Es ist ruhig geworden rund um Stefan Bissegger (25). Zu ruhig. Seit zwei Jahren wartet der Zeitfahr-Europameister von 2022 auf einen World-Tour-Sieg. Doch vor dem Klassiker der Klassiker, Paris-Roubaix, scharrt «Muni» wieder mit den Hufen. Muni? So wird der Thurgauer wegen seiner bulligen Statur gerufen. «Ich bin eher ein schwerer Fahrer, Rennen mit zu vielen Höhenmeter liegen mir nicht», sagt er.
In der Hölle des Nordens, wie Paris-Roubaix auch genannt wird, hat er diese Sorgen nicht. Steigungen gibt es auf den 259,7 Kilometern praktisch keine, dafür 29 Kopfsteinpflaster-Sektoren (total 55,7 Kilometer), welche das Rennen sogar für die Besten zur Tortur machen. Dennoch liebt Bissegger diese Prüfung. Oder? «Ob es Liebe ist, weiss ich nicht. Paris-Roubaix liegt mir einfach.» Tatsächlich fuhr er hier, als Junior, zweimal in die Top 10. Bei den Profis klappte es noch nicht nach Wunsch – er wurde 62. und 21. Im letzten Jahr musste Bissegger passen – er hatte das Handgelenk gebrochen.
Ein schlechter Tag? «Dann ist es die Hölle»
Bissegger fühlt sich stark. «Es ist nicht so, dass ich alle abhänge», räumt er ein. Dennoch ist er optimistisch. Sein Traum? «Der Sieg. Sonst müsste ich gar nicht an den Start», sagt er. Und was ist realistisch? Auch er weiss, dass Flandern-Sieger Mathieu van der Poel (29, Ho) der grosse Favorit ist. «Es kann so viel passieren. Stürze, Defekte, Schwächephasen – jeder braucht hier Glück. Sollte ich dieses haben, ist ein Podestplatz realistisch.» Dem letzten Schweizer, dem dies gelang, war Stefan Küng 2022 als Dritter.
Mehr zum Radsport
«Bei Paris-Roubaix darfst du über lange Zeit keine Fehler machen. Wenn du einen schlechten Tag hast, ist es die Hölle. Dann tut alles weh, du spürst die Blasen an den Händen. Aber wenn es gut läuft, vergisst du den Schmerz», so Bissegger. Seine Eltern Bruno und Andrea werden ihn vor Ort unterstützen, sie nutzen die Frühjahresklassiker und machen Ferien.
Söhnchen Oliver macht ihn happy
In der Team-Hierarchie bei EF Education ist Bissegger auf dem Papier die Nummer 2 hinter dem starken Italiener Alberto Bettiol (30). «Aber hier haben wir beide eine Chef-Rolle», so Bissegger. Fakt ist: Nicht nur seine Form, sondern auch im Kopf ist Bissegger parat. Letzteres hat auch mit seinem Sohn Oliver (er wird bald ein Jahr alt) zu tun. «Er kann seit drei Wochen laufen. Und auch mit dem Laufrad ist er schon in der Wohnung unterwegs.» Schon bald wird Oliver dafür mehr Platz haben – Bissegger und Ehefrau Céline ziehen in drei Wochen in ein Einfamilienhaus in Eschlikon TG. «Wir freuen uns sehr darauf», sagt er.
Bleibt die Frage: Auf was für Wetter hofft Bissegger in der Hölle des Nordens? «Wenn es nass ist, ist das Chaos komplett, dann spielt der Zufall noch mehr rein. Ich hoffe auf trockene Pavés.» Glaubt man den Meteorologen, wird sich Bisseggers Wunsch nicht erfüllen – es ist wechselhaftes Wetter angekündigt.