Elise Chabbey gewinnt den Schweizer Meistertitel im Strassenrennen. Solo, wohlverstanden. Das alleine tönt gut, aber noch nicht sehr spektakulär. Wer jedoch die Lebengeschichte der 27-Jährigen kennt, staunt nicht schlecht. Warum? Chabbey ist ein echtes Multitalent. 2012 nahm sie an den Olympischen Spielen in London teil. Dabei sass sie aber nicht auf einem Sattel, sondern in einem Kanu – die Genferin landete auf Rang 20. Danach hatte sie genug vom kühlen Nass. Chabbey machte ein Medizinstudium und gewann in ihrer Heimatstadt nebenbei einen Halbmarathon.
2016 folgte der Wechsel auf Strassenrad. Doch weil sich damit kaum der Lebensunterhalt bestreiten lässt, plante sie am Ende dieses Jahres den Rücktritt. Aber: Chabbey fuhr so gut, dass sie fürs nächste Jahr bereits einen Profi-Vertrag im Sack hat. «Und nun gewinne ich dieses Rennen. Es ist ist wunderbar», sagt sie unter einer dicken Nebeldecke in Märwil TG. Dass die Sonne nicht scheint, ist Chabbey in diesem Moment egal – sie strahlt, nur das zählt.
«Im Spital konnte ich mehr bewirken»
Nun könnte Chabbey sich eigentlich zurücklehnen und die wohlverdiente, kurze Pause vor der nächsten Saison geniessen. Das wird sie aber kaum tun. Darauf verzichtete sie schon im letzten März. Wir erinnern uns: Damals schwappte erste Corona-Welle über die Schweiz. Die Rad-Rennen wurden dabei massenweise abgesagt oder verschoben. Für Chabbey war klar, dass sie als ausgebildete Ärztin in diesem Moment den leidenden Menschen helfen wollte – zumal es an medizinischem Personal mangelte. «In dieser Zeit konnte ich im Spital mehr bewirken als auf dem Velo», sagt sie. Ihr Team Paule Ka willigte ein und Chabbey trug schon bald einen Kittel des Genfer Uni-Spitals.
Ob Chabbey auch jetzt, wo die zweite Corona-Welle da ist, wieder als Ärztin arbeiten wird? «Diese Frage wurde mir schon einige Male gestellt. Ich weiss es noch nicht. Es hängt auch davon ab, wie kritisch die Personalsituation ist», sagt sie. Man ahnt: Sollte es knüppeldick kommen, wird sie nicht zögern, sondern helfen. Und schliesslich bleibt ja noch genügend Zeit, um sich dann für Olympia 2021 vorzubereiten. Da will Chabbey erneut glänzen – aber nicht mehr im Kanu, sondern auf dem Rad.