Die Tour-de-France-Geschichte um den legendären Puy de Dôme hat ein neues Kapitel. Auf der 9. Etappe geht es um den Kampf Mann gegen Mann auf den brutalen letzten 4 Kilometern, auf denen die Steigung nie unter 11,5 Prozent fällt. Die Protagonisten? Tadej Pogacar, Jonas Vingegaard – und Etappensieger Michael Woods.
35 Jahre nach der letzten Befahrung des erloschenen Vulkanbergs im Herzen Frankreichs sprühen die Funken wieder am Puy de Dôme. Als der Solosieg von Michael Woods auf dem imposanten Berg feststeht, geht im Aufstieg die Post ab. Mit Pogacar und Vingegaard bekämpfen sich die beiden Favoriten im Gesamtklassement. Das Wetter giesst zusätzlich Öl ins Feuer: über 30 Grad am Fuss des Berges, 24 Grad auf dem Gipfel.
Das Kräftemessen geht an den Slowenen
Auf der schmalen Strasse, die mit einer konstanten Steigung um den Berg herum zum Gipfel hinaufkreist, hat Pogacar 1,5 km vor dem Ziel aus einer kleinen Gruppe von einigen verbliebenen grossen Namen angegriffen. Nur noch Vingegaard, der letztjährige Tour-Sieger, konnte folgen.
Und dann gelingt es dem Slowenen, den Dänen zu distanzieren. Die Lücke reisst auf, doch Vingegaard hält den Schaden in Grenzen und rettet sich mit 8 Sekunden Rückstand auf Pogacar ins Ziel.
Der Kampf der beiden Gesamtklassements-Favoriten erinnert an das geschichtsträchtige Duell, das sich die beiden Franzosen Jacques Anquetil (1934–1987) und Raymond Poulidor (1936–2019) im Jahr 1964 lieferten. Anquetil, der nach eigenen Angaben damals kurz vor dem Zusammenbruch stand, verlor zwar das Duell, gewann daraufhin aber die Tour. Ein gutes Omen für Vingegaard? Er bleibt mit 17 Sekunden Vorsprung im Maillot Jaune.
Kanadier fliegt zum Sieg
Das Rennen um das Gesamtklassement ist allerdings nur ein Schauplatz auf der Puy-de-Dôme-Etappe. Der andere bildet das Rennen um den Tagessieg. Michael Woods (Ka) gewinnt aus der Ausreissergruppe heraus das Ausscheidungsrennen auf der 13 Kilometer langen Schlusssteigung, auf der für die letzten 4 Kilometer aus Platzgründen keine Zuschauer zugelassen wurden.
Über 15 Minuten Vorsprung hat die Gruppe am Fuss des Berges auf das Feld. Je näher die Fahrer dem Puy de Dôme kommen, desto imposanter türmt sich der Berg vor ihnen auf. Der erste, der den Aufstieg in Angriff nimmt, ist Matteo Jorgenson (USA).
Doch von hinten macht Woods auf der steilen, schmalen Strasse Meter um Meter gut. Bis er 450 Meter vor dem Ziel an Jorgenson vorbeifliegt. Einer, der weiss, wie es sich anfühlt, auf dem steilen Anstieg des Vulkanbergs Richtung Sieg zu fliegen, ist Erich Mächler (62).
Der Schweizer gewann 1986 die zweitletzte Ankunft auf dem Puy de Dôme solo. «Wenn man den letzten Gegner abgehängt hat, dann wechselt das Gefühl, dann ist es nicht mehr Schmerz, sondern man bekommt Flügel», sagte Mächler vor der Etappe zu Blick. So muss sich Woods gefühlt haben, als er mit Jorgenson den letzten Gegner stehen liess.