Der Toggenburger Werner Schlegel erhält vor der Anreise zum Kräftemessen am Unspunnen Vorschusslorbeeren vom letzten Berner König. «Werner ist für mich ein ganz heisser Aussenseiter-Tipp. Er hat das Potenzial für den Triumph beim Saisonhöhepunkt», ist Christian Stucki (38, ESAF-Sieger 2019) überzeugt.
Der gelernte Zimmermann aus dem Toggenburg hat in diesem Jahr zwar noch kein Kranzfest gewonnen. Aufgrund von Verletzungen hat der Neo-Eidgenosse heuer aber auch nur vier Wettkämpfe bestritten. Dass er rechtzeitig vor dem Eidgenössischen-Anlass in Interlaken in Schwung kommt, hat der 20-Jährige in den letzten Wochen jedoch ein paarmal bewiesen.
Beim Berg-Klassiker auf der Rigi hat Schlegel im Anschwingen den späteren Festsieger Pirmin Reichmuth (27) in eindrücklichster Manier platt gemacht. Und letzten Sonntag erkämpfte er sich auf der Schwägalp mit souveränen Siegen gegen den Nordwestschweizer-Titelträger Patrick Räbmatter und den Glarner Eidgenossen Roger Rychen den zweiten Schlussrang.
Zwei ganz böse Lehrmeister
Der 1,87 Meter grosse und 112 Kilo schwere Bauernsohn wurde im Schwingklub Wattwil von zwei Grossmeistern gefördert - die Rede ist vom zweifachen Rigi-Triumphator Urban Götte (40) und von Schwingerkönig und Rekordkranzer Nöldi Forrer (44). «Ich habe selten einen jungen Schwinger mit einem derart grossen Willen und einer ähnlich ausgeprägten Leidensfähigkeit wie Werner erlebt», hält Forrer fest.
Nöldi geht ins Detail: «Als Werner 13 war, war ich Technischer Leiter beim Schwingklub Wattwil. Unmittelbar nach den Einheiten mit den Jungschwingern ist er ins Training zu den Aktiven gekommen. Ich hatte anfänglich regelrecht Mitleid mit ihm, weil er aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit brutal viel Sägemehl schlucken musste. Aber ich habe Werner kein einziges Mal jammern hören. Und letztendlich haben ihre genau diese Erfahrungen so stark gemacht.»
Der dunkle Fleck in der Familiengeschichte
Den härtesten Schlag musste Schlegel aber abseits vom Sägemehlring einstecken. Werner war 16, als sein Bruder den Kampf gegen den Krebs verloren hat. «Der Tod meines Bruders hat mich stark geprägt, ich habe mir lange darüber den Kopf zerbrochen. Aber irgendwann bin ich zum Schluss gekommen, dass das Leben weitergeht und man das Beste daraus machen muss.»
Dass Schlegel offensichtlich immer besser wird, ist auch auf den Abderhalden-Clan zurückzuführen. Der dreifache König Jörg hat den dreifachen Kranzfestsieger mit seinem langjährigen Konditions-Guru Robin Städler vermittelt. Und Jörgs Gattin und Schwägalp-OK-Präsidentin Andrea Abderhalden hält Schlegel als Managerin den Rücken frei.
Dass Schlegel für die ganz grosse Schwinger-Laufbahn auch die nötige Schlitzohrigkeit mitbringt, hat er übrigens bereits bei seinem allerersten Gang in den Sägemehlring unter Beweis gestellt. «Offiziell darf man ja erst ab dem achten Lebensjahr ein Buben-Schwingfest bestreiten. Ich habe meinen ersten Wettkampf aber bereits mit sechs Jahren bestritten, weil ich einen falschen Jahrgang angegeben habe ...»