Blick: Alex Wilson, hätten Sie jemals daran geglaubt, der schnellste Mann Europas zu sein?
Alex Wilson: Natürlich, ich mache den Sport ja, um der Schnellste zu sein. Sicher nicht, um einfach nur mitzumachen.
Wegen der Zeitmessung an dem kleinen Meeting in Atlanta und einem Instagram-Video, das Sie mit der wegen Dopings lebenslang gesperrten jamaikanischen Legende Raymond Stewart beim Training zeigt, wird jetzt alles in Frage gestellt. Ihre Reaktion?
Was soll ich dazu schon sagen? Ich denke im Moment, dass mir da jemand eindeutig schaden will. Dieses Video wurde ja sogar an die Welt-Anti-Doping-Agentur weitergeleitet. Das heisst, da will man richtig was anrichten. Und ich muss jetzt umso mehr aufpassen – was ich esse und trinke, was ich anfasse, mit wem ich rede... Das Ganze hat mir eine Lektion verpasst.»
Wie kam es denn überhaupt zu diesem Video?
Es ist ein altes Video, es wurde Ende April aufgenommen. Ich war auf diesem Platz, Raymond Stewart war dort an einem Fussballturnier. Mein Trainer fragte mich, ob ich wisse, wer das ist, es sei eine Legende, der als erster jamaikanischer Mann unter zehn Sekunden gelaufen sei. Dann zeigte Stewart mir ein paar Übungen, etwa zehn Minuten, dann ging er wieder zurück zum Fussballturnier. Der Trainer hat dabei dieses Video gemacht, um sich selbst weiterzubilden.
Wusste Ihr Trainer, dass Stewart wegen Doping gesperrt ist?
Das weiss ich nicht, aber ich denke, dann hätte er ihn sicher nicht angesprochen.
Haben Sie ihn nicht gefragt?
Doch schon, aber er hat mir noch nicht recht antworten können, ich war natürlich auch recht hässig. Rushane Bally Scott ist ja nicht einmal mein Trainer, sondern bloss Interimscoach.
Was für Übungen hat Stewart Ihnen denn gezeigt?
Eigentlich nichts Spezielles, es ging auch um gewisse Armbewegungen.
War Ihr Verhalten nicht etwas naiv?
Wieso naiv? Es wäre naiv gewesen, wenn ich die Geschichte des Mannes gekannt hätte. Aber ich wurde ins kalte Wasser geworfen. Wenn ich etwas nicht weiss, kann ich mich auch nicht dazu erklären.
Wie gehen Sie jetzt damit um, dass Sie mit Doping in Verbindung gebracht werden?
Ich habe mit Doping nichts zu tun, es wäre falsch, das zu behaupten – völlig inkorrekt. Leute haben ein Video gepostet, ohne den Hintergrund zu kennen. Dagegen kann ich vorgehen, wenn ich will.
Jetzt stehen die Olympischen Spiele bevor. Spornt Sie diese Geschichte an oder belastet sie eher?
Ich bin immer noch voll konzentriert auf Olympia, wie auch vorher. Übrigens vor allem auf den 200-Meter-Lauf – aber darüber redet jetzt gerade niemand. Ich lasse mir den Erfolg nicht kaputtmachen. Neid gibt es überall, so ist das immer.
Hatten Sie schon Kontakt mit Swiss Athletics?
Ja, laut Leistungssportdirektor Philipp Bandi läuft das Prozedere jetzt, aber solche Abklärungen dauern immer länger. Als ich zum ersten Mal Schweizer Rekord lief, hat es ein halbes Jahr gedauert, bis die Zeit bestätigt wurde. Der offizielle Zielfilm wird nun ausgewertet, aber das ist nicht mehr mein Thema.
Sie vermuten, jemand wolle Ihnen schaden. Wer sollte das denn wollen?
Das weiss ich nicht. Wer am meisten darunter leidet, dass ich den Europarekord haben könnte, sind sicher die Franzosen. Jimmy Vicaut egalisierte 2015 ja den elf Jahre alten Europarekord (9,86 Sek, die Red.) des Portugiesen Francis Obikwelu. Die Schweizer sollten sich jetzt doch lieber mal freuen, dass mich die Franzosen momentan hassen.
Halten Sie Ihren Europa-Rekord denn für realistisch?
Wieso nicht? Ich hatte die ganze Woche das Gefühl, dass ich wieder Schweizer Rekord laufen könnte, also eine Zeit von 10,0 Sekunden. Mit zwei Meter Rückenwind wäre das 9,80. Bei mir wurden 1,9 Meter Rückenwind gemessen, vielleicht waren es ja aber auch mal 2,5 – der Wind ist ja nicht immer regelmässig. Dann gibt mir die Bahn noch einen Zehntel, meine neuen super Schuhe holen nochmal einen Zehntel raus. Wenn all das zusammenkommt, sind die 9,84 Sekunden durchaus möglich.