Ukrainer verzweifeln an Bach und Tennis-Bossen
«Russen spielen weiter, als wäre nie etwas passiert»

Im Tennis spielen seit Kriegsbeginn Russen gegen Ukrainer – mit unangenehmen Folgen. Mehrere Tennis-Stars sind mit ihrem Latein am Ende. Nun droht dasselbe Szenario auch in anderen Sportarten.
Publiziert: 02.04.2023 um 14:39 Uhr
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Erschöpft: «Ich habe die moralische Kraft nicht mehr, um sie zu bekämpfen», sagt Elina Switolina.
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Emanuel GisiSportchef

Elina Switolina (28) kann nicht mehr. «Ich habe die moralische Kraft nicht mehr, um sie zu bekämpfen», sagt die ukrainische Profi-Tennisspielerin der «Kyiv Post», einer Zeitung ihrer Heimat. Es geht um Sport-Funktionäre, um Politik und Krieg und darum, dass Russen und Belarussen im Tennis als neutrale Athleten weiterhin auf der Profitour mitspielen dürfen, obwohl das Putin-Regime seit einem Jahr einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und Belarus und Diktator Lukaschenko den grossen Nachbarn dabei unterstützen. «Ich hoffe, dass wir das ändern können. Es ist eindeutig nicht fair. Russische Athleten haben die Möglichkeit, weiterzuspielen, als wäre nie etwas passiert. Und unsere Athleten sterben für unser Land.»

Jedes Spiel gegen eine Kontrahentin aus Russland oder Belarus sei eine «Qual», sagt Switolinas Landsfrau Marta Kostjuk (20), auch sie Tennis-Profi und zuletzt in den Schlagzeilen, weil sie nach ihrem Sieg im Final des WTA-Turniers in Austin (USA) ihrer russischen Gegnerin den Handshake verweigert hatte.

Russe Schubenkow: «Habe meinen Job gemacht»

Nur einer schien die Schlagzeilen nicht mitbekommen zu haben. IOC-Präsident Thomas Bach (69) sprach Mitte Woche davon, dass es ja eigentlich ganz gut funktioniere, wenn im Tennis Russen und Belarussen und Ukrainer auf derselben Tour unterwegs seien.

Er begründete unter anderem damit die Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees an die Sport-Weltverbände, in Zukunft Athleten aus Russland und Belarus wieder zuzulassen, wenn sie ohne Flagge und Hymne anträten, sich nicht Putin-freundlich äusserten und nicht vom Militär unterstützt würden. Schliesslich sei es diskriminierend, wenn Russen ausgeschlossen würden, nur weil sie Russen seien. «Als Athlet habe ich mein ganzes Leben diesem Sport gewidmet und immer meinen Job gemacht», sagt etwa der Russe Sergej Schubenkow (32), Weltmeister von 2015 über 110 Meter Hürden und zweifacher Olympiateilnehmer, Anfang Jahr der Agentur Reuters. «Und mir wird jetzt gesagt: ‹Du bist ein guter Kerl, aber wir brauchen dich nicht.›»

Kostjuk: «Wir versuchen seit einem Jahr, Russland zu verbannen»

Kostjuk und ihre Landsleute wünschen sich aber, dass genau das bald auch im Tennis der Fall sein wird. Sie verrät, was im Hintergrund seit Monaten läuft. «Wir haben dies bislang nicht öffentlich getan», so die Nummer 38 der WTA-Weltrangliste, die in Austin ihren ersten Titel auf WTA-Stufe holte. «Aber wir versuchen seit einem Jahr, Athleten aus Russland und Belarus aus unserem Sport zu verbannen.»

Ohne Erfolg. Und es kommt noch härter. In den letzten Tagen verloren die Ukrainer ihre letzten Verbündeten auf der Tennistour: Wimbledon. Am Freitag wurde bekannt, dass der All England Lawn Tennis Club (AELTC), der das prestigeträchtige Grand-Slam-Turnier ausrichtet, 2023 Spieler und Spielerinnen aus Russland und Belarus zulassen will. Ganz im Gegensatz zum letzten Jahr, als die Russen draussen bleiben mussten.

Engländer geben dem internationalen Druck nach

«Wir verurteilen die Invasion von Russland weiterhin entschieden», sagt AELTC-Präsident Ian Hewitt. «Das war eine extrem schwierige Entscheidung, die wir nicht leichtfertig gefällt haben.» Sie bedeutet, dass Stars wie Daniil Medwedew, Andrej Rublew, Aryna Sabalenka oder Daria Kasatkina nun in Wimbledon antreten dürfen, dass es in Wimbledon wieder Weltranglistenpunkte zu gewinnen gibt – und dass die britische Lawn Tennis Association (LTA) weiter Mitglied von ATP- und WTA-Tour bleibt. Hätten die Briten auf ihrem Standpunkt vom letzten Jahr beharrt, es hätte ihnen der Ausschluss gedroht. Der Druck war offensichtlich gross. «Zweifellos wäre es sehr schmerzhaft gewesen, wenn die LTA nicht mehr Teil der beiden Touren gewesen wären», sagte LTA-Chef Scott Lloyd der BBC.

Die Bedingungen, die die Russen gestellt bekommen, klingen ähnlich wie die, die das IOC vorschlägt. Und so verlieren die Ukrainer langsam den Mut. «Ihr häufigstes Argument ist, dass Sport und Politik getrennt gehören», sagt Switolina über die Funktionäre. «Sie sagen, dass Sportler nichts mit Politik zu tun haben. Ich hatte bereits so viele Treffen mit verschiedenen Funktionären des Olympischen Komitees und Tennisorganisationen, dass ich es ehrlich gesagt nicht mehr mache. Sie wollen der Wahrheit nicht ins Gesicht blicken», so die frühere Weltnummer 3.

Droht nun das grosse Chaos

Seit der IOC-Empfehlung rückt das Szenario, das im Tennis bereits seit einem Jahr Realität ist, auch in anderen Sportarten näher. Es drohen noch mehr verzweifelte Athletinnen und Athleten aus der Ukraine. Und vielleicht bald ein Chaos. «Wir haben entschieden, dass ukrainische Athleten nur in Olympia-Qualifikationen teilnehmen sollen, wo keine Russen zugelassen sind», erklärte der ukrainische Minister Oleg Nemtschinow am Freitag.

Das könnte am Ende dazu führen, dass in 15 Monaten bei den Olympischen Spielen in Paris «neutrale» russische Athleten um Edelmetall kämpfen, aber keine Ukrainer. Ob Bach und die Funktionäre des Weltsports das wirklich wollen? Diese Auseinandersetzung dürfte noch länger dauern.

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