Der grosse Velo-Traum von Tadesse Abraham
Rad-Boss Cancellara kurvt mit Marathon-Star durch Tudor-Zentrale

Eine unerwartete Wendung im Gespräch über die erfolgreiche Läuferkarriere von Tadesse Abraham (42) führt zu einem exklusiven Einblick von Rad-Legende Fabian Cancellara (44) im Hauptsitz des Schweizer Profiteams Tudor in Sursee LU. Die Reportage über einen Rad-Traum.
Publiziert: 29.04.2025 um 19:40 Uhr
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Aktualisiert: 29.04.2025 um 22:58 Uhr
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Marathon-Star Abraham trifft Rad-Legende Cancellara in der Zentrale des Tudor-Profiteams. Blick ist exklusiv dabei. Wie kommts?
Foto: Pius Koller

Darum gehts

  • Tadesse Abraham hatte einen Wunsch: Fabian Cancellara zu treffen
  • Der Marathon-Star hat ein riesiges Herz für den Radsport und Träume
  • Blick ist beim Treffen der Sport-Grössen im Sitz des Tudor-Teams dabei
  • Zusammen steigen Cancellara und Abraham aufs Velo und erzählen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Simon StrimerReporter & Redaktor Sport

Plötzlich beginnen die Augen des schnellsten Schweizer Marathonläufers aller Zeiten zu leuchten. Es passiert bei einem Gespräch im letzten Dezember in einem Restaurant in Genf. Nur wenige Tage, nachdem Tadesse Abraham (42) seine erfolgreiche Karriere mit einem grossen Ausrufezeichen beendet hat, seinem neuen Schweizer Rekord im Marathon (2:04:40).

Darüber hat er aber schon viel gesprochen. Feuer und Flamme ist Abraham, als zufällig der Radsport zum Thema wird. «Ich bin nun Manager von Spitzenläufern und oft in Eritrea, wo ich aufgewachsen bin. Ich sehe das riesige Potenzial, das das Land und der Kontinent im Radsport haben. Es könnte noch bessere Fahrer geben, als es Biniam Girmay schon ist.» Hoppla – dieser ist 25-jährig und als erster schwarzafrikanischer Tour-de-France-Etappensieger der Geschichte in seiner Heimat eine Ikone.

«Könnt ihr mir helfen, den Kontakt zu Cancellara herzustellen?»

Abraham ist inspiriert und verrät seinen Rad-Traum: «Wenn ich irgendetwas tun kann, um Rad-Talente in Ostafrika zu fördern, zum Beispiel, wenn ich Verbindungen herstellen kann mit meinem Netzwerk als Athletenmanager in Eritrea, dann liebend gerne. Am liebsten würde ich nun Fabian Cancellara treffen und mit ihm gerne einfach mal darüber sprechen.» Die 44-jährige Rad-Legende ist Boss des aufstrebenden Schweizer Tudor Pro Cycling Teams. Abraham zu Blick: «Ich kenne ihn nicht persönlich. Könnt ihr mir helfen, den Kontakt zu Fabian Cancellara herzustellen?»

Wenige Monate später taucht Cancellara im Hauptsitz des Tudor-Teams in Sursee LU mit viel Schwung um die Ecke auf. Strahlend begrüsst er Abraham. Sportlicher Handshake und Umarmung. Es hat geklappt! Die beiden Sport-Grössen kommen sofort ins Gespräch. Daraus entsteht ein exklusiver Rundgang in der Team-Zentrale – bis Cancellara und Abraham endlich zusammen aufs Rad steigen, selbstverständlich eingekleidet in den Teamfarben der Profi-Equipe.

Zwei Sport-Grössen im Austausch: Abraham (l.) hört Cancellara gebannt zu.
Foto: Pius Koller

Zuerst aber kommt Abraham ins Erzählen. «Was für Brasilien der Fussball ist, ist für Eritrea der Radsport.» Ein Nationalsport. Cancellara ist verblüfft. Abraham erzählt, wie sein grosses Herz dafür entstand. Es wuchs in einer ländlichen Region in Eritrea auf. Täglich radelte er bis zu 20 Kilometer zur Schule und zurück. Der kleine Tadesse träumte davon, Radprofi zu werden. Doch dann ging das einzige Velo der Familie kaputt, Mittel zum Reparieren fehlten. Kein Velo mehr? So wurde er halt Läufer – und später für die Schweiz Europameister im Halbmarathon (2016) und dreifacher Olympia-Teilnehmer.

Ziel Velomech – Abraham bei Tudor im Rad-Paradies

«Als ich dann als Flüchtling in die Schweiz kam, wollte ich zuerst als Velomech arbeiten», erzählt Abraham. Sofort hakt Cancellara ein: «Komm, dann ist es hier spannender für dich.» Der Tudor-Boss weist Abraham den Weg zum modernen Veloraum. Szenenwechsel.

Der Raum ist ein Paradies für Rad-Enthusiasten. Je drei Halterungen für alle der 30 Fahrer des Tudor-Kaders sind hier an der Wand angebracht und mit Namen beschriftet. An den meisten hängen Rennräder, die auf dem Markt pro Stück rund 13’000 Franken kosten. Zuvorderst die drei von Star-Neuzuzug Julian Alaphilippe (32). Aber nicht, weil der Franzose zusammen mit dem Berner Marc Hirschi (26) das neue Aushängeschild des Teams ist und zuvorderst hingehörte, sondern schlicht aufgrund des Alphabets.

Cancellara erklärt die Finessen des Radsports – und wie es beim Team Tudor zu und her geht.
Foto: Pius Koller

Werkbänke, Ersatzteile, Materialkisten füllen den Raum. Seit kurzem ist klar: Tudor darf in diesem Jahr dank einer Einladung erstmals an der Tour de France teilnehmen. Ein Coup für das junge Team.

Abraham guckt sich interessiert um und erzählt weiter. Die Velomech-Idee klappte nach seiner Flucht in die Schweiz dann trotzdem nicht. Er begann stattdessen wieder zu laufen, lernte hier seine Ehefrau Senait kennen, die Schweizerin ist und mit der er Sohn Elod (14) hat. 2014, mehr als zehn Jahre nach der Einwanderung, erhielt auch er den Schweizer Pass.

Cancellara lacht: «Wir kommen nicht zurück»

In Genf, wo Abraham mit der Familie lebt, steigt er nun oft hobbymässig auf sein Rennvelo. Bald will er die Tour um den Genfersee machen. 180 Kilometer. Machbar für den Top-Athleten, der auch als Spitzensport-Pensionierter immer noch regelmässig 20- bis 30-Kilometer-Runden laufen geht. Das verbindet ihn und Cancellara: Beide hörten mit einem Höhepunkt auf, obwohl es der Körper erlaubt hätte, noch ein paar Jahre auf Topniveau weiterzumachen. Cancellara verabschiedete sich beim Olympiasieg im Zeitfahren 2016 in Rio. «Das war mein Olympia-Debüt», lächelt Abraham. Er wurde da starker Siebter. Im Dezember zog er den Rücktritt nach dem besten Marathon seiner Karriere durch. «Zurück kommen wir nicht», lacht Cancellara. Abraham pflichtet sofort bei.

Jetzt ziehen sich die beiden um und steigen auf die bereitgestellten Räder. Cancellara nimmt eigenhändig die letzten Einstellungen am Rad von Abraham vor. Geplant war eine lockere Runde, um sich weiter auszutauschen. Diese fällt aufgrund des starken Regens aber ins Wasser. Stattdessen kurven Cancellara und Abraham in der vierten Etage des Tudor-Hauptsitzes durch die Büroräumlichkeiten.

Noch etwas wacklig auf diesem engen Raum: der eigentlich geübte Velofahrer Abraham (l.) mit dem strahlenden Cancellara in der Zentrale des Tudor-Teams.
Foto: Pius Koller

Cancellaras Einladung an Abraham – bei ihm rattert es nun

Im September findet, wenn alles nach Plan läuft, die erste Rad-WM der Geschichte in Afrika statt – in Ruanda, einem weiteren radverrückten Land. Wie stehts um die afrikanischen Talente im Tudor-Rennstall? Im U23-Team, auf das die Verantwortlichen stolz sind, gibt es sechs Schweizer, sieben Europäer, einen Australier, einen Kanadier – aber keinen Afrikaner. Das Scoutingsystem ist speziell, interessierte Talente, auch willkommene Quereinsteiger aus anderen Sportarten, können sich über ein Kontaktformular bewerben. Das wird weltweit rege genutzt (mehr zur Talentsuche bei Tudor siehe Box).

So funktioniert das Scouting beim Team Tudor

Zusätzlich zum 30-köpfigen Profiteam betreibt Tudor ein U23-Nachwuchsteam, das auf dritthöchster Stufe fährt. Mit Fabian Weiss (23, Sz), Aivaras Mikutis (22, Lit), Mathys Rondel (21, Fr) und Hannes Wilksch (23, De) haben es seit 2023 schon vier Fahrer aus diesem Team zu den Profis geschafft.

Tudor beschäftigt zwei Scouts, die Fahrer vor Ort an Rennen beobachten. Das überraschende Element im Nachwuchssystem: Talente können sich über ein Kontaktformular auf der Teamwebsite bewerben. Willkommen sind auch talentierte Athleten aus anderen Sportarten, die Potenzial im Radsport haben. Das System wird rege genutzt, 800 Bewerbungen gingen laut Tudor-Angaben letztes Jahr ein – aus der ganzen Welt.

Zusätzlich zum 30-köpfigen Profiteam betreibt Tudor ein U23-Nachwuchsteam, das auf dritthöchster Stufe fährt. Mit Fabian Weiss (23, Sz), Aivaras Mikutis (22, Lit), Mathys Rondel (21, Fr) und Hannes Wilksch (23, De) haben es seit 2023 schon vier Fahrer aus diesem Team zu den Profis geschafft.

Tudor beschäftigt zwei Scouts, die Fahrer vor Ort an Rennen beobachten. Das überraschende Element im Nachwuchssystem: Talente können sich über ein Kontaktformular auf der Teamwebsite bewerben. Willkommen sind auch talentierte Athleten aus anderen Sportarten, die Potenzial im Radsport haben. Das System wird rege genutzt, 800 Bewerbungen gingen laut Tudor-Angaben letztes Jahr ein – aus der ganzen Welt.

Aber sehr stark ist Tudor im afrikanischen Radsport nicht präsent. «Es ist nur schon gut, uns darüber ausgetauscht und wieder davon gehört zu haben. Und komm doch zu uns an die Tour de Romandie, du bist herzlich eingeladen», schliesst Cancellara das Treffen positiv ab. Abraham nimmt die Einladung gerne an. Seit diesem Dienstag ist sie im Gang.

Mit vielen neuen Impulsen steigt er ins Auto für seine dreistündige Heimfahrt nach Genf. Im Kopf von Abraham rattert es: «Ich muss nun schauen, mit meinen Ideen noch konkreter zu werden.» Und wie war das Treffen? Die Antwort geben seine immer noch leuchtenden Augen.

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