Wenn fast 300 Kilogramm Kampfgewicht auf zwei Schwinger verteilt im Sägemehlring aufeinandertreffen, wird das entweder ein wuchtiges Krachen – oder es passiert so gut wie gar nichts. Der Schlussgang auf der Schwägalp war in diesem Jahr in letztere Kategorie einzuordnen. Dennoch zog er die fast 13’000 Zuschauer auf der Schwägalp in seinen Bann, sorgte trotz der enorm drückenden Hitze immer wieder für laute Anfeuerungsrufe. Denn die beiden Schlussgangteilnehmer sind die Publikumslieblinge schlechthin. Die Brüder Domenic (29) und Mario (31) Schneider. Beide trainieren im Schwingklub Ottoberg, beide bringen 145 Kilogramm auf die Waage und beide haben noch nie zuvor ein Bergkranzfest gewonnen.
Mit Risiko zum Sieg
Die Ausgangslage in diesem Duell der Kolosse war klar. Domenic mit seinen drei Kranzfestsiegen in dieser Saison ging als Favorit ins Duell mit seinem Bruder. Denn Mario war zwar des Öfteren schon nahe dran, schaffte es aber in seiner ganzen Karriere noch kein einziges Mal, überhaupt ein Kranzfest zu gewinnen. In seiner Sammlung von 66 Kränzen fehlt der Eidgenössische.
Doch davon lässt sich der Ältere der Gebrüder Schneider nicht einschüchtern. Als Mario erfährt, wer sein Schlussganggegner wird, weiss er nicht so ganz, was er fühlen soll. Freude, weil ein Schneider ein Bergkranzfest gewinnen könnte, Sorge, weil er die Schwünge seines Bruders in- und auswendig kennt und weiss, was er auf dem Kasten hat. «Ich wusste, einer von uns musste gewinnen, damit der Sieg in der Familie bleibt. Also mussten wir beide Vollgas geben.»
Mehr zum Schwingen
Fünf Minuten lang geschieht allerdings herzlich wenig im Schlussgang der beiden Schwergewichte, bis Mario ein Risiko eingeht. Mit einem Schlungg zieht er seinen Bruder zu sich und legt ihn auf den Rücken. «Geplant war das nicht. Ich dachte mir vor dem Gang, dass schlunggen eine Notlösung sein könnte. Riskant war das auf jeden Fall», erzählt der ältere Schneider-Bruder. «Aber wenn es nicht aufgegangen wäre, hätte Domenic gewonnen, das wäre auch gut gewesen.»
Der Schlussgang sorgt nicht nur aufgrund des weniger erwarteten Siegers für Gesprächsstoff, sondern auch aufgrund des letzten Schwungs. Dort hat Mario Schneider kurz keine Hand mehr an der Hose seines Bruders, was reglementarisch nicht zulässig ist. Aufgefallen ist es allerdings nur dem TV-Publikum, der Kampfrichter und die Zuschauer vor Ort haben es nicht mitbekommen.
Jubeln und trösten gleichzeitig
Daher heisst der Schwägalp-Sieger nun Mario Schneider. Dass er seinen ersten Sieg gleich an einem der prestigeträchtigsten Bergkranzfeste überhaupt bejubeln darf, macht den Zimmermann etwas sprachlos: «Es ist wirklich unglaublich. Perfekt. Einen Kranzfestsieg in meiner Karriere wollte ich unbedingt erreichen. Aber dass es gleich hier oben klappt, damit habe ich nicht gerechnet.» Dass er allerdings eine Chance hat gegen seinen Bruder, das war Mario bewusst. Im Schwingklub Ottoberg greifen die beiden immer wieder zusammen.«Und da gelingt es mir ab und zu, Domenic zu ärgern. Da gewinnt mal er, mal ich.» Nun ist es ihm zum ersten Mal auch im Ernstkampf gelungen.
Den Sieg mögen sich die beiden Brüder gönnen – auch wenn es im ersten Moment nicht danach aussieht. Nachdem er seinen Bruder geschultert hatte, machte sich Favorit Domenic Schneider aus dem Staub. Die Enttäuschung sass schwer. «So, wie ich ihn kenne, ist er wirklich sehr enttäuscht», bestätigt Mario. Ein grosses Kranzfest zu gewinnen, steht weit oben auf Domenic Schneiders Prioritätenliste. Bruder Mario glaubt fest daran, dass «Dodo» das in der nächsten Saison erreichen wird. Dass nun ausgerechnet er diesen Triumph auf der Schwägalp verhindert hat, sei schon eine spezielle Situation. «Zur Versöhnung bringe ich ihm vielleicht ein Bier mit», erzählt Mario mit einem Zwinkern.
Unspunnen ist noch weit weg
Als Schwägalp-Sieger gehört Schneider nun zum erweiterten Kreis der Unspunnen-Favoriten. Die Fragen nach seiner Rolle am Saisonhöhepunkt scheint den Thurgauer etwas zu überraschen. Denn bis zur Schwägalp hatte niemand den Nicht-Eidgenossen auf der Rechnung, auch er selbst nicht. Und auch Schneider ist wohl bewusst, dass er trotz des Sieges auf der Schwägalp höchstens zum Störenfried der Favoriten werden kann. Immerhin waren mit Giger, Staudenmann und Co. die Spitzenschwinger der Saison auf der Schwägalp abwesend. Mario Schneiders Freude über seinen Sieg schmälert das gar nicht. Und Unspunnen sei immerhin noch eine Woche weg. «Heute war wirklich perfekt. Darum will ich einfach diesen Tag geniessen und feiern.»