Aus, Schluss, vorbei! Tom Lüthi (35) steigt in der Boxengasse von Valencia um 13.21 Uhr das allerletzte Mal von seiner Rennmaschine ab. Der Emmentaler hängt nach seinem 318. Grand Prix und 20 Saisons in der Töff-WM den Helm an den Nagel. Aber Tom hat kaum Platz, um vom Zweirad zu steigen. Derart viele Leute drängen sich um seinen Töff, klatschen, johlen, wollen ihn zu einem zünftigen Burnout animieren.
Lüthi lässt sich nicht lange bitten. Er lässt den Motor aufheulen und den Hinterreifen durchdrehen, bis die halbe Boxengasse eingenebelt ist. Danach übernehmen die Emotionen. Der Berner und Freundin Noëlle Dettwiler umarmen sich innig, es fliessen Tränen. Sie sah es schon am Sonntagmorgen kommen: «Ich kann von Glück reden, wenn ich nicht schon vor dem Rennen weine!»
Dettwiler ist ihrem Tom beim letzten Auftritt als Rennprofi ganz nahe. Sie wohnt bei ihm im Fahrerlager in einem «GP-Room», einem Hotelzimmer auf Rädern. Sie ist in der Startaufstellung sein letztes Gridgirl. Und sie wartet direkt nach der Zieldurchfahrt in einer Kurve, um Lüthi eine Schweizer Fahne für die letzte Ehrenrunde zu überreichen.
Das erste Bier landet am Boden
Als sich Lüthi dann nach der Burnout-Show in der Boxengasse den Weg durch die Menge mit den speziellen Rücktritts-T-Shirts in seine Box bahnt, herrscht dort schon Partystimmung. Kollegen von Lüthi haben Dosenbier mitgebracht. Ob auch Tom eins nimmt? Klar! Doch von Toms erstem Bier landet viel auf dem Boden. Als ihn sein Riding-Coach Alvaro Molina umarmt, purzelt die Dose zu Boden.
An diesem Tag ist das alles egal. Tom strahlt. Schon vor dem Rennen, als ihm das Team als Überraschung den Helm und die Töffverschalung in silberner Sonderlackierung zeigt. Nach dem GP sagt er: «Es ist wunderschön, dass so viele Leute gekommen sind. Viel mehr, als ich erwartet habe. Auch ich habe ein kleines Tränchen, es ist sehr emotional.»
Mutter Silvia überkommen die Tränen
Und selbst dem nach starken Startplatz 6 eher mageren 12. Rang kann er etwas Gutes abgewinnen. «Ich hatte Probleme mit dem Grip am Hinterrad. Aber mit der Nummer 12 auf den 12. Rang, das passt», sagt er über seine WM-Punkte 2654 bis 2657. «Ich sehe jetzt weniger dieses letzte Rennen, sondern eher das grosse Ganze. Ich bin stolz und glücklich nach dieser Karriere.»
Lüthis Eltern Silvia und Hansueli haben die Dernière mit vielen Schweizer Fans auf der Tribüne verfolgt. Als die Mutter dann in der Box Tom sieht, fällt sie im weinend um den Hals. «Es war eine wunderschöne Zeit. Aber es gab auch harte Momente. Zum Beispiel 2004 nach einem schweren Sturz fragte sich Tom, ob er überhaupt gut genug ist.»
Die Fortsetzung ist bekannt. Lüthi wird schon im Jahr darauf 125-ccm-Weltmeister und fährt später vor allem in der Moto2 jahrelang an der Spitze mit. Jetzt endet alles in Valencia, wo sich das Team und Lüthis engstes Umfeld am Abend noch zum Abschlussessen trifft. 43 Personen sind dabei.
Am Montagnachmittag landet Lüthi dann in Zürich-Kloten. Als Ex-GP-Pilot.