Vor dem Auftakt zu seinem allerletzten Grand-Prix-Wochenende geht Tom Lüthi (35) mit SonntagsBlick auf Zeitreise. Der Töff-Profi steigt an der Rennstrecke von Valencia auf das Podest hoch. Da oben, auf dem grossen Balkon über der Boxengasse, feierte Lüthi vor zwei Jahren seinen letzten Podestplatz. Und vor allem: Am 6. November 2005 feierte er hier den grössten Erfolg seiner Karriere: Töff-Weltmeister in der 125-ccm-WM.
Nun blickt Lüthi entspannt zurück. Er ist nur noch ein Start (heute, 12.20 Uhr, SRF 2 live) vom Karriereende entfernt. Auch wenn er seinen Job ein letztes Mal gründlich erledigen will, blickt er nun auf der Zielgeraden seiner Karriere gerne in den Rückspiegel. Etwas, was er in den Wochen seit der Rücktrittsankündigung noch vermieden hat. Lüthi: «Jetzt spüre ich, wie der Rücktritt nahe kommt. Auch weil mich viele Leute darauf ansprechen. Wenn ich jetzt zurückblicke, kann ich schon stolz sein auf meine Karriere.»
Neben den 17 GP-Siegen und zwei Moto2-Vizetiteln überragt natürlich der WM-Titel von 2005 alles. Er feierte ihn vor 16 Jahren am selben Ort, wo Lüthi nun abtritt. «Das Rennen habe ich noch ganz genau in Erinnerung, weil ich es unbedingt ohne Sturz überstehen und mindestens zwei Punkte holen musste», sagt der Berner.
Er schaffte es als Neunter – der Wahnsinn ging los. «Nach dem Rennen ist alles über mich hereingebrochen. Weil ich den Titel geholt habe, durfte ich nach der normalen Podestzeremonie noch alleine als neuer Weltmeister aufs Podest», erinnert sich der Emmentaler an den grössten Sonntag seiner Karriere zurück.
Keine Erinnerung an den Bundesrat
Der Jubel war grenzenlos. Als Lüthi diesen Donnerstag wieder aufs Podest zurückkehrt, ist es ruhig. Die Tür zum Balkon muss extra aufgesperrt werden. In der Boxengasse bereiten sich die Teams erst aufs Wochenende vor, das neben dem letzten Rennen von Superstar Valentino Rossi (42) auch für den sieben Jahre jüngeren Lüthi die Dernière bringt.
Auf dem Podest liest der Töff-Routinier, was damals Blick über den historischen Schweizer WM-Titel geschrieben hatte. «Ich kann das alles noch nicht fassen», stand als Zitat von Weltmeister Lüthi in einer der Schlagzeilen. Dass ihn der damalige Sportminister, Bundesrat Samuel Schmid, angerufen und dem Töff-Teenager das Du angeboten hatte («Ig bi de dr Samuel»), sogar auf der Titelseite. Lüthi lacht und sagt: «Das mit dem Bundesrat weiss ich nicht mehr. Es war damals alles too much. Auch für mein Umfeld. Es war unmöglich, sich auf das vorzubereiten, was nach dem Titel alles passierte.»
Blick berichtete aber auch vor und nach dem WM-Coup viel über den dritten Schweizer Solo-Weltmeister nach Luigi Taveri (†88) und Stefan Dörflinger (72). In 20 Jahren GP-Sport – Lüthi ist 2002 beim Einstieg eine halbe und danach 19 ganze Saisons gefahren – sind unfassbare 1198 Artikel über Tom im Blick und 534 Artikel im SonntagsBlick erschienen. Die zahllosen Internet-Artikel nicht mitgezählt.
Lüthi muss schmunzeln, als er eine Auswahl der Zeitungsseiten zu Gesicht bekommt. Der erste Artikel, für den ein Blick-Fotograf zu Lüthi heim gekommen war, datiert vom August 2002: «Der GP-Pilot, der in der Schweiz nur Moped fahren darf». Die Bilder damals vom elterlichen Bauernhof? Tom auf dem Töffli. Tom am Familientisch. Tom, als Bauer-Bub inszeniert, auf dem Heu-Lader!
Viel Spass beim Kombi-Tausch mit Taveri
Lüthi: «Früher war mir das peinlich. Aber heute weiss ich, dass mich meine Herkunft stark gemacht hat. Ich hätte nicht anders aufwachsen wollen.» Blickt der Ex-Weltmeister nun auf seine Karriere zurück, weiss er: Ohne die riesige Unterstützung seiner Eltern Silvia und Hansueli könnte er niemals heute als Töff-Star mit den viertmeisten GP-Teilnahmen der WM-Geschichte abtreten. Nur Valentino Rossi, Loris Capirossi und Andrea Dovizioso haben noch mehr.
Mit einer anderen Töff-Legende bekam es Lüthi nach seinem ersten GP-Sieg zu tun. Er lacht, als er die Blick-Reportage von 2005 sieht. Er steckte in der musealen Ausrüstung von Luigi Taveri, der 50 Jahre vor dem Emmentaler als erster Schweizer einen GP gewann. Und der damals bereits 75-Jährige trug die moderne Lederkombi vom 18-jährigen Lüthi. Der sagt heute: «Es war unglaublich, dass Taveri in meine Kombi passte. Wir hatten viel Spass. Ich habe ihm erzählt, dass sie meinen Vater Taveri nannten, weil er mit dem gleichen Helm gefahren ist.»
(Stand vor heutigem Valencia-GP)
Grand-Prix-Starts: 317
WM-Punkte: 2653
Podestplätze: 65
GP-Siege: 17
Grösster Vorsprung bei Sieg: 9,610 Sekunden (Katar 2016)
Kleinster Vorsprung bei Sieg: 0,002 Sekunden (Sepang 2005)
2. Plätze: 23
3. Plätze: 25
Pole-Positions: 12
Schnellste Rennrunden: 19
Meiste Siege auf einer Strecke: 4 (Le Mans)
Meiste Podestplätze auf einer Strecke: 6 (jeweils Le Mans und Katar)
Befahrene GP-Strecken: 26
125-ccm-Rennen: 68
250-ccm-Rennen: 47
Moto2-Rennen: 184
MotoGP-Rennen: 18
Verpasste Rennen (Verletzungen, Startverzicht, Technikprobleme): 13
Klassen: 4
Teams: 5
Töff-Marken: 5 (Honda, Aprilia, Moriwaki, Suter, Kalex)
Manager: 1
Die Laufbahn:
2002, 125 ccm: WM-Rang 27 (7 Punkte)
2003, 125 ccm: WM-Rang 15 (68 Punkte)
2004, 125 ccm: WM-Rang 25 (14 Punkte)
2005, 125 ccm: Weltmeister (242 Punkte)
2006, 125 ccm: WM-Rang 8 (113 Punkte)
2007, 250 ccm: WM-Rang 8 (133 Punkte)
2008, 250 ccm: WM-Rang 11 (108 Punkte)
2009, 250 ccm: WM-Rang 7 (120 Punkte)
2010, Moto2: WM-Rang 4 (156 Punkte)
2011, Moto2: WM-Rang 5 (151 Punkte)
2012, Moto2: WM-Rang 4 (191 Punkte)
2013, Moto2: WM-Rang 6 (155 Punkte)
2014, Moto2: WM-Rang 4 (194 Punkte)
2015, Moto2: WM-Rang 5 (179 Punkte)
2016, Moto2: WM-Rang 2 (234 Punkte)
2017, Moto2: WM-Rang 2 (243 Punkte)
2018, MotoGP: WM-Rang 29 (0 Punkte)
2019, Moto2: WM-Rang 3 (250 Punkte)
2020, Moto2: WM-Rang 11 (72 Punkte)
2021, Moto2: WM-Rang 22 (23 Punkte)
(Stand vor heutigem Valencia-GP)
Grand-Prix-Starts: 317
WM-Punkte: 2653
Podestplätze: 65
GP-Siege: 17
Grösster Vorsprung bei Sieg: 9,610 Sekunden (Katar 2016)
Kleinster Vorsprung bei Sieg: 0,002 Sekunden (Sepang 2005)
2. Plätze: 23
3. Plätze: 25
Pole-Positions: 12
Schnellste Rennrunden: 19
Meiste Siege auf einer Strecke: 4 (Le Mans)
Meiste Podestplätze auf einer Strecke: 6 (jeweils Le Mans und Katar)
Befahrene GP-Strecken: 26
125-ccm-Rennen: 68
250-ccm-Rennen: 47
Moto2-Rennen: 184
MotoGP-Rennen: 18
Verpasste Rennen (Verletzungen, Startverzicht, Technikprobleme): 13
Klassen: 4
Teams: 5
Töff-Marken: 5 (Honda, Aprilia, Moriwaki, Suter, Kalex)
Manager: 1
Die Laufbahn:
2002, 125 ccm: WM-Rang 27 (7 Punkte)
2003, 125 ccm: WM-Rang 15 (68 Punkte)
2004, 125 ccm: WM-Rang 25 (14 Punkte)
2005, 125 ccm: Weltmeister (242 Punkte)
2006, 125 ccm: WM-Rang 8 (113 Punkte)
2007, 250 ccm: WM-Rang 8 (133 Punkte)
2008, 250 ccm: WM-Rang 11 (108 Punkte)
2009, 250 ccm: WM-Rang 7 (120 Punkte)
2010, Moto2: WM-Rang 4 (156 Punkte)
2011, Moto2: WM-Rang 5 (151 Punkte)
2012, Moto2: WM-Rang 4 (191 Punkte)
2013, Moto2: WM-Rang 6 (155 Punkte)
2014, Moto2: WM-Rang 4 (194 Punkte)
2015, Moto2: WM-Rang 5 (179 Punkte)
2016, Moto2: WM-Rang 2 (234 Punkte)
2017, Moto2: WM-Rang 2 (243 Punkte)
2018, MotoGP: WM-Rang 29 (0 Punkte)
2019, Moto2: WM-Rang 3 (250 Punkte)
2020, Moto2: WM-Rang 11 (72 Punkte)
2021, Moto2: WM-Rang 22 (23 Punkte)
Bei der Zeitreise durch das Blick-Archiv stösst Tom auch auf den allerersten Blick-Artikel. «Wird Lüthi bald zum Simi auf zwei Rädern?», steht nach seinem GP-Debüt als 15-Jähriger 2002 in der Zeitung. Das Verrückte: Der Mann, der damals mit einem Tipp massgeblich für Lüthis WM-Premiere sorgte, steht nun auf dem Podest in Valencia vor Lüthi. Es ist der Schweizer Töff-Fotograf Waldemar Da Rin, der für SonntagsBlick die Bilder von Lüthis Zeitreise schiesst. Da Rin ist es, der vor 20 Jahren bei einem Test in Barcelona den Basler Töff-Teamchef Daniel Epp fragt, warum er eigentlich keinen Schweizer Piloten fahren lässt. Epps Antwort: Er kenne keinen!
Wie ein Fotograf Lüthis WM-Karriere anschob
Nun sagt der Thurgauer Fotograf zu Lüthi: «Ich hatte Epp dann dich empfohlen. Ich sah dich bei einem Honda-Test in Hockenheim. Du bist mir aufgefallen, du hast extreme Schräglagen drauf gehabt.» Lüthi lacht auf und sagt: «Hör doch auf, ich habe mich damals doch noch gar nicht getraut, richtige Schräglagen zu fahren!»
Wie dem auch sei: Schnell genug war der Töff-Knirps aus Linden BE. Epp schaute sich das Talent bei einem Lauf der deutschen Meisterschaft an und bringt Lüthi danach in die WM. Ein Volltreffer für beide. Epp hat zwar seinen Rennstall längst aufgegeben, ist aber bis heute Lüthis Manager.
Die Zeitreise in Valencia geht dann nach dem Podestbesuch im Verpflegungstempel von Lüthis spanischem SAG-Team mitten im Fahrerlager weiter. Hier studiert er weitere denkwürdige Artikel. Einer erinnert an seine schwerste Verletzung. Es war ebenfalls in Valencia, 2013 bei einem Test zog sich der Moto2-Star eine karrierebedrohende Armverletzung zu. Einer zeigt, wie Lara Gut-Behrami mal das Gridgirl von Lüthi war. Einer zeigt ihn beim vielleicht verrücktesten Fotoshooting der Karriere. 2015 liess er sich mit dem damaligen Teamkollegen Dominique Aegerter als «Swiss Mafia» inszenieren. Maschinenpistole-Attrappe in Lüthis Händen inklusive.
Tom Lüthi muss seinen Abschied vom GP-Sport trotz Quali-Highlight (Rang 6) ziemlich einsam feiern. Wegen der strikten Corona-Regeln sind im Fahrerlager kaum Gäste zugelassen. Einzig Freundin Noëlle Dettwiler, die Eltern Silvia und Hansueli sowie engste Vertraute wie Manager Daniel Epp und der langjährige Betreuer Igor Strauss sind an diesem Wochenende in seiner Box.
Doch Moment. Ganz im Stillen geht Lüthi dann doch nicht. Sein langjähriger Moto2-Titelrivale Johann Zarco (31) etwa denkt neben dem Rücktritt von MotoGP-Legende Valentino Rossi auch an Lüthi. Der französische MotoGP-Star sagt: «Er war für mich in der Moto2 ein Vorbild. Ich war stolz, sein Level zu erreichen, mit ihm zu kämpfen und ihn zu schlagen. Tom hat das Gentleman-Verhalten eines Schweizers. Schade, dass er sich in der MotoGP nicht wohlfühlte.»
Zudem wird im Fahrerlager gemunkelt, dass am Sonntag doch mehr Töff-Fans als erwartet aus der Schweiz auf den Tribünen sitzen werden, darunter viele aus Lüthis Heimat Linden BE. Und auch in der Box wird der Rücktritt nach dem Rennen so gut wie möglich zelebriert. Es wartet eine geheime Überraschungsaktion auf den Moto2-Fahrer.
Nicht wirklich dabei beim Abschied ist hingegen Töff-Talent Noah Dettwiler (16), der Bruder von Lüthis Freundin Noelle. Lüthi wird neben seinem neuen Job als Sportchef im deutschen Prüstel-Moto3-Team der Manager von Noah. Der Teenager wäre eigentlich als Teilnehmer eines Pocketbike-Rennens im Rahmen des GPs vor Ort gewesen. Doch dieser Side-Event wurde plötzlich gestrichen – Noah kommt erst am Sonntag als normaler Fan.
Tom Lüthi muss seinen Abschied vom GP-Sport trotz Quali-Highlight (Rang 6) ziemlich einsam feiern. Wegen der strikten Corona-Regeln sind im Fahrerlager kaum Gäste zugelassen. Einzig Freundin Noëlle Dettwiler, die Eltern Silvia und Hansueli sowie engste Vertraute wie Manager Daniel Epp und der langjährige Betreuer Igor Strauss sind an diesem Wochenende in seiner Box.
Doch Moment. Ganz im Stillen geht Lüthi dann doch nicht. Sein langjähriger Moto2-Titelrivale Johann Zarco (31) etwa denkt neben dem Rücktritt von MotoGP-Legende Valentino Rossi auch an Lüthi. Der französische MotoGP-Star sagt: «Er war für mich in der Moto2 ein Vorbild. Ich war stolz, sein Level zu erreichen, mit ihm zu kämpfen und ihn zu schlagen. Tom hat das Gentleman-Verhalten eines Schweizers. Schade, dass er sich in der MotoGP nicht wohlfühlte.»
Zudem wird im Fahrerlager gemunkelt, dass am Sonntag doch mehr Töff-Fans als erwartet aus der Schweiz auf den Tribünen sitzen werden, darunter viele aus Lüthis Heimat Linden BE. Und auch in der Box wird der Rücktritt nach dem Rennen so gut wie möglich zelebriert. Es wartet eine geheime Überraschungsaktion auf den Moto2-Fahrer.
Nicht wirklich dabei beim Abschied ist hingegen Töff-Talent Noah Dettwiler (16), der Bruder von Lüthis Freundin Noelle. Lüthi wird neben seinem neuen Job als Sportchef im deutschen Prüstel-Moto3-Team der Manager von Noah. Der Teenager wäre eigentlich als Teilnehmer eines Pocketbike-Rennens im Rahmen des GPs vor Ort gewesen. Doch dieser Side-Event wurde plötzlich gestrichen – Noah kommt erst am Sonntag als normaler Fan.
Aegerter und Lüthi mit zwei Pokalen jubelnd sind auf einer weiteren Archiv-Perle zu sehen. Es war der Tag nach dem vermeintlich historischen Doppelsieg in Misano 2017, doch später wurde Aegerter der GP-Triumph wegen illegalen Öls aberkannt. Die Sieger-Trophäe ging dann an Lüthi, der nun sagt: «Domis Pokal war nicht mehr ganz unbeschädigt. Er hatte die ganze Nacht gefeiert!»
Und dann ist da noch ein Artikel nach Lüthis erstem Podestplatz von 2003. «Tom hatte immer das langsamste Töffli im Dorf», hiess es damals im Blick. «Es war das langsamste – aber das stärkste», klärt der Bald-Töff-Rentner nun auf.
Am Ende der wilden Zeitreise durch seine GP-Vergangenheit landet Lüthi wieder voll in der Gegenwart. Noch steht der 318. und letzte Start bevor. Noch einmal volle Konzentration vor der Tempo-Schlacht. «Ich muss den Fokus aufs Fahren behalten, sonst wird es gefährlich.» Welches Gefühl erwartet ihn nach seinen letzten 100 Rennkilometern? Lüthi: «Da bin ich selber gespannt darauf!»