Lüttich–Bastogne–Lüttich ist das älteste Eintagesrennen der Welt. Und Marc Hirschi mit 22 Jahren einer der jüngsten Fahrer im Feld. Alt trifft Jung. Der Berner aus Ittigen hat ein klares Ziel: Er will «La Doyenne» («Die Älteste») gewinnen. «Dies ist ein grosser Traum», sagt Hirschi offen. Zeit, um dieses Ziel zu erreichen, hat er noch genügend – seine besten Jahre stehen noch bevor. Aber wie kam Hirschi eigentlich überhaupt zum Radsport?
Rückblick. Mit zwei Jahren sitzt der kleine Marc erstmals auf einem Dreirad. Später erhält er ein Laufrad. Richtig los geht es dann mit seinem ersten Mountainbike. Hirschi: «Mein Vater hatte Angst davor, dass ich schon in jungen Jahren auf ein Rennvelo steigen würde – vor allem wegen des Verkehrs auf der Strasse. Also schenkte er mir ein Mountainbike und schickte mich in den Wald. Dort tobte ich mich aus.»
Vater Heinz, der grosse Förderer
Tatsächlich fuhr Vater Heinz (53) einst selber Regionalrennen. «Aber damals wurde der Mountainbike-Sport erst richtig populär, und mein Vater war schon zu alt für eine Profikarriere», erzählt Hirschi. Die Begeisterung für den Sport übertrug sich trotzdem auf seinen Sohn. «Mein Vater war mein grosser Förderer. Er motivierte mich und fuhr mich schon bald durch die ganze Schweiz, damit ich Rennen fahren konnte. Er setzte mich aber nie unter Druck. Vielmehr hatte ich grosse Freude, weil ich sah, dass er stolz auf mich war. Das ist heute noch so.»
Mit 15 Jahren erhält Hirschi sein erstes Rennrad – auch darauf fühlt er sich pudelwohl. Der feingliedrige Alleskönner wird 2016 auf der Bahn Junioren-Weltmeister im Zweier-Mannschaftsfahren. Das Fazit? Ob auf Erde, Holz oder Asphalt – der junge Hirschi fährt schlicht überall gut! Letztlich entscheidet er sich aber für eine Karriere auf der Strasse. «Als ich dann in der U17 war, wurde aus dem Traum, Profi zu werden, ein Ziel. In der U19 dann merkte ich, dass man mich auch von aussen als ein besonderes Talent betrachtete.»
Auf einmal ein Star
Kaufen kann sich Hirschi zu dieser Zeit dafür noch nichts. Sein Weg zum Profi ist immer noch weit weg. Immerhin: Bei seiner Sport-KV-Lehre hat er den richtigen Fokus. «Ich wollte unbedingt an die Spitze. Aber ich wusste: Nur wenn ich in der Schule gut bin, habe ich auch genügend Zeit fürs Training. Also strengte ich mich auch da an.»
Mit Erfolg. Hirschi wird in der U23 Europa- und Weltmeister auf der Strasse. Mit 20 Jahren ist er Profi – er hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. Was folgt, wissen alle: Hirschi gewinnt 2020 eine Etappe der Tour de France und wird WM-Dritter bei der Elite. Er wird gefeiert wie ein Star.
Und heute? Nach einem harzigen Saisonstart (Teamwechsel, Material- und Hüftprobleme) musste Hirschi zuletzt wegen zwei positiver Corona-Tests innerhalb seines Team UAE Emirates zuschauen. Keine ideale Vorbereitung für das älteste Radrennen der Welt. Aber was heisst das bei einem Mann seines Talents schon?
Blick-Favoriten
5 Sterne: Julian Alaphilippe (28, Fr). Der Weltmeister ist stark an den Rampen und stark im Sprint. Ideale Ingredienzen für einen Sieg. Zuletzt siegreich bei Flèche Wallonne.
4 Sterne: Primoz Roglic (31, Sln). Er verlor die Tour de France 2020 im letzten Zeitfahren. Eine brutale Niederlage. Aber Roglic hat sich bestens erholt – auch moralisch. Tolle Frühform.
3 Sterne: Tadej Pogacar (22, Sln). Der amtierende Tour-Sieger ist Teamkollege von Hirschi. Sie bilden ein teuflisch gutes Duo und könnten die Gegner zermürben.
2 Sterne: Michael Woods (34, Ka). Eigentlich wollten wir Youngster Tom Pidcock (22, Gb) nennen. Dieser fällt aber wegen kleinerer Verletzungen aus. Also entscheiden wir uns für Oldie Mike Woods – er ist gut drauf.
1 Stern: Marc Hirschi (22, Sz). Im letzten Jahr brachte ihn Alaphilippe im Sprint aus dem Tritt. Platz 2. Wirds diesmal mehr? Nur wenige haben ihn auf der Rechnung – vielleicht zu Unrecht.