«Dann arbeite ich im Büro»
Schweizer Rad-Stars bangen um ihre Karrieren

Über 100 Rad-Profis wissen nicht, wie ihre Zukunft aussieht. Der Grund? Die Corona-Krise trifft ihren Sport hart. Auch viele Schweizer bangen.
Publiziert: 04.11.2020 um 09:58 Uhr
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Aktualisiert: 09.11.2020 um 09:38 Uhr
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Kilian Frankiny (26) zeigte beim diesjährigen Giro mit den Etappenrängen 5 und 4 starke Leistungen.
Foto: Getty Images,
Mathias Germann

Im Radsport spielt der Markt verrückt. Mehr als 140 Profis haben auslaufende Verträge und wissen nicht, ob und wie es für sie in der nächsten Saison weitergeht – darunter auch sieben Schweizer (siehe Box). Einer von ihnen ist Kilian Frankiny (26). Der Walliser hat sein Velojahr beendet, die Ferien geniessen kann er aber nur bedingt. «Ohne Corona hätte ich wohl schon einen neuen Vertrag. So aber geht die Ungewissheit weiter», sagt er.

Dabei zeigte Frankiny zuletzt beim Giro mit den Etappenrängen 5 und 4 gute Leistungen. Dazu hamsterte sein Teamkollege bei Groupama-FDJ, Arnaud Démare (Fr), vier Etappensiege – auch dank Frankinys Helferdiensten. «Ich habe mich für einen neuen Kontrakt empfohlen und zuletzt selbst ein Mail ans Team geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Sollte meine Karriere nach nur fünf Profi-Jahren enden, wäre das schon sehr bitter», so Frankiny. Und was, wenn es so kommt? «Dann gibt es auch ein Leben neben dem Velo. Ich habe einen Bachelor in Wirtschaft und würde wohl in einem Büro arbeiten», sagt er.

Lohndumping wegen Corona-Krise

Noch ist es nicht so weit. Es sind zwar viele Fahrer auf dem Markt, aber es gibt noch genügend freie Stellen. Genau darin liegt aber ein grundlegendes Problem. Weil viele Sponsoren wegen Corona wirtschaftliche Schäden erlitten und gar noch mehr befürchten, zögern sie. Radprofi Michael Schär (33): «Die Teams drücken dadurch den Preis der Fahrer. Einige unterschreiben für deutlich weniger Lohn, weil sie nicht warten wollen. Andere machen dagegen das Spiel mit.» Das Risiko dabei ist klar – vielleicht gibt es plötzlich gar keinen Platz mehr für sie. «Absolute Top-Fahrer haben nie Mühe, einen Arbeitsplatz zu finden. Aber solche, die nur selten gewinnen und keinen grossen Namen haben, dagegen schon. Jetzt umso mehr», sagt Schär. Er selbst hat bereits im August bei AG2R unterschrieben, weil sein aktuelles Team CCC, ein polnischer Schuhhersteller, wegen finanzieller Not aus dem Radsport aussteigt.

Dillier: «Ich weiss nicht, wie es weitergeht»

Tatsächlich werden in einem normalen Rad-Jahr die Weichen für die Zukunft früh gestellt. Die Klassiker-Fahrer unterschreiben schon im Frühjahr und die Gesamtklassements-Fahrer oft im Sommer während der Tour de France. Beim Aargauer Silvan Dillier (30) kam es bislang aber weder zum einen noch zum anderen. «Üblicherweise ist im November längst alles geregelt. Ich weiss nun aber auch jetzt noch nicht, wie es weitergeht», sagt der AG2R-Profi. Macht er sich als frisch-gebackener Vater Sorgen? «Es beschäftigt mich, klar. Aber ich hoffe schon, dass es noch klappt», so Dillier. Für einen Mann seiner Klasse wäre alles andere überraschend. Er ist zweifacher Schweizermeister, gewann 2017 eine Giro-Etappe und wurde 2018 Zweiter bei Paris-Roubaix. Aber eben: Was ist in diesem Jahr schon normal?

Noch zählt Dillier mit 30 Jahren nicht zum alten Eisen. Aber auch er spürt die Folgen der zunehmenden Verjüngung im Peloton. Youngsters wie Egan Bernal (Kol), Remco Evenepoel (Be), Tadej Pogacar (Sln) oder der Berner Marc Hirschi (22) stehen dafür. «Der Trend geht hin zu den Jungen», ist Schär überzeugt. Dabei hofft jede Equipe, den nächsten Star zu entdecken. Billiger als ein älterer Fahrer ist er sowieso – zumindest zu Beginn. «Einige Teams sagen sich darum: Lass uns lieber drei junge anstatt eines alten Fahrers holen», weiss Schär.

Jugend-Bonus wirkt während Corona doppelt

Auch der Schweizer Gino Mäder, der aktuell an der Vuelta fährt, hat noch keinen neuen Vertrag. Im Gegensatz zu den Routiniers Danilo Wyss (35), Reto Hollenstein (35) und Enrico Gasparotto (38) ist er mit 23 Jahren jedoch deutlich jünger – ein grosser Vorteil. «Die Jugend kommt mir sicher entgegen», sagt das Rundfahrten-Talent. Er ergänzt: «Ich habe keine Angst und bin überzeugt, bald ein neues Team zu finden.» Diese Überzeugung fehlt vielen anderen derzeit.

Situation der Schweizer Rad-Profis

Ohne Vertrag:

Silvan Dillier (30), Kilian Frankiny (26), Enrico Gasparotto (38), Danilo Wyss (35), Patrick Schelling (30), Gino Mäder (23), Reto Hollenstein (35).

Unter Vertrag:

Stefan Küng (26, Groupama-FDJ), Marc Hirschi (22, Sunweb), Stefan Bissegger (22, EF Pro Cycling), Johan Jacobs (23, Movistar), Tom Bohli (26, Cofidis), Fabian Lienhard (27, Groupama-FDJ), Matteo Badilatti (28, Groupama-FDJ), Sébastien Reichenbach (31, Groupama-FDJ), Mathias Frank (33, AG2R), Michael Schär (34, AG2R)

Rücktritt: Michael Albasini (39)

Ohne Vertrag:

Silvan Dillier (30), Kilian Frankiny (26), Enrico Gasparotto (38), Danilo Wyss (35), Patrick Schelling (30), Gino Mäder (23), Reto Hollenstein (35).

Unter Vertrag:

Stefan Küng (26, Groupama-FDJ), Marc Hirschi (22, Sunweb), Stefan Bissegger (22, EF Pro Cycling), Johan Jacobs (23, Movistar), Tom Bohli (26, Cofidis), Fabian Lienhard (27, Groupama-FDJ), Matteo Badilatti (28, Groupama-FDJ), Sébastien Reichenbach (31, Groupama-FDJ), Mathias Frank (33, AG2R), Michael Schär (34, AG2R)

Rücktritt: Michael Albasini (39)

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