Diesen Tabellenführer darf es eigentlich gar nicht geben. Markus Schlosser (52) führt vor dem zweitletzten Rennwochenende (ab Freitag in Oschersleben/De) die Seitenwagen-WM an, der Berner rast seinem zweiten WM-Titel bei den früher populären Töff-Dreirädern entgegen – dabei hatte sich Schlosser Ende 2022 schimpfend über die Zustände in der WM zurückgezogen. «Zu 1000 Prozent steht mein Rücktritt fest», sagte Schlosser damals. Nun lacht er, als Blick ihn darauf anspricht: «Geplant war das alles nicht.»
Er schildert, dass sein Comeback ohne einen neuen Reifenlieferanten nie ein Thema geworden wäre. Die Reifen waren für Schlosser und seinen Beifahrer Marcel Fries (57) beim entgangenen WM-Titel 2022 ein derartiger Frust-Faktor gewesen, dass sie den Schlussstrich zogen. Hintergrund: der britische Filz in der WM. Gemäss Schlosser haben der britische WM-Promoter, sein britischer Rivale im Titelkampf und der britische Reifenlieferant heimlich zusammengespannt. So landeten offenbar deutlich schnellere «Einheitsreifen» auf wundersame Weise stets bei den Briten-Teams.
Ein neuer Reifenlieferant ändert bei Schlosser alles
Der Schweizer schmiss wutentbrannt hin. Doch jetzt haben wir 2024. Die amerikanische Reifenmarke Hoosier beliefert neu die WM. Schlosser juckte es bei dieser Neuigkeit so sehr in den Fingern, dass er mit seinem Seitenwagen und Beifahrer Fries spontan zu Testfahrten aufbrach. «Ich sagte zu Marcel: Wollen wir nicht mal die neuen Reifen probieren? Er war auch neugierig.»
Und siehe da: Das Seitenwagen-Urgestein, das nach 27 Jahren und dem letzten Titel von Legende Rolf Biland erster Schweizer Seitenwagen-Weltmeister wurde, preschte auf Anhieb wieder mit den Weltbesten um die Ecken. «Da sagten wir uns: Jetzt fahren wir einfach mal den Saisonauftakt in Le Mans.»
Hier wäre die Comeback-Story nach den Trainings eigentlich zu Ende: Denn bei Fries macht sich bemerkbar, dass er das anspruchsvolle Herumturnen im Seitenwagen ohne Fitnesstraining nicht mehr einfach so auf hohem Niveau hinkriegt. Der Glasbauunternehmer aus dem Luzernischen hatte schon 2018 seine Karriere nochmals verlängert, diesmal ist es für den «Plampi» definitiv. Er steigt aus. «Also wollten wir zusammenpacken», sagt Schlosser. Doch da gibts im Fahrerlager mit dem Deutschen Luca Schmidt (21) einen unterbeschäftigten Beifahrer. Er war schon nach Le Mans unterwegs, als sein Pilot wegen Krankheit absagen musste.
Einmal mitgefahren und sofort WM-Leader
So kommts zum nie geplanten Team Schlosser/Schmidt – das Duo reist als WM-Leader vom Auftakt ab. Schlosser und sein 31 Jahre jüngerer Beifahrer entscheiden sich zum Weitermachen. Dass er damit einem Kollegen den Plampi ausspannt? «Ich weiss, dass ich da etwas gutzumachen habe», sagt Schlosser, «deshalb helfen wir Lucas Ex-Team auf und neben der Strecke, wo wir können.»
Jetzt hat Schlosser bei seinem Wunder-Comeback eine Hand am WM-Pokal. Es würde auch Ex-Beifahrer Marcel Fries freuen, der flugs zum grössten Fan des neu formierten Schlosser-Teams wurde.