Einen Baum zu umarmen, soll entspannen und glücklich machen. Behaupten Forscher aus Japan. Wie wahr! Der afghanische Flüchtling Bagher Hosseini, 28, ist begeistert: «Ich bin so dankbar, dass ich gegen Christian Stucki antreten darf. Auch wenn ich ihm körperlich unterlegen bin und keine Chance habe. Chrigu ist so riesig und so stark!» Der knapp zwei Meter grosse Schwingerkönig ist ein Mann wie ein Baum.
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Der 38-jährige Hüne aus dem Seeland bringt im Schwingkeller Altenberg in Bern jungen Menschen mit Fluchthintergrund den Schweizer Nationalsport bei. Auch die Fussballgrössen Stéphane Chapuisat, 54, und Lara Dickenmann, 37, sowie Triathlon-Olympiasiegerin Nicola Spirig, 41, sind am Aareufer dabei und bringen den 50 Teilnehmenden aus acht Ländern ihren Sport näher.
«Zwei, drei Talente sind schon dabei»
Die vier engagieren sich ehrenamtlich als Botschafterinnen und Botschafter der Laureus Stiftung Schweiz. Diese ist Hauptpartnerin von Sportintegration. Dieser Non-Profit-Verein bringt Geflüchtete und Einheimische zusammen und nutzt Sport als Mittel für eine nachhaltige Integration. «Einen künftigen König habe ich nicht gesehen. Aber zwei, drei Talente sind schon dabei. Man merkt, dass ein paar Teilnehmer Ringsport betreiben», sagt Stucki.
Nach dem Aufwärmen erklärt er die Regeln und das, was in diesem Sport dazugehört: «Vor und nach jedem Gang gibt man dem Gegner die Hand! Und der Sieger wischt dem Verlierer das Sägemehl vom Rücken.» Schwingen habe viel mit Respekt zu tun. «Diesen Wert will ich den Sportlerinnen und Sportlern vermitteln», betont der Gewinner von 134 Kränzen.
«Coole Erfahrung»
Im Minutentakt bettet Stucki seine Schützlinge ins Sägemehl. So auch ein zweites Mal den mehrfachen Vize-Schweizer-Meister im Taekwondo, Bagher Hosseini. Auch Abdullah Yaqoubi, 23, steht nur ein paar Sekunden auf den Beinen. Dann landet er sanft auf dem Rücken. «Das war eine coole Erfahrung», sagt der Afghane, der 2017 in die Schweiz kam und heute in Bülach ZH in einer Wohngemeinschaft lebt. Der Detailhandelsfachmann und stellvertretende Leiter der Aldi-Filiale Kloten ZH besitzt die Aufenthaltsbewilligung B. Wie sein Landsmann Bagher Hosseini – dieser ist vor acht Jahren in die Schweiz gekommen. Heute lebt er als Landschaftsgärtner in Rümlang ZH, auch er in einer WG. Hosseini und Yaqoubi haben ihre Heimat verlassen, weil die Taliban in ihre Wohnorte einfielen.
Als sich Christian Stucki bei den tapferen Schnupper-Schwingern verabschiedet, strahlt er: «Ich sehe zufriedene Gesichter. Es gibt nichts Schöneres, als Menschen eine Freude zu bereiten, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen!»
«Nicola ist ein Vorbild»
Mariia Shyriaieva schwitzt, als sie von der Laufstrecke kommt. Die 20-jährige Ukrainerin schwärmt von ihrer Pacemakerin Nicola Spirig: «Nicola ist ein Vorbild, sie inspiriert mich! Die Joggingrunde war äusserst lehrreich.» Die Ingenieur-Studentin aus Charkiw lebt seit April 2022 mit Schutzstatus S in Fehraltorf ZH. Als russische Bomben ihre Stadt erschütterten, verliess sie das Land mit der Familie ihres Göttis. Den Schnuppertag findet Shyriaieva eine tolle Sache: «Wir sind wie eine grosse Familie. Hier kann ich den Krieg für einen Moment vergessen.»
Nicola Spirig ist nach der Laufrunde hochzufrieden. Überholt wurde die dreifache Mutter nicht. «Es hat sich wohl niemand getraut», sagt die Zürcherin und lacht. An diesem Tag lernten Geflüchtete und Einheimische voneinander. Deshalb sei sie nach Bern gekommen. «Wir können den Geflüchteten zeigen, dass sie bei uns willkommen sind. Handkehrum finde ich es spannend und auch bewegend, ihre Lebensgeschichten zu hören. So realisiere ich, wie privilegiert wir in der Schweiz sind.» Sport könne Grenzen überwinden und Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenführen. «Sport hat als Lebensschule eine riesengrosse Kraft.»
Schwer beeindruckt
Biniam Debesay klatscht mit Stéphane Chapuisat ab. Der 35-jährige Eritreer aus Asmara hat die Schweizer Fussball-Legende nicht gekannt, ist aber schwer beeindruckt: «Er spielt richtig gut und ist sehr freundlich», sagt Debesay, der sein Land vor acht Jahren aus politischen Gründen verlassen hat. Er besitzt die Aufenthaltsbewilligung B. Der Heizungsinstallateur wohnt mit seiner Freundin in Oerlikon ZH. «Fussball bietet die einmalige Chance, junge Menschen in die Schweizer Gesellschaft zu integrieren», sagt Chappi, der ehemalige Publikumsliebling von Borussia Dortmund.
Die zweifache Champions-League-Siegerin Lara Dickenmann fragt derweil ein paar Jugendliche, ob sie bereits einem Fussballklub beigetreten seien. «Das Vereinsleben hilft, euch in einer Gemeinschaft und in einem Ort besser einzubringen», sagt die erfolgreichste Schweizer Fussballerin. «Rollt der Ball, sind alle gleich.» Ihr Sport habe seine eigene Sprache, der Zusammenhalt sei gross, niemand werde ausgeschlossen. «Fussball verbindet, es entstehen neue Freundschaften.» So wie an Tagen wie diesem.