Blau, Rot, Schwarz, Gelb und Grün. Die fünf farbigen Streifen auf dem Trikot bedeuten für jeden Radprofi die Welt. Wer das Leibchen holen will, muss Weltmeister werden. Stefan Küng hat schon zwei daheim in seiner Wohnung in Frauenfeld TG – allerdings gewann er sie auf der Bahn vor fünf Jahren. Nun strebt er den WM-Titel auf der Strasse beim Zeitfahren in Imola (It) an. «Klar, ich will gewinnen. Aber das tun andere auch», sagt er.
Küng will sich nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen. Und doch kann er sich nicht aus der Rolle der Medaillenanwärter herausreden. Das will er auch nicht: «Ich fühle mich gut, bin im Kopf frisch und auch die Beine sind gut», sagt der 26-Jährige. Genau mit diesem Ziel stieg er nach 16 Etappen bei der Tour de France aus. Es lohnte sich. «Ich fühle mich sicher viel besser, wie wenn ich die Tour zu Ende gefahren wäre.»
Puzzlestein fürs Vertrauen
Sein Optimismus beruht aber nicht nur darauf. Auch das Material passt. Küng fährt eine Lapierre-Zeitfahrmaschine, an deren Kreation er selbst beteiligt war. «Mit diesem Puzzlestein konnte ich den Abstand zu den Besten schliessen. Und wer weiss, vielleicht kann ich sie sogar überholen», so Küng. Zuletzt siegte er damit an der Schweizer Meisterschaft und an der EM. «Alles passt. Das gibt Selbstvertrauen.»
Auf den 31,7 fast komplett flachen WM-Kilometern mit Start und Ziel auf der Formel-1-Rennstrecke von Imola will Küng von Anfang an Gas geben. Doch woran denkt er eigentlich in den letzten Minuten vor einem so wichtigen Rennen? Küng muss schmunzeln. «Ganz ehrlich, ich weiss es nicht. Wahrscheinlich, weil ich so im Tunnel bin. Ich warte einfach und will so schnell wie möglich von der Rampe hinunter, um zu zeigen, was ich mir tagelang vor- genommen habe.»
Mehr Selbstvertrauen
Die Konkurrenz ist im Vergleich zur EM diesmal deutlich härter. Die oft genannten Favoriten sind: Rohan Dennis, der zweifache Zeitfahr-Weltmeister aus Australien. Dazu Filippo Ganna (It), vierfacher Weltmeister in der Einerverfolgung auf der Bahn. Dazu die Belgier Victor Campenaerts (Be) und Wout von Aert (Be), Tom Dumoulin (Ho) und Geraint Thomas (Gb).
Und eben Küng. Er sagt: «Wenn ich meine Leistung abrufe, bin ich sicher vorne dabei. Der grösste Unterschied zu früheren Jahren ist, dass ich jetzt mehr Selbstvertrauen habe.»
Sicher ist: Sollte Küng wie vor einem Jahr in Yorkshire «nur» Platz 10 belegen, wäre er bitter enttäuscht. Denn: Seither tankte er – auch dank WM-Bronze auf der Strasse wenige Tage danach – viel Moral. Er würde seinem Spitznamen «King Küng» nur allzu gerne die grosse Ehre erweisen.