Läuft Alex Wilson hier zum Europarekord über 100 m?
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9,84 Sekunden Atlanta:Läuft Alex Wilson hier zum Europarekord über 100 m?

Ist er doch nicht schnellster Mann Europas?
Riesenwirbel um Wilsons Fabelrekorde

Alex Wilson legt am Sonntag in den USA zwei Rekord-Sprints auf die Bahn. Wie lange aber hält der Jubel an? In der Leichtathletik-Welt gibt es heftige Zweifel, ob die gemessenen Zeiten korrekt sind.
Publiziert: 19.07.2021 um 10:54 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2021 um 19:44 Uhr
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Alex Wilson legte in den USA zwei Fabel-Zeiten auf die Bahn.
Foto: imago images/Beautiful Sports
Emanuel Gisi

Es sind Fabelzeiten, die am Sonntag für den Schweizer Alex Wilson (30) in Marietta in der Nähe von Atlanta (USA) gestoppt werden. 9,84 Sekunden über 100 m: Europarekord! 19,89 Sekunden über 200 m: Schweizer Rekord!

Der Jubel ist gross in der Schweiz. Logisch: Die 100-m-Zeit, die der Basler auf die Bahn knallt, ist die zweitschnellste Zeit des Jahres. Hat die Schweiz plötzlich einen Kandidaten für Olympia-Edelmetall über 100 m?

Wilsons Zeiten in dieser Saison: Nicht berauschend

Das wäre grandios. Und komplett ausgeschlossen ist es nicht. Aber es gibt bei genauerem Hinsehen eine Reihe von Fragen. Die wichtigste ist auch die einfachste: Wie kann das überhaupt sein?

Nichts hat im Jahr 2021 darauf hingedeutet, dass der Basler einen grossen Schritt nach vorne machen könnte. Wilsons bis anhin schnellste Zeit in dieser Saison über 100 m sind die 10,38 Sekunden, die er Ende Juni in Luzern auf die Bahn legte, über 200 m lief er 20,64. Weit von seinen eigenen bisherigen Bestmarken (10,08 und 19,98) entfernt. Lange kämpfte er in dieser Saison mit Rückenbeschwerden, konnte nicht voll trainieren. Dass er in Richtung Olympia (ab 23. Juli) in Tokio in Schwung kommt, ist logisch. Aber ist so eine eklatante Steigerung realistisch?

Kaum jemand glaubt, dass die Zeit echt ist

Für viele in der Sportwelt ist der Fall klar, Schweizer Leichtathletik-Insider ziehen auf Anfrage von Blick die Augenbrauen mächtig hoch. So richtig glauben mag kaum jemand, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

Andere gehen noch weiter. «Wir wissen zu 100 Prozent, dass das nicht echt ist», schreibt US-Sprint-Guru Rana Reider auf Twitter.

Aber wie lässt sich denn die Fabel-Zeit erklären? Für Wilson spricht, dass er nach harten Trainingscamps in Jamaika und Las Vegas (USA) seine Form zu finden scheint. Dass er nach drei Operationen (Fuss, Hüfte, Hand) in den letzten Jahren endlich wieder schmerzfrei trainieren und rennen kann. Und sein Ausrüster Puma hat vor kurzem neue Sprint-Schuhe auf den Markt gebracht, die wie die Wunderschuhe von Nike dank einer Karbonplatte an der Sohle schnellere Zeiten ermöglichen dürften. Zudem waren die Bedingungen – 30 Grad Celsius, mit fast zwei Metern Rückenwind pro Sekunde – praktisch perfekt.

«Das alles kann für ein paar Hunderstel sorgen», sagt ein Insider. «Für eine gute Zeit. Aber das erklärt diesen gewaltigen Sprung nicht.»

Wilson-Berater zweifelt

Wilsons Berater Andreas Hediger sagt zu «Keystone-SDA»: «Direkt nach dem Rennen dachte Alex, dass er vielleicht 10,10 oder bestenfalls 10,00 gelaufen ist, aber nie so schnell wie die Leistung, die auf der Uhr und in den Resultaten gezeigt wurde.» Hediger stelle sich nun die gleichen Fragen wie die Journalisten. «Der Athlet sah sich selbst nicht in so guter Form, auch wenn er sich gut vorbereitet hatte. Aber auf dem Ergebniszettel stehen 9,84 über die 100 m und 19,89 über die 200 m.»

Hat die Startanlage versagt?

Wie kommen die 9,84 und die 19,89 zustande? Eine wahrscheinliche Erklärung findet sich bei der Zeitmessung. Wurde eine Lichtschranke zu früh ausgelöst? Gibt es sonst einen Fehler? Dem Vernehmen nach soll es im Leichtathletik-Stadion in Marietta eine Startanlage geben, die internationalen Standards nicht standhält. Sie messe nicht, mit welchem Druck die Läufer im Startblock stehen – und könne damit auch nicht anzeigen, wenn es zu einem Fehlstart kommt.

Swiss Athletics hat den Prozess bereits eingeleitet, den Rekord zu verifizieren. Dabei geht es darum, ob alles mit rechten Dingen zu ging – und ob die technischen Voraussetzungen bei der Zeitmessung den Ansprüchen genügen.

Colemans Rekord wurde 2018 wieder gestrichen

Es ist also möglich, dass Alex Wilson nichts falsch gemacht hat. Und trotzdem seinen Rekord wieder abgeben muss.

Damit befände er sich in prominenter Gesellschaft. US-Sprintstar Christian Coleman sah 2018 seinen Hallen-Weltrekord über 60 m annulliert, weil die Anlage in Clemson im US-Bundesstaat South Carolina nicht über ein korrektes Startsystem verfügt hatte.

Geäussert hat sich Wilson zu seinen beiden sonntäglichen Sprints noch nicht. Er reist am Montagmorgen (US-Zeit) in aller Frühe an den Flughafen von Atlanta, um in die Schweiz zurückzufliegen. Ein Statement von Wilson ist nicht vor Dienstag zu erwarten.

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