Imane Khelif aus Algerien und Lin Yu-ting aus Taiwan starten beide diese Woche ihre olympischen Kampagnen: Khelif trifft in der 66-kg-Kategorie auf die Italienerin Angela Carini und Lin Yu-ting wird voraussichtlich am Freitag in der 57-kg-Kategorie auf eine noch unbekannte Gegnerin treffen.
Die Olympia-Teilnahme der beiden wird kontrovers diskutiert. Der Grund: Letztes Jahr bei den Weltmeisterschaften wurden beide aufgrund von nicht bestandenen Geschlechtstests disqualifiziert. Der ehemalige Box-Weltmeister Barry McGuigan äusserte auf X sein Unbehagen: «Es ist schockierend, dass sie es überhaupt so weit geschafft haben, was ist da los?»
Erste Gegnerin bricht Kampf ab
Die Diskussionen um Imane Khelif werden auch nach dem Kampf gegen Carini nicht aufhören. Khelif trifft die Italienerin in der ersten Runde einmal heftig, nach 46 Sekunden bricht Carini den Kampf ab und verweigert den Handschlag. Ihr Trainer Emanuele Renzini sagt danach: «Das ist gefährlich, was hier passiert. Ich will nicht für das IOC urteilen und ich weiss, dass das Thema schwierig ist, aber dieser Kampf war unfair.» Zwei Stunden nach dem Kampf hat sich Renzini immer noch nicht beruhigt. «Es ist fast unmöglich, sie zu besiegen, weil sie eine beeindruckende Physis hat, die ihr einen ganz klaren Vorteil verschafft», sagt er gegenüber italienischen Medien.
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Auch die aufgelöste Carini stellt sich nach dem Abbruch den Medien: «Sie hat mir auf die Nase geschlagen und ich habe mir nur gedacht: Basta, das wars.» In Italien ist die Empörung um den umstrittenen Kampf so gross, dass sich sogar Premierministerin Giorgia Meloni gegenüber ANSA dazu äussert: «Es war kein fairer Kampf.» Zudem betont die Premierministerin: «Ich bin der Meinung, dass Athletinnen mit männlichen Merkmalen nicht an Frauenwettbewerben teilnehmen sollten. Dies nicht, weil wir jemanden diskriminieren wollen, sondern um das Recht der weiblichen Athleten zu schützen.»
Imane Khelif steht nun im Viertelfinal, die Gegnerin ist noch nicht bekannt.
Bei Olympia gelten andere Regeln
Bei der WM durfte Khelif nicht teilnehmen, bei Olympia aber schon. Wie geht das? Die Weltmeisterschaften fanden im letzten Jahr unter der Schirmherrschaft des Internationalen Boxverbands (IBA) statt. IBA-Präsident Umar Kremlev sagte der russischen Nachrichtenagentur Tass, DNA-Tests hätten «bewiesen, dass sie XY-Chromosomen hatten und daher von den Sportereignissen ausgeschlossen wurden».
Seitdem wurde der IBA jedoch verboten, das olympische Boxturnier auszurichten – wegen Verfehlungen und mangelnder finanzieller Transparenz. Das bedeutet, dass das Boxen in Paris nun unter der Schirmherrschaft des IOC stattfindet, das lockerere Regeln hat als die IBA.
Boxerin sieht «grosse Verschwörung»
Während sich Lin Yu-ting noch nicht dazu geäussert hat, berichtet die AFP, dass sich Khelif nach ihrer letztjährigen Disqualifikation an der WM als Opfer einer «grossen Verschwörung» sehe.
Regeln darüber, wer in der Frauenkategorie antreten sollte, wurden in den letzten Jahren heftig diskutiert. Nicht so im Boxen, wo das Risiko schwerer Verletzungen weitaus höher ist. Wissenschaftliche Untersuchungen haben nämlich ergeben, dass die durchschnittliche Schlagkraft bei Personen, die eine männliche Pubertät durchlaufen haben, um 162 Prozent höher ist als bei Frauen.