zurück. «Ich habe den Nachnamen Boakye verschwiegen, weil ich dachte, meine Hautfarbe würde mir im Schwingen schon genug Probleme bereiten.»
Lüscher ist dunkelhäutig. Anfangs musste sich der Aargauer tatsächlich rassistische Sprüche anhören. «Einige wollten nicht mit mir duschen.» Auch heute noch gibt es unangenehme Situationen. «Manchmal sprechen mich Leute auf Hochdeutsch an. Das ist ziemlich bedenklich.»
Mutter zwingt ihn zu seinem Glück
Den Nachnamen Boakye hat er von seinem ghanaischen Vater. Lüschers Eltern haben sich wenige Monate nach seiner Geburt getrennt. Zu seinem Vater hat er keinen Kontakt mehr. «Das stimmt so für mich.» Aufgewachsen ist er mit seiner Mutter Petra Lüscher und seinem fünf Jahre älteren Bruder Noah in Uerkheim AG.
Zu seiner Mutter hat er ein besonderes Verhältnis. «Sie war immer für uns da. Deshalb ist sie für mich Vater und Mutter zugleich.» In seiner Jugend hat Lüscher Fussball gespielt. Allerdings nie so gut wie sein Bruder, der es bis in die Nachwuchs-Nati schaffte.
Mit elf Jahren entdeckte er den Schwingsport für sich. «Ich habe ihn ins Training geschleppt», verrät seine Mutter lachend. Sein Cousin war als Trainer im Nationalsport aktiv. Petra Lüscher arbeitete damals täglich 12 bis 13 Stunden in einem Schlachthof. «Wenn ich meinen Sohn zum Schwingtraining fahren müsste, hätte ich einen guten Grund, früher zu gehen», überlegte sie sich.
Der Plan ging auf, und ihr Sohn verliebte sich in den Schwingsport. An seinem ersten Fest belegte er Rang zwei. Schweizweit bekannt wurde er 2021 am Eidgenössischen Nachwuchsschwingertag. Lüscher triumphierte in seinem Jahrgang 2006.
Danach sagte er zu Blick: «Ich will der erste schwarze Schwingerkönig werden.» Seither verfolgen ihn diese Worte. «Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Satz so viele Reaktionen auslöst.» Heute ist Lüscher, der eine KV-Lehre bei der Raiffeisen-Bank in Zofingen absolviert, deutlich zurückhaltender.
Sein Ziel für die laufende Saison? «Ich will mich für das Jubiläumsschwingfest qualifizieren.» Vom ersten Kranzfestsieg redet er nicht. Dafür spricht er ein anderes Thema direkt an. «Ich überlege mir, meinen Nachnamen zu ändern.» Lüscher soll auch auf einem amtlichen Dokument erscheinen. Der Name gehört für ihn schon lange dazu. Jetzt soll es auch offiziell werden. Den Namen seines Vaters möchte er aber ebenfalls behalten.
«Lüscher verbinde ich mit meiner Mutter, deshalb ist er mir sehr wichtig. Sie ist ein Vorbild für mich.» Seit ein paar Wochen wohnen die beiden in Muhen AG. Direkt über den Eltern von Petra Lüscher, die als Pöstlerin in Zofingen AG arbeitet. In ihren vier Wänden sind die sportlichen Erfolge des Schwingers nicht zu übersehen. Im Wohnzimmer hängt eine riesige Kuhglocke. «Das ist vom letztjährigen Aargauer Kantonalen», erklärt Lüscher.
Probleme mit dem Gewicht
Anfang Saison hat er vom Solothurner Kantonalen einen 500-Franken-Gutschein für die Migros mit nach Hause genommen. «Damit kann ich meine Mutter etwas unterstützen.» Denn einen Schwinger zu verpflegen, ist teuer. Petra kocht jeweils am Abend das Mittagsmenü für den nächsten Tag. «Sinisha isst manchmal 500 Gramm Hackfleisch.»
Trotzdem kämpft Lüscher während der Saison mit dem Gewicht. Letztes Jahr hat er fast acht Kilo abgenommen. Im Herbst wog er noch 107 Kilo. Schuld sei unter anderem die Anspannung. «Manchmal muss ich mich zwingen, viel zu essen.» Als Zwischenmahlzeit isst er jetzt zusätzlich verschiedene Nusssorten. Aktuell wiegt Lüscher 110 Kilo. Dass er derzeit körperlich keine Probleme hat, bewies er unter anderem auf der Rigi. Im letzten Gang legte er den unbequemen Nando Durrer aufs Kreuz. Trotzdem reichte es ihm nicht zum Kranzgewinn. Am kommenden Sonntag strebt er auf dem Weissenstein einen Spitzenplatz an.