Auf einen Blick
Es ist eine Wahnsinnskulisse für einen Wahnsinnsevent. Es sind 300’000 oder vielleicht auch 500’000 Menschen, die am Sonntag an der Atlantikküste bei Les Sables-d’Olonne zuschauen werden. Der Start zur Segelregatta Vendée Globe ist ein Grossereignis. Dass 40 Boote ins endlose Meer raus fahren, einmal um die Welt segeln und irgendwann in zwei, drei Monaten wieder einzeln oder gar nicht zurückkehren, elektrisiert Frankreich mehr denn je.
Oliver Heer (36) steuert eines der 40 Boote. Mit dem Rapperswiler nimmt erstmals ein Deutschschweizer an der härtesten Regatta der Welt teil. Romands gabs schon mehrfach, dieses Mal sind Justine Mettraux (38) und Alan Roura (31) dabei.
Einmal solo um den Globus über die Weltmeere – erst 114 Menschen haben dieses Mega-Abenteuer vollendet. Heer zu Blick: «Natürlich bin ich nervös! Wir haben dieses Projekt seit drei Jahren vorbereitet. Doch kurz vor dem Start fragt man sich ständig: Haben wir wirklich an alles gedacht?»
Unterwegs Hilfe annehmen ist streng verboten
Selbst eine vergessene Zahnbürste wäre fatal. Denn unterwegs auf den rund 45'000 km mutterseelenalleine unterwegs ist fremde Hilfe streng verboten. Wie grimmig das Reglement ist, erfuhr Heer beim letzten Qualirennen von Lorient nach New York. Er kenterte mitten in der Nacht, die ganze Elektrik an Bord stieg aus. Praktisch manövrierunfähig mitten im Ozean, es ging um Leben und Tod. «Ich hatte keinen Autopilot mehr, keinen Radar mehr, kein Warnsystem mehr, nichts», schildert der St. Galler. Heer fährt manuell 2000 km ins Ziel. «Acht Tage lang habe ich 18 Stunden täglich gesteuert», schildert er. Doch in New York betrachten ihn nicht alle als Helden.
Weil Heer nach dem Zwischenfall nicht mehr weiterwusste, telefonierte er mit seinem Mentaltrainer. Ist das schon unerlaubte Hilfe und folglich ein Disqualifikationsgrund? Ein französischer Segler witterte so seine Chance, dem Schweizer den Vendée-Globe-Startplatz noch abzujagen. Heer: «Eigentlich war es klar, dass ich nichts Verbotenes gemacht habe. Aber es war nervig, weil wir sogar einen Anwalt hinzuziehen mussten.»
Eine krasse Grenzerfahrung auf und neben dem Boot, auf die Heer nun an der Vendée Globe liebend gerne verzichten würde. Eine körperliche Grenzerfahrung wirds aber sowieso. Heer rechnet mit 90 Tagen. 90 Tage nur Meer, Himmel, Wind und Wetter. «Ich bin allein, aber nicht einsam», sagt der Solo-Skipper. Die moderne Technologie hat eben auch den Segelsport verändert. «Mit dem Internet sind Anrufe immer möglich. Brauche ich also etwas sozialen Kontakt, mache ich einen Anruf, in dem es dann mal nicht um das Boot und das Wetter geht.»
Soziale Telefonanrufe auf hoher See gegen die Einsamkeit
Hierbei eine wichtige Stütze: Heers Frau Theresa. Die Britin ist seit Jahren an der Seite des Schweizers. Das Paar lebte in England, ehe es wegen der Vendée Globe ins französische Port la Foret übersiedelte. Heer schildert, dass es für seine Frau nicht immer einfach ist, wenn er seine Abenteuer verfolgt: «Theresa sagte mir klar: Solange ich solche Rennen bestreite, gibts keine Kinder.»
Auch für Heer selber eine verständliche Ansage. Denn die Gefahr segelt mit. In der Vendée-Geschichte kams zu zwei Todesfällen und regelmässig zu dramatischen Rettungsaktionen. Lange fuhr die Flotte komplett auf eigenes Risiko los. Dieses Jahr liess sich eine französische Versicherung finden. Der Deal für Heer und Co.: 5000 Euro Prämie für drei Monate, maximale Auszahlung 500’000 Euro.
An den Start werden nur Profis gelassen, die Anforderungen sind hoch. «Ich machte jährlich zehn Tage medizinisches Training, um mich im Notfall selber versorgen zu können.» Legendär ist ein französischer Skipper, der sich 1992 mit telefonischer Anleitung eines Arztes sich selber die Zunge nähte.
Auch wegen solcher Episoden ist die Vendée Globe vor allem in Frankreich ein Mythos. Einer, den Klein-Oliver schon als Kind faszinierte. Segel-Profi ist er längst seit Jahren, er kennt die Weltmeere, das wochenlange Schlafen in Kurz-Portionen («Mein Wecker hat 140 Dezibel»). Doch alleine fünf, sechs Wochen nonstop durch den unbarmherzigen Südpazifik zu segeln, das hat auch Heer noch nie erlebt.