Alle haben sich gerne?
Blick räumt mit fünf Schwing-Mythen auf

Über den Schwingsport werden Dinge erzählt, die schon seit Jahren nicht mehr stimmen.
Publiziert: 07.09.2024 um 21:04 Uhr
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Aktualisiert: 08.09.2024 um 08:55 Uhr
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Nicola AbtReporter Sport

Alle Schwinger arbeiten Vollzeit

Ein Wunsch der Traditionalisten. Der aber längst nicht mehr der Realität entspricht. Gerade die Spitzenschwinger haben ihr Arbeitspensum zum Teil drastisch reduziert – auf unter 50 Prozent. Manche drücken die Schulbank. Zum Beispiel Saisondominator Fabian Staudenmann (24), der Mathematik studiert. Das bringt viel Flexibilität. Ein Grossteil der Vorlesungen ist heute online abrufbar und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das ermöglicht auch Eishockeyspielern oder Fussballern ein Studium. Während diese als «Profisportler» betitelt werden, tut sich der Schwingsport damit noch schwer. Wohl auch, weil eine Mehrheit der Athleten von einem solchen Status weit entfernt ist. Selbst an der erweiterten Spitze gibt es jene, die immer noch Vollzeit arbeiten. Domenic Schneider führt einen Bauernhof. Genauso wie der Berner Eidgenosse Thomas Sempach, der am Morgen vor dem Schwingfest noch im Stall steht. Damit gehört er zu einer immer kleiner werdenden Gruppe.

Schwinger Thomas Sempach betreibt einen eigenen Bauernhof.

Ein Schwingfest funktioniert haargenau gleich wie vor 125 Jahren

Ein ausführliches Regelbuch, wie wir es heute kennen, gab es beim ersten Eidgenössischen Schwingfest 1895 nicht. Vieles bestimmten die jeweiligen Kampfrichter vor Ort. Bereits damals triumphierte jener, der nach sechs Kämpfen am meisten Punkte hatte. Die Dauer des Schlussgangs war jedoch noch nicht klar reglementiert. Was 1950 zu einer kuriosen Situation führte. Peter Vogt und Walter Flach neutralisierten sich im ESAF-Schlussgang während 35 Minuten – bis der Kampfrichter das Duell entnervt abbrach. Der Königstitel wurde nicht vergeben, was Vogt derart verärgerte, dass er an der Siegerehrung den Kranz zerriss. Mittlerweile beträgt der Schlussgang an einem Eidgenössischen in der Regel 16 Minuten.

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Veränderungen brachte die Technik mit sich. Die Kampfrichter arbeiten seit neustem mit Tablets. Ranglisten können online angeschaut werden. Neu ist auch das Hosen-Zelt. Dort holen sich die Schwinger ihre Zwilchhosen, ziehen sie an und bringen sie nach dem Gang wieder zurück. So können sich die Kampfrichter voll und ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren, ohne dass sie von den Schwingern gestört werden. Zudem stehen die Zwilchhosen-Ständer so nicht im Blickfeld der Zuschauer. Wie vor 125 Jahren kann man an gewissen Schwingfesten nur mir Bargeld bezahlen. Auch die Fleisch- und Käseplatten auf der Tribüne sind geblieben.

So sah das Zwilchhosen-Zelt am Baselstädtischen Schwingertag 2024 aus.

Schwingfans sind besonders zäh und fair

Dass das Schwingpublikum einiges aushalten kann, bewies es auf der Schwägalp. Trotz Regen, Wind und Kälte blieben einige den ganzen Tag auf den Tribünen sitzen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele vorzeitig mit dem Bus ins Tal fuhren. Was wohl der Bekanntheit des Sports geschuldet ist. Früher sassen nur eingefleischte Schwingfans auf den Holzbänken.

Heute sind die Tribünen gefüllt mit Zuschauern, die sich genauso am Drumherum erfreuen. Bei schlechtem Wetter ist das unattraktiver als bei Sonnenschein. Ähnlich verhält es sich mit der Fairness. Teilweise hallen Pfiffe durch die Arena. Ein No-Go im Schwingen. Wer neu dazukommt – vielleicht vom Fussball –, muss das lernen. Dass Schwinger wie der König Joel Wicki (27) von den Zuschauern beleidigt werden, ist eine unschöne Entwicklung und hat mit Fairness nichts zu tun.

Ein Bergfest nur für Hartgesottene: Auf der Schwägalp regnete es den ganzen Tag.
Foto: keystone-sda.ch

In der ganzen Schweiz ist Schwingen der Nationalsport

Um diesen Mythos zu widerlegen, reicht ein Blick in die Südwestschweiz. Ausserhalb von Fribourg erhält der Schwingsport in diesem Teil der Schweiz wenig Aufmerksamkeit. In dieser Saison wird kein Wettkampf im TV übertragen. Den Schwingklubs fehlt dafür das Geld. Sie müssen für die Übertragungskosten aufkommen. «Jetzt versuchen wir verstärkt, die jüngere Generation über die sozialen Medien zu erreichen», erklärt der Technische Leiter Christian Kolly. Immerhin steigt die Anzahl Schwinger leicht an. Am eigenen Teilverbandsfest kämpften 143 Sportler um den Siegesmuni, so viele wie seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr.

Ein Spezialfall ist das Tessin. Die ersten Schnuppertrainings fanden 2010 statt. ESV-Ehrenmitglied Edi Ritter gründete 2012 den Kantonalverband mit. Seit 2019 gehört der Tessiner Verband zur Innerschweiz. Vor zwei Jahren kam es zur Kranzfest-Premiere im Süden der Schweiz. Eine Schwing-Hochburg wie der Kanton Bern, die Innerschweiz oder Teile der Nordostschweiz wird das Tessin nie.

Vor rund zwei Jahren fand das erste Tessiner Kantonale statt. Der Luzerner Sven Schurtenberger gewann das Fest.
Foto: keystone-sda.ch

In der Schwingfamilie haben sich alle gern

Dieses Bild wird erfolgreich nach aussen getragen. Die Wahrheit ist eine andere. Wie überall, wo Menschen zusammenkommen, gibt es auch unter den Schwingern nicht nur gute Freunde. Manche gehen sich neben dem Sägemehl aus dem Weg, sprechen kein Wort miteinander. Gerüchte werden verbreitet. Statt mit jemandem zu sprechen, wird über jemanden geredet. Unschöne Szenen spielen sich teilweise auch im Sägemehl ab. Passt gewissen die Schwingweise des Gegners nicht, landet auch einmal versteckt ein Ellbogen in dessen Gesicht. Die Mehrheit der Schwinger pflegt jedoch einen respektvollen Umgang.

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