Auf einen Blick
- Elena Kratter gewinnt Bronze im Weitsprung bei den Paralympics
- Die Schwyzerin will nun ein Medizinstudium beginnen
- Sie will ihr Know-how über den Einsatz von Prothesen weitergeben
Tief Luft holen. Den Blick heben. Aufs Ziel schauen. Losrennen.
So fokussiert ist Para-Leichtathletin Elena Kratter (28) im Training. So fokussiert ist sie im Wettkampf. An den Paralympics kämpft sie wie erhofft um die Medaillen. Im 100-Meter-Final läuft sie auf Rang 5, im Weitsprung gibts Bronze.
«Im ersten Moment habe ich mich etwas geärgert, weil auch Silber in Reichweite lag», sagt Kratter nach den Wettkämpfen in Paris, «doch dann habe ich den Bronze-Gewinn enorm genossen, die Stimmung im vollen Stadion war grossartig. Das habe ich so noch nie erlebt.»
Der leise Gold-Traum blieb für Kratter – sie hat schon EM-Silber, EM-Bronze, Paralympics-Bronze von Tokio und WM-Silber daheim – zwar unerfüllt. Aber wirklich wichtig ist für sie etwas anderes.
Sie wechselte von Ski Alpin zur Leichtathletik
Das grosse Ziel sei es, gesund zu bleiben. Kratter weiss, wovon sie spricht. Ursprünglich verfolgt die 28-Jährige eine Skikarriere und fährt ab 2017 im Weltcup mit. An den Para-Ski-WM 2019 stürzt sie und verletzt sich schwer am Knie. Schweren Herzens entscheidet sie sich, mit dem Skifahren aufzuhören. «Ich musste einsehen, dass die Belastung zu hoch für mein Bein ist und musste auf meinen Körper hören.»
Kratter aber ist ehrgeizig, will nie eine Extrawurst. Mit 14 Jahren probiert sie ihre erste Sportprothese an. Der deutsche Para-Athlet Heinrich Popow, der 2012 in London paralympisches Gold im 100-Meter-Sprint gewinnt, sagt ihr, sie müsse unbedingt mit Leichtathletik anfangen. Er sieht ihr Talent. Und als sie mit dem Skifahren aufhört, versucht sie sich tatsächlich in diesem neuen Sport, hat sofort Riesenerfolg. Und das Beste: Beim Rennen hat Kratter keine Schmerzen.
Die Schwyzerin aus Vorderthal hat eine eineiige Zwillingsschwester. Aufgrund der Frühgeburt hat Elena einen schwachen Herz-Kreislauf, nach Komplikationen muss ihr rechter Unterschenkel kurz nach der Geburt amputiert werden. Sie habe sich nie gefragt, warum das ihr und nicht ihrer Schwester widerfahren sei. Sie überlegt kurz und sagt dann: «Ich glaube, ich war und bin einfach stark genug, damit umzugehen. Deswegen ist es mir passiert.»
Von klein auf trägt sie Prothesen, macht immer normal im Sportunterricht mit. Erlebt an der Seite ihrer drei Geschwister eine normale Kindheit. «Alles, was sie gemacht haben, habe ich auch gemacht. Beim 12-Minuten-Lauf bin ich halt einfach gehüpft anstatt gerannt.»
Traum von der Medizintechnik
Die Prothese trägt Kratter, seit sie zu laufen anfing. Es war ein ständiges Abmessen, Ausprobieren und Tüfteln in der Werkstatt. Früh war der Schwyzerin klar, dass sie selber in den Beruf Orthopädietechnikerin einsteigen will. Und das macht sie dann auch. «Die Prothese ist ein Körperteil von mir. Durch meine Ausbildung weiss ich ganz genau, wie ich sie einstellen, verändern oder reparieren muss.»
In Trainingslagern kann sie auch den anderen Athletinnen und Athleten helfen. Und so muss sie sich auch nur auf sich selbst verlassen. Sie wechselt zwischen Alltags- und Sportprothese und auch je nach Disziplin den Fuss der Prothese. Gerade hat sie ihre Matura abgeschlossen. Jetzt plant sie, Medizintechnik zu studieren. Weshalb? Um über Verbesserungsmöglichkeiten für Prothesen zu forschen und Inputs zu geben. «Ich will helfen, die Produkte weiterzuentwickeln. Denn ich weiss am besten, wie man den Alltag damit bewältigt.» Für Kratter gilt jetzt: tief Luft holen. Den Blick heben. Losrennen. Alles geben. Auch bald im Studium.