Eigentlich würde Nino Schurter (38) jetzt irgendwo am Strand liegen oder eine gemütliche Velotour machen. Denn die Mountainbike-Legende sagte vor Olympia 2021 in Tokio: «Das werden meine letzten Spiele!»
Nun schmunzelt der Bündner, als Blick ihn vor der Reise nach Paris auf diese Aussage anspricht. «Mir ist es nach Tokio einfach weiterhin gut gelaufen», sagt der zehnfache Weltmeister, «2022 wurde ich nochmals Weltmeister und auch 2023 lief hervorragend (Gesamtweltcupsieg, d.Red.). Ich spürte, dass ich weiterhin auf hohem Niveau fahren und auch noch in Paris konkurrenzfähig sein kann.»
Kommentar zum Olympia-Start
Zudem schildert der Bündner, dass Tokio weder vom Erlebnis – Corona beherrschte die Spiele – noch mit Rang 4 vom Ergebnis her wie erhofft herauskam.
Gold scheint für Velo-Phänomen Pidcock reserviert
Mit einem kompletten Medaillensatz im Sack war das Tokio-Leder Schurters schlechtestes Olympia-Ergebnis. Eine Wahnsinnsbilanz. Nun will die Bike-Ikone in Paris bei seinem mutmasslich nun wirklich letzten Olympia-Start nach Peking 2008, London 2012 und Rio 2016 erneut aufs Podest. Es wäre ein weiterer Meilenstein in Schurters beispielloser Karriere. Mit vier Einzelmedaillen würde er Fabian Cancellara übertrumpfen und erfolgreichster Schweizer Olympionike der Neuzeit werden.
Doch obs acht Jahre nach dem Rio-Triumph eine zweite Goldmedaille gibt, stellt sogar Schurter selber ein bisschen infrage. Der Grund hat einen Namen: Tom Pidcock. Der Brite ist im Cross-Country-Rennen am Tag vor seinem 25. Geburtstag der haushohe Favorit. Auch, weil die Strecke technisch nicht besonders anspruchsvoll ist, was dem Teilzeit-Biker entgegenkommt.
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Schurter ist sich bewusst, dass Velo-Multitalent Pidcock in Bestform kaum von der Titelverteidigung abzuhalten ist. Die beiden Rad-Stars schätzen sich sehr und haben viel Respekt für die Karriere des anderen, wie ihr Treffen 2023 in Chur für einen Blick-Termin zeigte. «Als ich noch ein Kind war, warst du schon der Grösste», sagte Pidcock damals beim Generationen-Gipfeltreffen zu Schurter.
Auf der Strecke treffen sie sich selten. Pidcock ist vor allem auf dem Rennvelo unterwegs. Siegt aber meistens, wenn er beim Mountainbike auftaucht. Wie an der WM 2023 oder zuletzt Mitte Juni beim Weltcup in Crans-Montana.
Wie viel Kraft kostete die Tour und Covid?
Wegen Pidcocks Dominanz wurde Schurter in den letzten Wochen zum Fan seines grössten Rivalen. Warum? Weil sich der Brite mit seinen Starts an der Tour de Suisse und an der Tour de France ein massives Programm zumutete, während Schurter den Fokus mit einem dreiwöchigen Höhentraining auf dem Berninapass und dosierten Renneinsätzen voll auf Paris setzte. Also sagte Schurter vor dem Start der Frankreich-Rundfahrt: «Ich hoffe, dass er eine sehr gute Tour de France fährt, einen guten Platz im Gesamtklassement belegt und bis zum Schluss kämpfen muss.»
Schurters Hintergedanke: So würde Pidcock vielleicht auf dem Rennrad doch einige Kraft lassen, die ihm an Olympia fehlt. «Er ist keine Maschine, auch er braucht Erholung.» Dazu kommt der mentale Faktor. «Wenn du eine super Tour fährst, ist der Hunger in Paris vielleicht nicht mehr ganz so gross», hoffte der Bündner.
Ganz so kam es nicht: Pidcock stieg bei der Tour vor der 14. Etappe aus, das war genau zwei Wochen vor dem olympischen Bike-Rennen. Der Brite musste wegen einer Corona-Infektion aufgeben. Wie gut sich Pidcock davon erholt hat, ist nun die grosse Frage vor seinem Umstieg aufs Mountainbike. Schurter oder Pidcock – krönt sich einer der beiden Topstars zum nächsten zweifachen Olympiasieger nach Julien Absalon (Fr, 43), der 2004 und 2008 gewann?